Eines morgens sind sie da, die beiden Beobachter. Mit Trenchcoat und Schlapphut stehen sie vor dem Bett des Bankangestellten K. und kritzeln in ihre Notizbücher. Woher sie kommen? Das dürfen sie nicht sagen. Wie lange sie bleiben? Auch das nicht. Sicher ist nur, dass sie K. künftig auf Schritt und Tritt begleiten müssen.
Es sind nicht nur der Titel und der quasi namenlose Protagonist von Roman Gonthers Kurzfilm Die Beobachtung, die an Kafka erinnern. Auch die ständige Überwachung, die scheinbar übermächtigen Behörden, spielen eine wichtige Rolle. So scheint es jedenfalls. Denn je länger Die Beobachtung geht, desto mehr Interpretationsmöglichkeiten ergeben sich. Im Interview spricht Roman Gonther über die Entstehung des Films, und wieso er glaubt, dass Netzfilme zwar Potenzial haben, aber noch keine Alternative zum Kino sind.
(Hinweis: Es geht im und nach dem Abspann noch weiter. Also dranbleiben.)
ZEIT ONLINE: Herr Gonther, wie viel Kafka steckt in Die Beobachtung?
Roman Gonther: Der Ausgangspunkt war, eine Geschichte zu erzählen, die von Kafka hätte sein können. Das Thema Beobachtung und Selbstbeobachtung ist bei ihm sehr wichtig und es gibt diese merkwürdige Logik in seinen Geschichten, in denen ein Problem immer mehr zu verschwimmen scheint, je mehr man darüber weiß. Und tatsächlich haben Kafkas Geschichten auch jede Menge schrägen Humor. Das wird leicht übersehen. Auf der Handlungsebene ist Die Beobachtung ein klassisch erzählter fantastischer Thriller mit skurrilem Humor. Aber es gibt natürlich eine tiefere Bedeutung: Woher kommen die Beobachter, wofür stehen sie?
ZEIT ONLINE: Sie haben den Film auf diversen Festivals gezeigt, auch international. Glauben Sie, dass der klassische Festivallauf in Zukunft durch das Internet bedroht ist?
Gonther: Auf Festivals sollte man Filme in ihrer bestmöglichen Umgebung präsentieren. Deshalb halte ich eine Gleichzeitigkeit, wie sie etwa auf dem Sundance Filmfestival stattfindet, nicht für sinnvoll. Das wird der Sache weder auf der einen noch auf der anderen Seite gerecht, und suggeriert eine gewisse Beliebigkeit im Umgang mit unterschiedlichen Medien. Gerade dadurch entsteht in der Tat eine Konkurrenz, die es nicht geben sollte. Besser wäre es, die Festivalmacher würden ein eigenes Panel für Netzfilme machen und diese auch ausschließlich im Netz zeigen.
ZEIT ONLINE: Haben Sie schon einmal überlegt, einen Kurzfilm von Anfang an online zu vertreiben?
Gonther: Kurzfilme im eigentlichen Sinne habe ich keine mehr geplant, aber tatsächlich wälze ich gerade mehrere Stoffe für eine oder mehrere Miniserien, die ausschließlich fürs Netz produziert und anschließend über eine dieser Plattformen vertrieben werden sollen. Das ist noch am Anfang, wird aber sicher spannend. Denn natürlich bietet der Online-Vertrieb auch Chancen und Möglichkeiten, sehr gute sogar, gerade für kleine Produktionen mit den richtigen, maßgeschneiderten Formaten.
ZEIT ONLINE: Wo sehen Sie die Schwierigkeiten?
Gonther: Das Internet hat viel versprochen, aber wenig gehalten. Nach all den Seminaren, die man besucht hat, über den Filmproduzenten der Zukunft, der leicht und locker seinen Film mit minimalem Aufwand über das Netz nicht nur promotet und vertreibt, sondern sogar finanziert, sieht man oft nur noch lange Gesichter. Zum einen ist jetzt, da jeder ein „Filmemacher“ ist, oder glaubt, einer zu sein, das Grundrauschen so hoch, dass man sich nur mit enormem Aufwand Gehör verschaffen kann. Qualität alleine reicht nicht mehr, wenn Katzenvideos zu Klickmillionären werden.
ZEIT ONLINE: Und zum anderen?
Gonther: Das sind die Gewinne, die sich im Netz erzielen lassen. Neun Euro für eine Filmflatrate ist keine Basis. Da bleibt für den einzelnen Film nicht viel übrig. Das ist allenfalls als Drittauswertung für Klassiker sinnvoll, aber dafür zu produzieren, ist nicht möglich. Neulich musste ich mir auf dem Münchener Filmfest anhören, das sei ja alles gar nicht so schlimm. Man würde zwar am einzelnen Zuschauer nichts mehr verdienen, bekäme aber doch durch das Netz plötzlich Millionen neuer Zuschauer, etwa auch in Indien und Afrika. Das Problem ist aber, dass die sich schon aufgrund kultureller Unterscheide für unsere Filme gar nicht interessieren. Um erfolgreich zu sein, müsste man dann nur noch kulturellen Einheitsbrei produzieren. Und das kann weder im Sinne der Filmemacher noch der Zuschauer sein.
ZEIT ONLINE: Was erhoffen Sie sich persönlich noch davon, dass der Film nun auch online zu sehen ist?
Gonther: Die Beobachtung ist durch und durch ein Kinofilm. Die Bilder kommen erst auf der Leinwand richtig zur Geltung. Es kommt auf die Details an und man muss schon konzentriert dabei sein. Vor allem muss man ganz bis zum Ende dran bleiben, also über den Abspann hinaus, sonst verpasst man die Auflösung. In diese Endtitelsequenz ist viel Zeit geflossen, und sie hat im Kino jedes Mal wunderbar funktioniert. Ob das allerdings netztauglich ist, weiß ich nicht. Ich merke selbst, wie meine Aufmerksamkeitsspanne in den Keller fällt, wenn ich mich durch Vimeo klicke. Zwanzig Minuten ist da fast schon episch.
ZEIT ONLINE: Sie haben sich trotzdem dafür entschieden, ihn auf Vimeo zu stellen.
Gonther: Ja, zumal der Film heute aktueller erscheint als zum Zeitpunkt seiner Entstehung. Für mich stand beim Schreiben der ganze Aspekt Datenklau und Überwachung gar nicht im Vordergrund. Das war immer nur scheinbar der Kern der Geschichte. Aber jetzt installieren sich die Menschen mit Konsolen, Smart TVs und demnächst auch mit Feuermeldern von Google freiwillig Kameras ins Haus, ohne es irgendwie komisch oder absurd zu finden. Vor diesem Hintergrund finde ich es faszinierend, wie sich meine eigene Wahrnehmung der Geschichte seit der Entstehung „erweitert“ hat. Vielleicht macht es bei einigen Zuschauern ja auch „klick“, wenn sie plötzlich statt ihrem Smartphone Zack und Matthias (die Namen der Schauspieler, Anm.) als Beobachter gegenüber stehen.