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„Das wird ewig hängenbleiben“

 

Der Vater von Uwe Böhnhardt spricht den Opfern des NSU sein Beileid aus. Im Prozess gibt Jürgen Böhnhardt zu, nur wenig von der Radikalisierung seines Sohns mitbekommen zu haben.

Jürgen Böhnhardt wirkt nicht wie ein Mann, der kämpfen will. Mit buckligem Rücken kommt er in den Gerichtssaal, er spricht oft leise. Emotionen lässt er sich nicht anmerken, weder Wut noch Trauer. Es wirkt, als ertrage der 69-Jährige Rentner aus Jena sein Schicksal nur noch mit Gleichmut – das Schicksal, der Vater von Uwe Böhnhardt zu sein, der als Mitglied des NSU mutmaßlich für den Tod von zehn Menschen verantwortlich ist. Als solcher muss er am 78. Prozesstag im Terrorprozess aussagen.

Im Laufe der Sitzung wird deutlich, dass Böhnhardt weder das Bedürfnis hat, sich in den Mittelpunkt zu spielen, noch, die Sitzung zur politischen Debatte umzudeuten. Anders hatte sich seine Frau bei ihrer Vernehmung im November gegeben: Brigitte Böhnhardts Auftritt war von der ersten Minute an eine Kampfansage, eine Abrechnung mit Polizei, Staatsanwaltschaft und dem politischen System, das die DDR ablöste. Die Charakterunterschiede zwischen den Elternteilen sind offensichtlich – man kann sich vorstellen, wer zu Hause den Ton angibt.

Was die Fakten angeht, decken sich die Angaben des Paars zum größten Teil. Allerdings spricht Jürgen Böhnhardt weniger über die Zeichen von Uwes rechter Gesinnung, die seiner Frau nach eigenen Angaben deutlich aufgefallen waren. „Was hier verhandelt wird, ist höchstens unterschwellig mal angekommen bei uns zu Hause“, sagt er. Es scheint, als könne er bis heute kaum begreifen, dass sein Sohn sich in eine hasserfüllte Ideologie verrannt hatte. Schließlich habe es doch im Haus keine Klagen über ihn gegeben, sagt der Vater, außer wenn mal beim Gartenfest die Musik zu laut war.

Viel bekam Jürgen Böhnhardt jedoch nicht mit von daheim. Er arbeitete in der Jenaer Glasfabrik Schott, am Wochenende schob er oft noch 24-Stunden-Schichten in der Werksfeuerwehr. „Ich habe nicht übermäßig viel Zeit gehabt für meinen Sohn“, sagt Böhnhardt auf Nachfrage eines Anwalts.

Zu spät, um Uwe zu beeinflussen

Damals, Anfang bis Mitte der neunziger Jahre verlor der Vater Uwe zunehmend an die rechte Szene. Er habe „nicht geahnt, dass das so schlimm ist“, sagt er. Er verbot dem Sohn zwar, daheim Springerstiefel und Bomberjacke zu tragen – auf den rechten Demos, bei denen Uwe marschierte, präsentierte dieser sie jedoch stolz. Bei den Aufmärschen sei der Thüringer Rechtsextremist und V-Mann Tino Brandt an der Spitze gelaufen, Uwe mittendrin. „Das haben wir immer erst gesehen, wenn’s zu spät ist“, erinnert sich Böhnhardt. Zu spät war es irgendwann auch, Uwe so zu beeinflussen, „dass er ein ganz normaler Bürger wird. Oder bleibt“.

Mehrmals saß Böhnhardts Sohn Gefängnisstrafen ab. Die Eltern hielten dennoch weiter zu ihm, besuchten ihn in der Haft. „Da war er wieder wie ein kleines Kind, das geheult hat“, erzählt der Vater. Nachdem er die erste Strafe verbüßt habe, habe Uwe härter als zuvor gewirkt, sich nicht mehr so viel gefallen lassen. Die Zeit hinter Gittern habe „nicht viel geholfen“, resümiert der Vater.

Stattdessen radikalisierte sich der Sohn: Mit seinen Freunden Beate Zschäpe und Uwe Mundlos formierte er sich zu einer rechtsextremen Zelle. Als die Polizei in Zschäpes Garage eine Bombenwerkstatt entdeckte, flohen sie gemeinsam, auch weil Böhnhardt wegen mehrerer rechtsextremer Straftaten ein Gefängnisaufenthalt von mehr als zwei Jahren drohte. Die Eltern hörten nur wenig von ihnen, bis Mundlos und Böhnhardt im November 2011 nach einem missglückten Banküberfall auf der Flucht Selbstmord begingen.

Zwischenzeitlich bringt der Vater das über die Lippen, wozu sich seine Frau erst nach zwei Sitzungstagen durchringen konnte: einen Ausdruck des Bedauerns gegenüber den Nebenklägern. „Darf ich in dem Zusammenhang mein Beileid ausdrücken den Leuten, die Opfer geworden sind von den Uwes?“, sagt er. Es tue ihm „unendlich leid, was da passiert ist“. Er erinnert daran, dass er bereits seinen ersten Sohn Peter verloren hatte. Dieser war mit 17 Jahren unter nicht vollständig geklärten Umständen gestorben – „der Verlust von Angehörigen wird ewig an einem hängenbleiben“.

Zschäpe traut er die Taten nicht zu

Beate Zschäpe schlägt während diesen Worten die Augen nieder, deutlich ist zu sehen, wie sich ihr Brustkorb hebt und senkt. Sein Sohn, sagt Böhnhardt, habe „bösartige Sachen gemacht“, er sei „auch tot, auch erschossen worden“ – von Uwe Mundlos, der sich direkt danach selbst richtete.

Wie Böhnhardt seit 1998 damit umging, dass sein Sohn abgetaucht war, dazu lässt er nur wenig durchscheinen. Anfangs hätten die Eltern noch versucht, die drei dazu zu bewegen, sich der Polizei zu stellen. Doch die wollten nicht. Auch ein Angebot der Staatsanwaltschaft Gera, das dem jungen Böhnhardt einen Strafrabatt versprach, konnte sie nicht überzeugen.

Nach dem Untertauchen gab es drei Treffen zwischen den Eltern Böhnhardt und dem Trio. 1999, 2000 und 2002 kamen sie zu Verabredungen in einem Park in Chemnitz zusammen. Beim ersten Mal brachten die Eltern das Gespräch auf den möglichen Handel mit der Staatsanwaltschaft: „Wir haben das noch mal mit unseren Kindern besprochen. Das waren alles unsere Kinder“, sagt Böhnhardt über die Drei. Doch die hätten sich „ums Verrecken nicht“ stellen wollen. Richter Manfred Götzl fragt nach, ob die jungen Leute sich einig gewesen wären, was Böhnhardt bestätigt. Seine Frau hatte in ihrer Vernehmung gesagt, das Angebot sei am Widerstand von Uwe Mundlos gescheitert.

Eher am Rande der Vernehmung geht es auch um die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, mit der Uwe für einige Zeit liiert war. Damals wohnte sie für einige Wochen bei Böhnhardts, nachdem sie bei ihrer Mutter ausgezogen war. Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer will wissen, ob sich Vater Böhnhardt mit ihr auch mal über Politik unterhalten habe. Der springt gleich zum Kern der Frage und sagt, dass er sich bei ihr am wenigsten habe vorstellen können, in dem Terrortrio aktiv gewesen zu sein. Warum das, will Heer wissen. „Weil ich das einer Frau am wenigsten zutraue“, antwortet Böhnhardt. „Aber Ausnahmen gibt es sicherlich immer.“