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Abschiede: Five Goodbyes

 

Abschiede ist ein „Do-it-Yourself-Episodenfilm“. So bezeichnen ihn zumindest seine Macher, fünf Münsteraner Freunde. Sie haben das Projekt vor vier Jahren ins Leben gerufen. Ohne Filmausbildung und ohne Budget ist aus einer spontanen Idee ein fünfteiliger Spielfilm-Zyklus entstanden, in dessen Mittelpunkt das Thema Abschied steht. Die einzelnen Episoden zeigen die Hauptfiguren in unterschiedlichen Lebensphasen.

Auch die Umsetzung von Abschiede lässt sich als fortlaufender Prozess verstehen. Die ersten Filme zeigen noch sehr grobkörnige Aufnahmen, doch im Verlauf der vier Jahre haben sich auch die Macher filmisch wie erzählerisch weiterentwickelt. Wieso es ihnen trotzdem nie darum ging, einen Hochglanzfilm zu produzieren, erzählt Regisseur Anil Jacob Kunnel im Interview.

ZEIT ONLINE: Herr Kunnel, sie beschreiben Ihren Film Abschiede als einen „über das Internet koordinierten Film“. Was bedeutet das genau?

Anil Jacob Kunnel: Die meisten Kontakte sind über das Internet entstanden. Einer unserer Komponisten kommt aus England, einer unserer Schauspieler war damals in Indien. Jonas Zorn, der einen Teil der Musik gemacht hat, habe ich über MySpace entdeckt. Wir waren zwischendurch auch in Foren unterwegs und haben Feedback zu den Drehbüchern eingeholt. Vom ersten Film bis zum letzten, den wir erst vor einigen Wochen fertigstellten, lagen vier Jahre, in denen die Sache durch den gegenseitigen Austausch, vor allem über Skype und Facebook, immer weiter gewachsen ist.

ZEIT ONLINE: Also hatten Sie auch das Konzept rund um das Thema Abschied noch gar nicht von Anfang an?

Kunnel: Nein, als der erste Film entstand, war das nur eine lose Idee. Zu der Zeit hatte ich aber schon drei weitere Drehbücher geschrieben, und mir ist aufgefallen, dass sich alle um das Thema Abschied drehten. Aber erst der zweite Film wurde auch auf dieses Konzept hin gedreht. Gleichzeitig war uns wichtig, dass jeder Film aber auch eine in sich geschlossene Geschichte erzählt.

ZEIT ONLINE: Sie wollten mit Ihrem Film zeigen, dass man weder eine Filmausbildung noch ein großes Budget braucht, um neue Erzählformen zu finden. Was nehmen sie aus dieser Idee mit?

Kunnel: Das Spannendste war eigentlich, wie sich die einzelnen Filme unserer Situation und Mitteln anpassten. Der dritte und der vierte Film haben noch überhaupt nichts gekostet, für die anderen hatten wir ein Budget von knapp 2.700 Euro, das größtenteils aus lokalen Förderungen kam, zum Beispiel von der AStA der Uni Münster. Das Equipment haben wir uns von verschiedenen Stellen ausgeliehen, teilweise wurden uns auch die Kostüme bereitgestellt. Wir hatten vor dem Dreh des letzten Films noch überlegt, ob wir uns nicht noch einmal um mehr Budget bemühen sollten, haben uns dann aber dagegen entschieden. Zusammenfassend kann man sagen, dass die wenigen Ressourcen die Kreativität vermutlich sogar gefördert haben.

Kameramann Mantas Jockus, Darsteller Hartwig Ammann, Regisseur Anil Jacob Kunnel und Darstellerin Merly Vogt
Bei den Dreharbeiten: Kameramann Mantas Jockus, Darsteller Hartwig Ammann, Regisseur Anil Jacob Kunnel und Darstellerin Merly Vogt (v.l.)

ZEIT ONLINE: Und Sie hatten tatsächlich noch keine Filme zuvor gemacht?

Kunnel: Als die ersten Filme entstanden, hatte ich noch keine größere Erfahrung. Erst letztes Jahr habe ich mit Pixelschatten eine Produktion für das „Das Kleine Fernsehspiel“ gemacht und dann auch gesehen, was mit einem größeren Budget möglich ist. Ich hätte danach auch sagen können, dass Abschiede jetzt meine ersten Filme enthält, die niemand sehen muss. Ich glaube aber, dass diese Filme ihre Daseinsberechtigung haben, auch weil so viele Leute daran beteiligt waren. Man sieht solche Projekte auch nicht allzu oft.

ZEIT ONLINE: Würden Sie nicht eher sagen, dass diese DIY-Herangehensweise populärer wird, eben weil Filmemachen keine Ausbildung oder teures Equipment mehr erfordert?

Kunnel: Auf der einen Seite ist das richtig: Heute ist es normal, dass man Filme in Full-HD dreht und man sieht auf Vimeo, wie viele qualitativ hochwertige Videos inzwischen auch von Laien gemacht werden. Man sieht auch viele freie und experimentelle Formen. Aber wenn es um das Erzählerische geht, sind die Veränderungen gar nicht so groß. Dafür, dass jeder machen könnte, was er möchte, orientieren sich doch viele an den klassischen Genres.

ZEIT ONLINE: Inwiefern setzt sich Abschiede davon ab?

Kunnel: Vor allem durch den Ursprung und die Herangehensweise. Viele produzieren Filme ja immer noch, weil sie damit auf die großen Festivals wollen. Damit haben wir uns gar nicht beschäftigt. Abschiede ist nicht nur durch den Austausch im Netz entstanden, sondern auch für dieses Publikum gemacht: Für Leute, die vielleicht in einer ähnlichen Situation sind und Interesse an diesem gegenseitigen Austausch haben. Und natürlich einfach auch Leute, die für 80 Minuten unterhalten werden wollen ohne auf das klassische Fernsehprogramm zurückgreifen zu müssen.

ZEIT ONLINE: Um diese Leute zu erreichen, hatten Sie auch eine recht kontroverse Aktion auf Facebook gestartet…

Kunnel: Wir hatten die Idee, Lisa, einer der Figuren aus Abschiede, auf dem Facebook-Profil meines Fernsehfilms Pixelschatten auftreten zu lassen: Sie möchte einen Zombiefilm drehen und scheitert dabei. Es war spannend, zu sehen, wie unterschiedlich die Reaktionen darauf waren. Die meisten dachten wirklich, Lisa sei eine reale Person und wollten sie unterstützen oder haben ihre Kompetenz hinterfragt. Eigentlich wollten wir das in eine ganz andere Richtung bewegen, und mussten dann relativ spontan auf die Stimmung der Nutzer reagieren – daraus ist dann ein kleines Interviewprojekt entstanden, in dem Leute von Abschieden erzählen.

ZEIT ONLINE: Hat sich die Aktion gelohnt?

Kunnel: Ich denke schon. Wichtig ist, dass die Leute so eine Aktion viel intensiver wahrnehmen, als wenn man sie einfach nur bittet, auf Facebook irgendwo auf „Like“ zu klicken.