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Ein Plädoyer für freie Kurzfilme im Netz

 

Matt Morris ist Filmemacher aus Kalifornien. Seine Kurzdokumentationen „Pickin‘ & Trimmin'“ und „Mr. Happy Man“ gehörten zu den erfolgreichsten Filmen auf Vimeo der letzten Monate und wurden unter anderem in diesem Blog vorgestellt.

Im folgenden Gastbeitrag erklärt Morris, wieso er sich nach mehreren Jahren für eine freie Veröffentlichung entschieden hat – und warum andere Filmemacher seinem Beispiel folgen sollten. Der Beitrag erschien in leicht geänderter Version zuerst im Blog „Hope for Film“ der Website Indiewire.

Im April 2008 feierte Pickin‘ & Trimmin‘, das Porträt eines musikalischen Frisörsalons, Premiere auf dem Aspen Shortsfest. Es war mein erstes Filmfestival. Zuvor hatte ich den Vertreter eines Kurzfilmvertriebs getroffen, der an dem Film interessiert war und ihn bekannter machen wollte. Über die Jahre hatte ich immer wieder Angebote von Vertrieben. Statt sie anzunehmen, habe ich mich entschlossen, meine Filme selbst online zu veröffentlichen.

Viele der Kollegen, die ich damals auf Festivals traf, dachten ein Vertrieb sei das Ziel, der Schlüssel zum Erfolg. Das ist verständlich: Wer einen Film gedreht hat, der seine Produktionskosten wahrscheinlich nie einfährt, empfindet es als Genugtuung, wenn er wenigstens auf einigen DVD-Kollektionen erscheint und auf iTunes ein bisschen Taschengeld abwirft. Ich dagegen war mir nicht sicher, ob ich wirklich die Rechte an meinem Film für mehrere Jahre abschreiben sollte.

Ich wartete auf das perfekte Angebot, das niemals kam. In Gesprächen erfuhr ich, dass niemand wirklich zufrieden mit seinem Filmvertrieb war. Ein Freund von mir sah darin etwas Gutes: „Wenn alle schlecht sind, kann ich ja irgendeinen nehmen“, sagte er. Ich war unentschlossen. Ich wollte nur, dass mein Film gesehen wird – von so vielen Leuten wie möglich.

Matt Morris

Pickin‘ & Trimmin‘ lief zu dieser Zeit auf Dutzenden Festivals, auf PBS-Partnerprogrammen im Fernsehen und war schließlich sogar für einen Midsouth Emmy nominiert. Kurz, der Film war erfolgreicher, als ich es je für möglich gehalten hätte. Und trotzdem lag er am Ende nur bei mir herum. Wieso eigentlich? Was war zum Beispiel mit all den Bluegrass-Fans, die nicht auf Filmfestivals gehen? Dazu kam, dass der im Film porträtierte Frisörsalon dringend finanzielle Unterstützung benötigte.

Ich habe mich also bei Vimeo angemeldet, den Film hochgeladen und den Link an alle meine Facebook-Freunde und früheren Festivals verschickt mit der Bitte, ihn zu verbreiten. Ich war sicher, den Stein ins Rollen gebracht zu haben.

Im ersten Monat hatte der Film gerade einmal 722 Views.

Offensichtlich hatte ich etwas falsch gemacht. Aber was? Zuerst versuchte ich, die mäßige Resonanz zu erklären. Mit knapp 20 Minuten ist der Film zu lang, um als virales Video zu funktionieren. Und auch das Thema war vielleicht nicht massenkompatibel genug. Aber ich hätte es besser machen können. Zufällig stieß ich auf einen Blogeintrag bei Short of the Week. Darin stand etwas, wovon ich schon gehört hatte, was ich aber nie wirklich ernst genommen hatte: Auch ein Film im Netz will richtig präsentiert werden.

Aus Interesse unternahm ich Anfang Dezember einen zweiten Versuch. Ich recherchierte Bluegrass-Seiten, tauchte in die Vimeo-Community ein, kontaktierte Filmblogs und verschickte schließlich noch einmal rund 150 E-Mails an alle, von denen ich dachte, ihnen könnte der Film gefallen.

Inzwischen hat Pickin‘ & Trimmin‘ über 130.000 Views. Der Film war ein Vimeo „Staff Pick“, wurde auf Boingboing, Esquire, Devour, unzähligen Bluegrass-Seiten und vielen privaten Blogs verbreitet. Insgesamt sahen online zehn Mal so viele Menschen den Film in einem Monat als zuvor in drei Jahren auf Festivals und im TV.

Was ich daraus gelernt habe: Wenn du einen guten Film hast, gibt es auch ein Publikum. Aber es ist deine Aufgabe, sie zusammenzubringen. Du brauchst einen Plan. Wenn du keine Zeit hast, such dir jemanden, der sie hat. Sei flexibel, denn jeder Film braucht eine eigene Strategie. Ich konzentrierte mich beispielsweise zunächst auf die Bluegrass-Szene und bemerkte eher zufällig, dass auch einige Frisörsalons den Film zeigten. Daraufhin schrieb ich bewusst einige Websites an, die sich mit Männermode und Herrenstyling befassten. Dadurch wurde der Film in Kreisen verbreitet, an die ich vorher nie gedacht hätte.

Mit meinem zweiten Film, Mr. Happy Man, versuchte ich, aus dieser Erfahrung zu lernen. Ich suchte mir relevante Blogs schon vorher aus. Ich veröffentlichte den Film sonntags um Mitternacht, um die ganze Woche vor mir zu haben. Dann schickte ich gleichzeitig E-Mails mit dem Link an alle Freunde, Bekannte und Unterstützer. In den ersten vier Tagen wurde der Film mehr als 100.000 mal geklickt. Inzwischen hat er Pickin‘ & Trimmin‘ sogar überflügelt – in deutlich kürzerer Zeit.

Natürlich stellt sich an dieser Stelle immer die Frage nach der Profitabilität des Ganzen. Es gibt keine Strategie dafür, wie man einen erfolgreichen und gleichzeitig gewinnbringenden Kurzfilm produziert. Ich hatte Glück: Die Produktionskosten von Pickin‘ & Trimmin‘ waren verhältnismäßig gering und ich bekam Geld, weil er im Kabelfernsehen lief. Mr. Happy Man wurden zu großen Teilen über eine Kickstarter-Kampagne finanziert. Ich weiß, dass nicht alle Filmemacher dieses Glück haben.

Trotzdem glaube ich, dass der beste Platz für Kurzfilme inzwischen im Netz ist. Für mich jedenfalls hat es sich gelohnt: Abgesehen von der positiven Presse stiegen auch die Verkaufszahlen meiner DVD von Pickin‘ & Trimmin‘ deutlich an (der Gewinn liegt hier deutlich höher als bei iTunes). Bei Mr. Happy Man sind es die T-Shirts, die sich gut verkaufen. Insgesamt habe ich von der Veröffentlichung im Netz stärker profitiert als in all den Jahren, in denen ich mich mit Festivals und klassischen Vertriebswegen herumgeschlagen habe.

Daher meine Empfehlung an alle Filmemacher: Wenn euer Festivallauf vorbei ist und ihr keine umwerfenden Angebote habt, stellt eure Arbeit ins Netz – frei und ohne Einschränkungen. Auch Kurzfilme wollen gesehen werden und es gibt eine Menge Leute, die eine gute Arbeit schätzen und auch entsprechend entlohnen.

– Matt Morris

(Aus dem Englischen übersetzt)