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V-Mann über Zschäpe: „Keine dumme Hausfrau“

 

Der Neonazi und frühere Spitzel Tino Brandt sagt im NSU-Prozess aus. Dem Terroristentrio bescheinigt er eine innige Freundschaft – und sieht Beate Zschäpe nicht als Unbeteiligte.

Früher führte er die Thüringer Nazis, war oberster Kopf derer rechtsextremer Propaganda-Pläne. Heute muss Tino Brandt sich selbst führen lassen. An einer Handschelle wird er von einem Polizisten zum Platz für die Zeugen im NSU-Prozess gebracht. Der 39-Jährige sitzt in Untersuchungshaft, er wurde überstellt aus dem Gefängnis in Gera, wo er wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch einsitzt. Drei Tage lang soll er in München als Zeuge aussagen, doch wahrscheinlich wird er noch öfter geladen.

Denn in der Person Brandt laufen mehrere Handlungsstränge zusammen, die für die Aufklärung der NSU-Morde wichtig sind: Er gründete die rechtsextreme Organisation Thüringer Heimatschutz (THS), zu deren Treffen auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kamen. Als die drei 1998 in den Untergrund flüchteten, sammelte er Spendengelder für sie und ließ gefälschte Pässe besorgen. 2001 enthüllte dann eine Zeitung, dass Brandt seit 1994 als Informant für den von ihm doch so verhassten Staat, für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, gearbeitet hatte.

Brandt ist seitdem eine bekannte Figur in Thüringen. Eine auffällige allzu mal: Sein Gesicht ist bleich und verquollen, auf den Wangen stehen Bartstoppeln. Auf dem massigen Kopf sitzt eine zu kleine Brille. Der Mann wirkt nicht gesund.

Seit der Enttarnung als V-Mann ist Brandt in der rechten Szene nicht mehr gelitten: „Ich habe den Fehler begangen, mit dem Landesamt zusammenzuarbeiten, was mich mein Leben, mein Alles gekostet hat“, sagt er. Seine Gesinnung aber ist bis heute dieselbe geblieben. Wegen „Zensur und Unterdrückungsmaßnahmen“ in der gerade wiedervereinigten Bundesrepublik habe er 1994 in einer Gaststätte den Stammtisch gegründet, aus dem sich der THS entwickelte, erzählt der Zeuge. Was er denn mit Zensur meine, fragt Richter Manfred Götzl. „Das, was man unter Revisionismus versteht“, sagt Brandt mit seiner dröhnenden Stimme, die bisweilen ins Nuscheln abgleitet, „wenn man sich wissenschaftlich mit bestimmten Zahlen zu Konzentrationslagern beschäftigt.“

Kameraden, die seine Vorstellung von der Verharmlosung des Holocausts teilten, fand er in Thüringen reichlich. Mit dem THS gelang ihm, sich als Sprecher der Neonazis zu positionieren. Anfangs kamen 20 Rechte beim Bier zusammen, später waren es 70 Mitglieder. Brandt ließ Flugblätter drucken und schickte seine Leute zu Demonstrationen. Bald war der THS ein Sammelbecken für die losen rechtsextremen Gruppen des Freistaats. Auch die Kameradschaft Jena mit ihren Mitgliedern Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger G. kam dazu – heute sind sie alle Angeklagte im Prozess. Zudem Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der Zeuge André K.

„Ich kenne die alle und habe sie sehr positiv in Erinnerung“, sagt Brandt. Diskussionen habe es aber über den Aufbau der Gruppen gegeben: Während er sich dafür einsetzte, viele Jugendliche als Neumitglieder zu rekrutieren, hätten die Jenaer auf das Prinzip „Qualität statt Quantität“ gesetzt: „Die Mitglieder dort waren gefestigter im Weltbild.“ Die Kameradschaft Jena begriff sich demnach also als Elitetruppe.

Beate Zschäpe etwa sei zwar ruhig gewesen, habe sich aber in Diskussionen eingebracht. Außerdem habe sie gezeigt, dass sie Fachwissen besitze, wenn Brandt zu einer Schulung zum Thema „Germanentum“ lud: „Sie ist keine dumme Hausfrau.“ Eine Einschätzung, die Zschäpes Verteidigern nicht gefallen dürfte – weil sie genau im Sinne der Anklage ist, wonach Zschäpe Mittäterin bei den Morden ihrer zwei Weggefährten gewesen sein soll.

Ähnlich verhält es sich mit Brandts Bewertung des ebenfalls im NSU-Prozess Angeklagten Carsten S., der damals ein Führungsamt bei der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten übernahm: „Er war eine Führungskraft, die sich da richtig reingekniet hat und Sachen selbst entscheiden konnte.“ S. hatte sich in seiner Aussage vor Gericht hingegen als Mitläufer dargestellt, der sich nur unwillig auf den Posten hatte hieven lassen.

Das spätere NSU-Trio aus Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt habe auf ihn vertraut gewirkt, die enge Freundschaft der drei war für ihn offensichtlich. Mundlos sei „der absolute Enkeltyp“ gewesen – „jede Oma hat sich schnell für ihn begeistern können“. Von Brandt, der damals bei einem Verlag arbeitete, ließ er sich Bücher über Rudolf Heß besorgen. Böhnhardt habe sich zurückhaltender verhalten, sei aber gerne mal in schwarzer Uniform zum Stammtisch gekommen.

1998 flüchteten die drei, nachdem Sprengstoff in Zschäpes Garage gefunden worden war. Brandt war vergleichsweise nah dran an ihnen. Und damit auch das Landesamt für Verfassungsschutz. An die Zusammenarbeit kann sich Brandt angeblich deutlich schlechter erinnern als an die Anekdoten von den THS-Treffen. Vielleicht, weil er sich nicht erinnern will: Die Fragen betreffen seine Kontakte zum Trio – und Brandts Antworten könnten für ihn strafrechtlich relevant sein, wenn er wissentlich eine Gruppe von Terroristen unterstützt hätte. Bislang allerdings läuft kein Ermittlungsverfahren gegen ihn.

Unstrittig ist, dass Brandt sich für die Untergetauchten einsetzte. Er veranstaltete ein Konzert, für das er statt Eintritt Spenden nahm. Auch Kameraden aus dem THS öffneten das Portemonnaie für die Untergetauchten, außerdem verkaufte er die rassistische Monopoly-Imitation Pogromly, die das Trio selbst gebastelt hatte.

Und schließlich war da noch „das Geld, das der Freistaat Thüringen gespendet hat“. Seine V-Mann-Führer steckten Brandt 2.000 Mark zu, mit denen sich die drei gefälschte Pässe besorgen sollten. Das, hofften sie, werde die Fahndung erleichtern. Erfolg hatte die Aktion nicht.