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Mit dem Wohnmobil erst in den Urlaub, dann zum Mord – das Medienlog vom Donnerstag, 10. Oktober 2013

 

In den Berichten über den 44. Verhandlungstag ging es um drei Themen: Den Mord an Ismail Yaşar, den Gisela Friedrichsen von Spiegel Online als „den wahrscheinlich am besten von Zeugen beobachteten tödlichen Überfall“ bezeichnet. Außerdem handeln die Artikel von Mietfahrzeugen sowie von Zeitungsartikeln, auf denen sich Beate Zschäpes Fingerabdrücke fanden. Und ihre Zellennachbarin ließ sich interviewen.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Zum Mord an Yaşar hatten schon zuvor zwei Zeuginnen ausgesagt (vgl. Medienlog vom 7. September). Der Zeuge Mütasam K. schilderte nun, dass er zwei junge Leute mit Rädern „in aller Seelenruhe“ die Straße habe überqueren sehen.

Für SPON-Reporterin Friedrichsen lassen die Aussagen folgendes Muster erkennen: „Überfälle mitten am Tag, bei vollem Geschäftsbetrieb; die mutmaßlichen Täter offenbar ohne Angst vor ihrer möglichen Entdeckung, ganz im Gegenteil. Die Täter genossen diesen Kick, diesen besonderen Reiz des Risikos, augenscheinlich wie pubertierende Jugendliche. Sie handelten jeweils in Bruchteilen von Sekunden.“

Unter anderem benutzten die mutmaßlichen Terroristen bei der Anmietung der Fahrzeuge die Namen der Mitangeklagten Holger G. und André E. Friedrichsen schreibt dazu: „Das Erschreckende dabei ist wieder das Muster. Erweist sich die Anklage des Generalbundesanwalts als richtig, dann fuhren Böhnhardt und Mundlos – samt Zschäpe oder ohne sie? – mit dem gleichen Equipment in den Urlaub, mit dem sie sich auch zum Morden aufmachten.“

Für Tom Sundermann von ZEIT ONLINE ist der „Fahrzeug-Komplex“ Hinweis für die „akribische Tarnung des NSU“: „Den Vermietern gaben Mundlos und Böhnhardt Handynummern, die sie von Strohleuten hatten registrieren lassen, berichtet der Beamte V. Darunter war eine Frau, der Beate Zschäpe in einer Fußgängerzone 20 Euro in die Hand drückte, damit sie in einen Handyladen ging und den Mobilfunkvertrag abschloss.“

68 Zeitungsartikel werteten die Ermittler aus, die zu einem Archiv über die NSU-Morde gehörten. An zwei von ihnen ließen sich Fingerabdrücke von Beate Zschäpe nachweisen. Für Zschäpes Verteidiger Wolfgang Stahl sei der Beweis damit erledigt, schreibt Sundermann, da sich mehr Spuren an den Artikeln hätten befinden müssen. Kai Mudra zitiert Stahl in der Thüringer Allgemeinen: „Er verwies darauf, dass die Bundesanwaltschaft in der Anklage einen ’nicht unwesentlichen Teil ihres Beweisgebäudes auf die These eines umfangreichen Zeitungsarchivs‘ stütze.“

Frank Jansen vom Tagesspiegel ist der Meinung, dass die Verteidiger Zschäpes auch vom „schwachen Auftritt“ der aussagenden Polizistin profitiert hätten, weil diese die Zeitungen zunächst falsch zugeordnet hatte.

In den türkischen Zeitungen sind nun Berichte vom vorgestrigen Verhandlungstag online verfügbar. Thema ist in allen Berichten Exkanzler Gerhard Schröder, den der NSU offenbar auch im Visier hatte. (Vgl. Medienlog vom 9. September) „Wollten die Neonazis Schröder ermorden?“, titelt etwa die Hürriyet, die Akşam: „Sie wollten (wohl) auch Schröder töten“, die Zaman: „Der NSU plante (wohl) einen Angriff auf Schröder.“ Die Autoren beschreiben die Fotomontage, auf der Schröder mit einem Judenstern und der Aufschrift „Du bist der Nächste“ zu sehen war.

Dieser Hinweis war auch Thema auf dem englischsprachigen Online-Portal Worldbulletin. Der NSU hätte die Fotomontagen womöglich auch verwenden wollen, um Poster oder T-Shirts zu drucken, vermutet der Autor.

Natalie Kettinger von der Münchner Abendzeitung und Rahmi Turan von der türkischsprachigen Sabah haben mit einer Zellnachbarin Zschäpes gesprochen. Die Frau, die sich Renata Wilmers nennt, sitzt ebenfalls im Münchner Gefängnis Stadelheim und erzählt über Zschäpes Verhalten in Haft. Die habe dort viele Bewunderinnen. Außerdem genieße sie Hafterleichterungen, die anderen Gefangenen nicht zustünden. Sie nennt als Beispiel, dass Zschäpe uneingeschränkt private Kleidung besitzen dürfe und Telefonate nicht, wie die anderen Häftlinge, zuvor bei einer Sozialarbeiterin anmelden müsse. Außerdem vermutet Wilmers, dass Zschäpe gute Verbindungen „nach draußen“ habe, weil sie immer Geld habe.