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Ein Abschied für immer

 

Ilona Mundlos merkte nicht, wie ihr Sohn Uwe in die Nazi-Szene abdriftete. Als er mit seinen Kameraden untertauchte, konnte sie es nicht glauben. Nun hat die Mutter im NSU-Prozess ausgesagt.

Als Frau Mundlos ihren Sohn zum letzten Mal sieht, will sie gerade die Fleischtheke abdecken. Die Kaufhalle in Jena-Nord hat schon geschlossen, da tauchen Uwe und sein Kumpel André K. vor der Tür auf. Ilona Mundlos kommt heraus zu ihnen, trägt noch ihren Arbeitskittel. Er verschwinde jetzt, sagt Uwe. Polizisten hatten die Wohnungen von ihm und seinen Freunden Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt durchsucht, zudem in einer Garage Sprengstoff und Propagandamaterial gefunden. Ihm drohe eine Haftstrafe, sagt der Sohn, sieben Jahre, er müsse flüchten. Die Mutter fleht ihn an: „Ruf doch bitte deinen Vati an, tu mir den einzigen Gefallen.“ Dann verschwindet Uwe Mundlos.

Ilona Mundlos sagt, sie habe nicht geglaubt, dass es die letzte Begegnung war: am Mittwoch, den 28. Januar 1998, zwei Tage, nachdem Polizisten die Bombenwerkstatt des späteren NSU-Trios ausgehoben hatten. Und sie sei stets überzeugt gewesen, dass Uwe lebe, auch, als ihr Mann Siegfried sich schon sicher war, er sei tot. Tatsächlich starb Uwe erst am 4. November 2011 gemeinsam mit seinem Freund Böhnhardt, durch Selbstmord nach einem missglückten Banküberfall. Zwischenzeitlich sollen die beiden zehn Menschen erschossen haben.

Im NSU-Prozess spricht Frau Mundlos am 102. Verhandlungstag gefasst über ihr Schicksal, Mutter eines mutmaßlichen Mörders zu sein. Die Zeugin, schlank, schulterlange, blonde Haare, faltet die Hände auf dem Tisch. Die schwarze Stoffjacke mit dem Pelzaufsatz lässt sie den ganzen Tag über an. Gefasst wie nüchtern ist sie in ihren Antworten: Mundlos schmückt nicht aus, dramatisiert nicht, nimmt sich selbst zurück. Das ist fast schon eine Überraschung.

Die Mutter ist das fünfte Elternteil des NSU-Trios, das im Verfahren geladen ist. Als Zeugen waren bereits Brigitte und Jürgen Böhnhardt, Siegfried Mundlos und Annerose Zschäpe aufgetreten, letztere verweigerte die Aussage. Bei den anderen glich die Vernehmung in Teilen einer Tirade gegen Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft. Die Eltern, geplagt durch den Tod ihrer Söhne, suchten Schuldige für deren Werdegang. Siegfried Mundlos ging sogar soweit, Richter Manfred Götzl zu beleidigen.

Im Laufe der Vernehmung wird allerdings klar, dass Ilona Mundlos kaum mitbekam oder mitbekommen wollte, wie Uwe in die rechte Szene abdriftete. Wie er sich mit Gesinnungsgenossen in der Kameradschaft Jena zusammenschloss und auf Demos marschierte, das scheint an der Mutter vorbeigegangen zu sein. „Wir sind… oder waren eine glückliche Familie“, sagt sie. Der Uwe habe nie Schwierigkeiten gemacht. Als er sich mit seinem schwerbehinderten Bruder Robert noch ein Zimmer teilte, seien sie Hand in Hand eingeschlafen.

Allerdings bekam die Mutter nur Ausschnitte aus dem Leben ihres Sohns zu sehen: „Uwe war nicht so ein Mutti-Kind, er brauchte mich nicht so“, erzählt sie. Sie sei eher für Robert dagewesen, Uwe habe sich meist an seinen Vater gehalten. Und dann waren da noch die langen Arbeitszeiten: „Ich war wirklich mit der Kaufhalle verheiratet.“

Gut in Erinnerung ist ihr allerdings Beate Zschäpe, die frühere Freundin von Uwe. Die sei „ein liebes, nettes Mädchen“ gewesen, habe sich aber nicht alles gefallen lassen. Als sie in eine Disco gehen wollten, zog Uwe seine Springerstiefel an – da habe sie zu ihm gesagt: „Zieh dich um, so können wir nicht gehen!“ Zwei bis drei Jahre dauerte die Beziehung, bis Uwe 1995 zur Bundeswehr ging. Da kam Zschäpe mit Böhnhardt zusammen. Ilona Mundlos sah sie nie wieder, bis zur Begegnung im Gericht.

Mit Uwes Freunden aus der Nazi-Szene wechselte Ilona Mundlos kaum ein Wort, auch nicht mit Böhnhardt. Wie sehr ihr Sohn für die rechte Ideologie glühte, merkte die Mutter erst nach der Flucht. Am 26. Januar 1998 kam es zu der Garagendurchsuchung. Beate Zschäpe rief Uwe an, der zu der Zeit in einem Internat das Abitur nachmachte. Er fuhr zurück nach Jena, ging zu seiner Mutter in die Kaufhalle: „Mutti, es ist was Schlimmes passiert“, habe er gesagt. Weil er Geld brauchte, gab Ilona Mundlos ihm ihre EC-Karte. Am nächsten Tag brachte die damalige Freundin des heutigen Mitangeklagten Ralf Wohlleben sie zurück. Am Tag darauf verabschiedete sich ihr Sohn.

Es folgten fast 14 Jahre Ungewissheit. Gelegentlich tauchten Fahnder auf, Verfassungsschützer, Polizisten. Dennoch erfuhr Familie Mundlos nichts von Uwes Schicksal. Bis am 4. November 2011 in der Frühe das Telefon klingelte. Eine Frauenstimme meldete sich: „Hier ist die Beate vom Uwe.“ Nach dem Selbstmord der Männer rief Zschäpe erst bei Böhnhardts an, dann bei Familie Mundlos. Sie habe mitgeteilt, „dass etwas Schlimmes passiert ist, dass der Uwe tot ist“, erinnert sich Mundlos. Was, das erfuhr sie erst später aus dem Fernsehen. Ob Zschäpe noch mehr gesagt habe, will Richter Götzl wissen. „Sie sagte, dass er uns lieb hat, bla bla so“, antwortet die Zeugin.

Wieder konnte Mundlos es nicht glauben. Zschäpes Stimme habe anders geklungen, als sie sie in Erinnerung gehabt habe, sagt sie. Erst später kam die Gewissheit, als die Nachrichten auf allen Kanälen liefen und die Polizei die Leichen identifiziert hatte. Da wusste Frau Mundlos, dass es damals wirklich die letzte Begegnung mit Uwe war – Mittwochabend, vor der Kaufhalle.