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Die Zeugin war sich sehr sicher, die Behörden nicht – das Medienlog vom Samstag, 7. September 2013

 

Bestimmendes Thema in den Berichten zum 34. Prozesstag war die Aussage einer Zeugin, die nach Meinung vieler Medien von den Behörden nicht ernst genommen wurde. Es ging um den Mord an Ismail Yaşar im Juni 2005. Die Zeugin hatte zwei Männer am Tatort beobachtet, bei denen es sich um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehandelt haben könnte und diese Männer auf Videobildern vom Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße wiedererkannt.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

„Was nach einem Durchbruch bei den Ermittlungen hätte klingen können, wurde jedoch verkannt“, kommentiert Julia Jüttner dazu auf Spiegel Online („Die verkannte Zeugin“). Irritierend sei, dass die Zeugin Beate K. sich zwar „sehr sicher“ war die Männer wiedererkannt zu haben, die Beamten allerdings ein „ziemlich sicher“ vermerkten. Ebenfalls merkwürdig fand Jüttner, dass „Beate K. Fahndungsfotos von Männern vorgelegt wurden, die – wie sie sagt – türkischer oder griechischer Abstammung waren, obwohl sie von ihrer ersten Aussage bei der Polizei an immer betont hatte, dass die beiden Radfahrer „helle Haut“ gehabt hätten.“

Die Änderung der Zeugenaussage ist auch Thema in dem Bericht von Mirko Weber in der Berliner Zeitung: „Polizei verfolgt wichtige NSU-Spur nicht“: „Trotz der Aussage von Beate K. zu den Radlern, wird deren Spur nicht weiterverfolgt“, kommentiert der Autor.

Dass die Beamten „ziemlich sicher“ statt „sehr sicher“ vermerkten, ist dagegen kein Thema im Bericht der Deutschen Welle. Autor Marcel Fürstenau schreibt: „Die Zeugin ist sich „ziemlich sicher“, dass es dieselben Männer sind, die sie exakt ein Jahr später von Angesicht zu Angesicht in ihrer Heimatstadt Nürnberg gesehen hat.“

Ebenfalls in der Deutschen Welle zieht Hans Peiffer eine Zwischenbilanz zum Prozess. Auf die Frage hin, ob der Prozess eine Abschreckende Wirkung auf potentiell gewaltbereite Neonazis habe, sagt Pfeiffer: „Die Szene wurde nicht abgeschreckt, sie bleibt gefährlich.“  Es hätte im Gegenteil in der letzten Zeit zahlreiche Aufmärsche von Neonazis gegeben – das sei alarmierend.

Für Tim Aßman gibt es noch einen sechsten imaginären Angeklagten: die deutschen Sicherheitsbehörden. Er kritisiert im Bayerischen Rundfunk, dass die Behörden der Zeugin die Bilder aus der Kölner Keupstraße erst ein Jahr nach ihrer ersten Vernehmung vorlegten. Anderen Zeugen, die ebenfalls Radfahrer gesehen hatten, seien die Videos aus Köln nicht gezeigt worden. Aßman zitiert Nebenläger-Anwalt Mehmet Daimagüler: „Wenn eine Zeugin so präzise Aussagen macht, stellt man sich die Frage, warum die Spur nicht weiter verfolgt wurde.“

„Die Aufnahmen hätten auch so etwas wie der Schlüssel für die Aufklärung der NSU-Mordserie sein können. Wenn man ihn denn benutzt hätte“, kommentiert Lena Kampf auf stern.de. Bei fast allen Morden hätte es Hinweise auf Radfahrer gegeben, die die Behörden allerdings ignorierten. Dem Leiter der Ermittlungen zum Nagelbombenanschlag sei aufgefallen, dass mehrmals Radfahrer gesehen wurden. Daraufhin sollte es laut Akten, aus denen die Autorin zitiert, eine Analyse des Verfahrens Bombenanschlag Köln und der Tötungsserie geben.

Doch dazu kam es nicht: Für die Ermittler seien die beiden Fälle „Äpfel und Birnen“ gewesen: „Anstatt dem entscheidenden Hinweis weiter nachzugehen, wurde die „Vergleichende Fallanalyse“ wenig später beerdigt“ schreibt Kampf. Und weiter: „In einem Vermerk über ein Treffen zwischen den Ermittlern aus Köln und Nürnberg im März 2007 heißt es lapidar, dass es sich bei dem Nagelbombenanschlag schließlich „nicht um eine gezielte Aktion in Richtung Einzelperson gehandelt“ habe, sondern es sei „eben eine Art Globalvorstoß gegen Türken gewesen.““

Im Mittelpunkt des Berichts von Alf Maier, ebenfalls für den Bayerischen Rundfunk, stehen die Angehörigen des ermordeten Ismail Yaşar. Die Mutter und ein Bruder des Opfers waren zum Prozesstag angereist. Die 82-jährige Mutter des Mordopfers habe es als unverschämt empfunden, dass Beate Zschäpe während der Verhandlung gelacht habe. Ismail Yaşars Bruder habe den Eindruck dass „diese Frau entweder eiskalt ist oder dass sie glaubt, einfach davonzukommen“.

„Gute Zeugen, träge Ermittler“: Tom Sundermann thematisiert auf ZEIT ONLINE ebenfalls die Anwesenheit von Mutter und Bruder des Mordopfers. Der Mordfall Yaşar hebe sich außerdem von den anderen Morden ab, weil er bemerkenswert gut durch Zeugenaussagen dokumentiert sei. Es scheine zunächst so als hätten die Ermittler mustergültige Arbeit geleistet, doch die Ergebnisse bekämen schnell Risse. Etwa sei unklar warum nicht alles Zeugen im Mordfall Yaşar die Videoaufnahmen aus der Keupstraße zu sehen bekamen.

Die Autoren der taz hatten erneut die Möglichkeit durch die Zusammenarbeit mit Radio Lotte am Prozess teilzunehmen und fassten den 33. und 34. Prozesstag in einem Bericht zusammen: „Wichtige Zeugin tritt auf“.

Eine kurze Meldung zum NSU-Prozess wurde auf dem türkischsprachigen Onlineportal Turkish NY veröffentlicht.

Keine Berichte zum NSU-Prozess in den englischsprachigen Onlinemedien.

Ab Montag den 9. September erscheint das Medienlog wieder wie gewohnt jeden Werktag, der nächste Verhandlungstag ist für den 17. September angesetzt.