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Netzfilm der Woche: „The Centrifuge Brain Project“

 

Was geschieht mit unserem Gehirn, wenn man es extremer Fliehkraft aussetzt? Dieser Frage geht das Centrifuge Brain Project aus Florida unter der Leitung von Dr. Nick Laslowicz nach. Waren die ersten Experimente noch ein Desaster, weil die Bauten ständig auseinanderflogen, hat das Projekt dank der Unterstützung einer Vergnügungsparkgesellschaft inzwischen mehrere Achterbahnen entworfen, eine tollkühner als die andere.

Man merkt es schon, die ganze Sache ist nicht ganz erst gemeint. The Centrifuge Brain Project ist nämlich eine Mockumentary, also eine rein erfundene Doku. Hinter dem scheinbar so seriösen Wissenschaftler Doktor Laslowicz versteckt sich der New Yorker Kunstagent Leslie Barany.

Der schlaue Kopf hinter dieser Satire ist der Hamburger Künstler und Animationsfilmer Till Nowak. Nowak hatte ursprünglich Baupläne für fiktive Karusells im Rahmen eines Kunstprojekts entworfen, das unter anderem auf der Biennale in Seoul und der Ars Electronica ausgestellt wurde. Für The Centrifuge Brain Project hat Nowak Archivbilder, Animationen und wacklige Aufnahmen im Heimvideostil zusammengeführt, um daraus eine augenzwinkernden Kurzfilm zu machen, der in Form des leicht durchgeknallten Dr. Laslowicz die Wissenschaft als solche auf die Schippe nimmt.

Im vergangenen Jahr gewann Till Nowak mit seinem Kurzfilm ein paar Dutzend Preise auf diversen Filmfestivals. Wir sprachen mit dem Künstler über die Entstehung und Idee hinter The Centrifuge Brain Project.

(Hier geht es zu einer deutschen Version)

ZEIT ONLINE: Herr Nowak, sind Sie ein Fan von Vergnügungsparks?

Nowak: Mich haben diese riesigen Karussells schon immer fasziniert. Diese Kombination aus den verspielten Fassaden und den unglaublichen Maschinen dahinter – für mich sind Achterbahnen mechanische Kunstwerke. Sie lösen bei mir eine Mischung aus Ehrfurcht und Faszination aus, weil man sich als Mensch so klein vorkommt, wenn man davorsteht.

ZEIT ONLINE: Wie kommt man denn auf die Idee, eine Mockumentary mit fiktiven Karussells zu produzieren?

Nowak: Begonnen hat es als Kunstprojekt ohne konkrete Erzählung. Ich hatte über Jahre hinweg Material von Vergnügungsparks gesammelt und digital manipuliert. Stilistisch erinnern die Sequenzen an Archiv-Aufnahmen, was mich auf die Idee brachte, sie in einer fiktiven Dokumentation zusammenzufassen. Mockumentaries wie Orson Welles Hörspiel Krieg der Welten von 1938 haben mich immer fasziniert. Ich versuche allerdings niemanden ernsthaft glauben zu lassen, dass die Geschichte meines Films wahr wäre. Der Film enthält einige absichtliche Widersprüche und auch der Abspann macht das deutlich.

ZEIT ONLINE: Was gehört noch zu dem Kunstprojekt?

Ein Plan des Kunstprojekts (© Till Nowak/Courtesy: Claus Friede*Contemporary Art)
© Till Nowak/Courtesy: Claus Friede*Contemporary Art

Nowak: Parallel zum Kurzfilm gibt es noch The Experience of Fliehkraft. Dieses Projekt besteht aus den fiktiven Bauplänen der Karussells als Ausstellungsinstallation in Kombination mit den kurzen Videoclips der einzelnen Karussells. Die limitierten Drucke der Konstruktionspläne erscheinen auf den ersten Blick real, sind aber inhaltlich völlig absurd.

ZEIT ONLINE: Der Film besteht aus 3D-Animationen, Archivaufnahmen und Found Footage. Was macht den Reiz dieser Mischung aus?

Nowak: Der Reiz der wackeligen Handkamera liegt in der Illusion von Realität und dem Gefühl des Betrachters, selbst Augenzeuge des Geschehens zu sein. Wir sind durch Handyvideos im Internet und in den Nachrichten an diesen „Augenzeugen“-Look gewöhnt und wollen ihm Glauben schenken. Das Projekt ist daher auch eine Metapher für unseren Glauben an den ewigen Fortschritt und die Medienwirklichkeit. Als Künstler finde ich diesen Stil auch deshalb sehr interessant, weil er der Sterilität von Computeranimationen entgegenwirkt. Die technisch aufwändigen und präzisen Arbeitsvorgänge, bei denen für 10 Sekunden häufig ein bis zwei Wochen Arbeit notwendig sind, sehen nun aus, als wären sie im Vorbeigehen aufgenommen.

ZEIT ONLINE: Auch Ihre anderen Projekte scheinen stets die Wirklichkeit zu verfremden. Ist das Ihr Markenzeichen?

Nowak: Ich würde meine Technik als eine Art „Sampling“ bezeichnen, also das Extrahieren und Verfremden von Teilen der Realität. Darin liegt für mich ein größerer Reiz als im Erstellen vollständig virtueller Welten. Für mich ist das wie Träumen – im Traum verarbeitet man ja auch seine realen Erfahrungen und Erinnerungen auf teilweise abstruse Art und Weise. Wir sind direkt tiefer drin und näher dran, wenn der Anknüpfungspunkt zu einer surrealen Idee unsere ganz unmittelbare Realität ist.

ZEIT ONLINE: Sie haben in der Vergangenheit schon andere erfolgreiche Filme gedreht. Was war das Besondere an diesem Projekt?

Nowak: Es ist ein sehr persönlicher Film. Die Kirmes steht für meine Kindheit in den Achtzigern. Außerdem träumte ich früher immer davon, einmal „verrückter Wissenschaftler“ zu werden. Dass ich den Inhalt des Films irgendwie schon immer mit mir herumgetragen habe, merkte ich auch daran, dass ich den Monolog des Professors in wenigen Stunden heruntergeschrieben habe. Und zwar nicht nur die kurzen Teile aus dem Film, sondern über eine Stunde Text, aus dem es aber nur ausgewählte Teile in den Film geschafft haben. Ein Highlight der Produktion waren die Aufnahmen mit Leslie Barany, der eigentlich der Kunstagent von HR Giger ist.

ZEIT ONLINE: Was erhoffen Sie sich nun noch von der Online-Veröffentlichung? Ist das nur noch die Kür?

Nowak: Als Kurzfilmmacher ist das Veröffentlichen des Films im Internet ein ganz besonderer Moment, denn nach einem Jahr voller Filmfestivals beginnt das Leben des Filmes jetzt praktisch nochmal von vorne, nämlich für das Online-Publikum. Wenn ein Kurzfilm im Internet hohe Klickzahlen erreicht, ist außerdem die Aufmerksamkeit der großen Filmstudios gewiss. Bei mir trudeln nach jeder solchen Veröffentlichung eine Menge Anfragen ein. Beides, die Filmfestivals und die Onlinepräsenz, sind eine tolle Belohnung, wenn man so lange an einem Film gearbeitet hat.