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Scharf wie Lucy

 

Lucy und Nesmuk

Lucy ist mehr als nur ein Messer. Ganz richtig heißt sie Lucilla, aber weil wir uns schon so lange kennen, nenn ich sie Lucy.
Lucy ist immer bei mir, wenn ich koche. Und wenn ich vor manch großer Veranstaltung ein bisschen Lampenfieber habe (jawohl, auch das gibt es noch nach 25 Berufsjahren) und Lucy liegt auf dem Brett, dann weiß ich, dass alles gutgehen wird.
Lucy ist eigentlich eine gebürtige Yagatan, hat ihren Namen nach einer türkischen Stadt bekommen und ihre Form, ursprünglich etwas bauchiger, ist von einem osmanischen Säbel abgenommen. Nie hätte ich gedacht, dass wir beide uns so gut verstehen, dass ich mit dieser ausgefallenen Klingenform so gut zurechtkomme. In Solingen, wo sie herkommt, aus der Manufactur Robert Herder, genauer von der Marke Windmühle, wird sie aus nicht rostfreiem, harten Stahl geschmiedet. Sie hat noch eine hübsche, rostfreie Schwester. Die sieht immer besser aus, taugt bei mir aber nicht zur Arbeit.
Der Gebrauchswert eines Messers hängt nämlich gar nicht von der Schärfe ab. Scharf bekommt man noch das lumpigste Messer. Sogar den Deckel einer Ravioli-Dose kann man schärfen wie ein Rasiermesser. Aber halt nur für einen einzigen Schnitt, dann ist es vorbei mit der Pracht.
Die tatsächliche Güte wird durch Zähigkeit und Härte des Klingenstahls bestimmt. Eine gute, geschmiedete Klinge ist hart und zäh zugleich, behält lange den Schliff, wenn sie gut gepflegt wird. Damit eine Klinge hart wird, ist es notwendig, dass der Stahl ein möglichst dichtes Gefüge aufweist. Die Zusätze, die einen Stahl rostfrei machen, bewirken in der Regel allerdings, dass die Korngröße steigt und der Schnitt schlechter wird, die Haltbarkeit sinkt. Das Messer wird also schneller wieder stumpf. Deshalb sind richtig gute Messer in aller Regel nicht rostfrei. Und meine gute Lucy hat vor einiger Zeit einen Partner bekommen, der mir auch beste Dienste leistet, den kleinen Flachschmieder, auch von Herder und auch nicht rostfrei. Und so bin ich mit den beiden und dem guten Nass-Schleifstein (2000er und 4000er Körnung, japanisch) bestens zufrieden gewesen und ich war mir sicher, genug über Messer und ihre Pflege zu wissen.

Meine letzte Lehrstunde zu diesem Thema wurde dann am Samstag abgehalten. Auf der eat and style – Messe, ich hab mal wieder für die AEG gekocht, hab ich den Stand von Nesmuk gesehen. Gehört hatte ich von diesen Messern schon öfter, die ganze Crew von Stefan Marquard arbeitet damit und ist happy. Lars Scheidler, der Gründer und Inhaber von Nesmuk, ist ein Besessener. Er hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt und sich auf der ganzen Welt fortgebildet, sein Können perfektioniert. Ein Fachmann par excellence, einer, der für seinen Beruf lebt. Zusammen mit Walter Grave haben mir die beiden eine völlig neuartige Idee vorgestellt: Lars sagt, dass es mittlerweile Stahl in perfekten Qualitäten zu kaufen gibt, dass die Reinheit der Stähle heute besser ist als sie früher jemals war. Er setzt auf höchste Präzision bei jedem einzelnen Arbeitsschritt und auf den hochwertigsten, in diesem Falle aber rostfreien Stahl, den er zu außergewöhnlicher Schärfe und gleichzeitiger Schnitthaltigkeit bringt. Das Geheimnis dahinter ist der Niob-Gehalt des verwendeten Hochleistungs-Stahls. Niob macht den Stahl zäh, fest und rostfrei. Die Klinge hat damit eine einmalige Schneidhaltigkeit und eine bissige Schärfe, die ich so noch nicht kannte.
Die Messer haben ihren Preis, den sie mir aber wert sind. In einer Zeit, in der viele Bluffer (selbst aufgeätzte Damaszener-Stahl-Optik gibt es mittlerweile!) mit viel Hokuspokus ihre Klingen feilbieten, sind die Nesmuk-Messer die zeitgemäße Interpretation von handwerklicher Messer-Herstellung mit höchstem Anspruch. Schneiden tun andere auch, aber eben nicht so gut.
So hat meine Lucy nun einen großen Bruder. Wegen der sehr unterschiedlichen Klingen-Geometrie ergänzen die beiden sich prima.