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Eine rechtsextreme Spur – das Medienlog vom Mittwoch, 7. August 2013

 

Die Soko Bosporus ging nach dem Mord von Ismail Yaşar doch intensiver von einem rechtsextremen Hintergrund aus als bislang bekannt. Das wurde am 32. Verhandlungstag mit Aussage des Beamten Manfred H. klar und beschäftigte die Medien: WAZ: „Ermittler sah früh ausländerfeindliches Motviv der NSU-Morde“, Spiegel Online: „Ermittler ging von ausländerfeindlichem Motiv aus“, ZEIT ONLINE: „Beinahe auf der rechtsextremen Spur“.

An jedem Werktag fassen wir im NSU-Prozess-Blog die wichtigsten Medienberichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

„Phantome auf Fahrrädern“: Nach Einschätzung von Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung wird am letzten Verhandlungstag vor der Sommerpause deutlich, wie dicht die Polizei den Tätern auf den Fersen war. Mehrere Zeugen, die zum Mord an Ismail Yaşar verhört wurden, hätten von verdächtigen Radfahrern berichtet. „Rückblickend ist es verblüffend, wie gut alles zusammenpasst“, schreibt Schultz. Für Tom Sundermann von ZEIT ONLINE stellt sich die Beweislage ebenfalls als wesentlich deutlicher heraus als bei mehreren anderen NSU-Morden.

Einen anderen Schwerpunkt setztFrank Jansen im Taggesspiegel. Ihm fällt die besondere „Kälte der Zeugen“ bei ihren Aussagen auf. Als Beispiel nennt er die Aussage der Polizistin, die zum ermordeten Ismail Yaşar gerufen wurde und davon erzählt habe, „als sitze sie mit Freunden beim Bier“. Der Autor nennt ein weiteres Beispiel: Die Aussage des Polizisten, der Fotos zum Mord an Abdurrahim Özüdoğru erläuterte. Die blutige Leiche sei mehrmals zu sehen gewesen, der Beamte aber habe betont, wie unordentlich die Wohnung sei. „Immer wieder zeigte sich ein Mangel an Empathie bei Zeugen, die sich wohl als Teil der ’normalen Leute‘ sehen würden“ kommentiert Jansen. Im Prozess sei zu ahnen, warum Neonazis „die Kälte normaler Menschen“ als stille Zustimmung wählen.

Die Gelassenheit der Polizistin am 32. Verhandlungstag fällt auch Julia Jüttner unangenehm auf. Auf Spiegel Online schreibt sie: „Eine gewisse Nüchternheit und Sachlichkeit ist sicher fester Bestandteil bei der Ermittlungsarbeit, Abgebrühtheit kann die Folge sein. Doch wenn eine 35 Jahre alte Polizeibeamtin über einen ermordeten Imbissbesitzer sagt: ‚Der Notarzt hat dann festgestellt, dass die Person ex ist‘, dann sind das doch Momente, in denen man sich wünscht, einem Beamten gelänge es, der verbalen Verrohung Einhalt zu gebieten.“

Die Autoren nutzen den Beginn der Prozess-Sommerpause außerdem für eine Zwischenbilanz, etwa Holger Schmidt vom SWR („Von krawallig bis halbherzig“), Christian Gottschalk in der Berliner-Zeitung („32 Tage Schweigen“) und dpa-Korrespondent Jochen Neumeyer in der NWZ („Noch viel Spielzeit“) sowie Murat Durdu und Bayram Aydın in der türkischsprachigen Tageszeitung Zaman. Bundesanwaltschaft und Nebenklage-Vertretung seien demnach grundsätzlich zufrieden mit dem Prozessverlauf. Laut Gerichtssprecherin Andrea Titz könne sich der Prozess außerdem bis Anfang 2015 in die Länge ziehen.

„Zwischen Wunsch und Wirklichkeit“:  „Es geht um Schuld, nicht um die Ermittler“, stellt Kerstin Eigendorf im Westfalen-Blatt klar, das sei „eines der größten Missverständnisse dieses Prozesses“. Auf die Frage, was bis zur Sommerpause erreicht wurde, gebe es, je nach Perspektive, reichlich Antworten. Mittlerweile sei Ruhe und Disziplin im Prozess eingekehrt, resümiert Eigendorf weiter. Laut Oberlandesgericht seien allerdings im Schnitt nur noch ein Drittel der Reporter anwesend, die zu Beginn dabei waren. Die Allgemeinheit interessiere vor allem das Ergebnis. „Dabei muss allen klar sein, dass kein Gericht der Welt angesichts von mindestens zehn Ermordeten Gerechtigkeit herstellen kann. Der mittlerweile nicht mehr von Pannen und juristischen Winkelzügen überschattete Verlauf lässt aber hoffen, dass am Ende zumindest ein Urteil herauskommt, das Bestand hat.“

Mit dem Wort Zwischenbilanz hat Ursula Knapp von der Frankfurter Rundschau Schwierigkeiten, sie will ihren Kommentar als Zwischenbericht verstanden wissen. Für Knapp hat der Prozess drei Aufgaben: Die Klärung der Schuld, zu klären, warum die Sonderkommission so lange falsche Spuren verfolgte, und das Vertrauen in die Justiz zu verbessern. „Auf allen drei Feldern ist das Oberlandesgericht bisher weiter gekommen als man hoffen konnte“, resümiert Knapp. „Der blamable Start ist nicht vergessen, aber er ist nicht mehr vorherrschend.“

Die Autoren der taz beleuchten die Perspektive der Nebenkläger. Diese hielten die Anfangsschwierigkeiten des Verfahrens inzwischen für überwunden. Nebenkläger-Anwalt Andreas Hoffmann kritisiere allerdings, dass nur über die Anklageschrift verhandelt werden soll und weitere Anträge der Opfervertreter nicht unterstützt würden.

Von den Befangenheitsanträgen zum Prozessauftakt bis zum Mordfall Mehmet Turgut: Cemil Albay fasst für die türkischsprachige Sabah kurz zusammen, was in den 32 Verhandlungstagen geschah. Er hebt mehrere Verhandlungstage hervor: So etwa den 6., an dem besprochen wurde, dass Carsten S. an einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft teilgenommen haben soll, den 15. Verhandlungstag, an dem es um das Haus in Zwickau ging und um die Frage, wem das vierte Bett im Haus gehörte; am 16. Verhandlungstag sei Zschäpe außerdem schockiert gewesen, als sie das Bild der Leiche ihres mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos sah. Ein weiterer Punkt: die Vernehmung der Nachbarn Zschäpes, die unter anderem aussagten, dass sie Zschäpe zunächst für eine Prostituierte hielten.

Der türkische Sender TRT veröffentlicht eine kurze Zusammenfassung der Aussage des Gerichtsmediziners Manfred H., der Ismail Yaşar obduziert hatte. Dieselbe Meldung veröffentlicht das Online-Portal Dünya Bülenti.

Abseits vom Verhandlungstag kritisiert Lena Kampf auf stern.de ein Interview, dass die Anwältin Ralf Wohllebens, Nicole Schneiders, der rechten Zeitschrift Zuerst gegeben hat („Wohlleben-Anwältin: exklusives Interview in rechtsextremer Gazette“)

Nach wie vor keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, den 7. August und trotz Sommerpause wie gewohnt jeden Werktag.