Zwischen 2006 und 2008 lebte der Journalist und Filmemacher Lukas Augustin in Afghanistan. Im Frühjahr dieses Jahres kehrte er dorthin zurück, um einen Film zu drehen, der die menschliche Seite des Landes zeigen sollte. Herausgekommen ist mit Touch Down in Flight ein fünfminütiger Film, der weder Fotojournalismus noch klassische Dokumentation ist. Stattdessen bedienen die Aufnahmen einen ebenso künstlerischen wie emotionalen Anspruch und zeigen Bilder, die man in dieser Intensität nur selten sieht. Welche Hoffnungen und Erwartungen sie an das Projekt hatten, erzählen Lukas Augustin und seine Frau Salome im Interview.
ZEIT ONLINE: Herr Augustin, sie haben zwei Jahre in Afghanistan gelebt. Haben wir hierzulande ein falsches Bild von dort?
Lukas Augustin: Die Bilder, die man in den Medien aus Afghanistan bekommt, sind oft geprägt von einem sehr verklärten Blick. Entweder werden die Afghanen zu edlen Wilden gemacht oder als Terroristen dargestellt, die sich selbst in die Luft jagen. Unser westlicher Blick auf Afghanistan ist eine Collage, die wir uns seit 9/11 aus immer gleichen Bildern gebastelt haben: bärtige Männer, Soldaten, unterdrückte burkatragende Frauen. Und all das häufig aus der Sicht von „eingebetteten“ Journalisten. Der Eindruck desillusioniert.
ZEIT ONLINE: Die Darstellungen in den Medien sind ja grundsätzlich nicht falsch.
Salome Augustin: Natürlich finden in Afghanistan grausame Dinge statt, die wir als Journalisten und Filmemacher auch zeigen müssen. Aber dies ist eben nur ein Aspekt. Das Land ist vielseitig und vor allem leben in den Kriegswirren Menschen, die wir oft aus dem Blick verloren haben. Den Krieg und Terror wollen wir mit unserem Film auch gar nicht ausblenden, sondern ergänzen und zeigen, was Afghanistan eben auch ist.
ZEIT ONLINE: Ein Anlass für den Film war nichtsdestotrotz der Tod einer Freundin von Ihnen in Kabul.
L. Augustin: Ja, Gayle Williams. Eines Morgens war sie auf dem Weg ins Büro, als zwei Taliban sie von einem Motorrad aus erschossen. Sie war Therapeutin und arbeitete mit Menschen mit Behinderungen, die gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Ihre Hingabe hat mich fasziniert. Mit unseren Bildern wollen wir diese von den Medien ausgegrenzten Gesichter zeigen.
ZEIT ONLINE: Das zeigt, das Afghanistan auch für Fotografen und Journalisten immer noch gefährlich ist. Gab es eine heikle Situation während Ihres Drehs?
L. Augustin: In Mazar-i-Sharif filmten wir an der Blauen Moschee. Nach und nach bemerkten wir, dass wir in ein Treffen von Mullahs gerieten, uns wurde unwohl und wir verließen das Gelände. Am nächsten Tag reisten wir zurück nach Kabul und erfuhren, dass sich an dem Morgen in der Blauen Moschee ein Mob gebildet hatte, der anschließend das UN-Gebäude stürmte und mehrere Menschen ermordete. Auch in Kabul gab es in einigen Stadtteilen Unruhen und einen Anschlag, so dass wir zeitweise nicht das Haus verlassen konnten.
ZEIT ONLINE: Wie reagieren die Menschen, wenn ein Europäer die Kamera auf sie richtet?
L. Augustin: Sie sind zunächst misstrauisch, können unsere Aufmerksamkeit für einen vorbeilaufenden Esel nicht nachvollziehen. Viele sehen die Schönheit ihres eigenen Landes nicht mehr. Einige haben sich in die Vergangenheit der 1960er und 70er Jahre geflüchtet, wenige sehen noch eine Perspektive. Der Vorteil für uns war, dass ich die Landessprache spreche. Wenn wir ihnen die Aufnahmen gezeigt haben und erklärten, was wir vorhaben, freuten sich viele, und mancher fragte sogar, ob er noch einmal durchs Bild laufen solle. Wir merken auch an den Reaktionen im Netz, dass viele Afghanen rund um die Welt berührt sind, ihr Land in einem anderen Licht zu sehen.
ZEIT ONLINE: Und viele andere Leute wollen das offenbar auch sehen…
S. Augustin: Damit hätten wir vorher nicht gerechnet. Gerade haben wir eine E-Mail von einem amerikanischen Vater bekommen, dessen beide Söhne gerade als Soldaten in Afghanistan sind. Er war dankbar für dieses Bild, da er sich kein Leben in dem Land dort vorstellen konnte. Aus Hunderten E-Mails und Reaktionen wurde uns bewusst, dass viele von dieser menschlichen Seite zwar wissen, sie aber nicht greifbar ist.
ZEIT ONLINE: Sie haben Ihren Film zunächst in der iPad-Ausgabe des SZ Magazins veröffentlicht, der Film hat sich über das Internet verbreitet. Glauben Sie, dass diese neuen Formen und Vermarktungsstrategien Zukunft haben?
L. Augustin: Der Markt ist gerade dabei, sich umzustellen. Einen Standard gibt es noch nicht. Aber die amerikanischen Medien, haben uns, was Experimentierfreude angeht, einiges voraus. Zwei Tage nach der Veröffentlichung rief Brian Storm von MediaStorm aus New York an und lizensierte Aufnahmen für einen Dokumentarfilm. Unser Film wurde über soziale Netzwerke angekündigt und bekam in den ersten fünf Tagen schon 100.000 Views. Das zeigt, dass hier definitiv Interesse besteht.