Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Will Zschäpe aussagen?

 

Der NSU-Prozess steht vor einem Umbruch: Beate Zschäpe hat ihren Anwälten das Misstrauen ausgesprochen. Möglicherweise will sie reden – gegen den Willen der Verteidiger.

Der Prozesstag, der die Zäsur im NSU-Verfahren bringen könnte, beginnt normal. Der Thüringer Neonazi Tino Brandt wird weiter befragt. Doch nach der Mittagspause verzögert sich der Sitzungsbeginn, erst um zehn Minuten, dann um eine halbe Stunde. Beate Zschäpe kommt erst in den Saal, geht wieder hinaus, dann stellt sie sich wieder zu ihren Anwälten Wolfgang Heer, Anja Sturm und Wolfgang Stahl. Sie macht ein grimmiges Gesicht, das ist anders, denn üblicherweise bewegt sie keine Miene. Seit 128 Verhandlungstagen zeigt die Hauptangeklagte eigentlich kaum eine Regung.

Vielleicht hat sie Kopfschmerzen, vielleicht ist ihr übel, wie schon häufiger in der letzten Zeit, spekulieren die Beobachter auf der Besuchertribüne. Ein paar Mal war die Hauptverhandlung deshalb auch unterbrochen worden.

Schließlich tritt der Strafsenat ein. Richter Manfred Götzl erklärt, was los ist: Ein Saalpolizist habe ihm in der Pause mitgeteilt, „dass sie kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger habe“. Er schaut zur Anklagebank: „Ist das richtig, Frau Zschäpe?“ Die Hauptangeklagte nickt.

Götzl weist Zschäpe darauf hin, dass sie ihr Misstrauen vor dem Gericht begründen muss. Bis Donnerstag um 14 Uhr hat sie Zeit, eine schriftliche Stellungnahme einzureichen, danach nähmen Bundesanwaltschaft und die Zschäpe-Anwälte ebenfalls Stellung. „Die Voraussetzung für eine Entbindung der Verteidigung ist eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses“, gibt der Vorsitzende ihr mit auf den Weg. Sturm, Heer und Stahl sind vom Gericht als Pflichtverteidiger bestellt worden, Zschäpe muss also Götzl und seine Kollegen davon überzeugen, wenn sie künftig von anderen Menschen beraten werden will. Anders als bei Wahlverteidigern, die der Angeklagte selbst bezahlt, können Pflichtverteidiger nicht so einfach von ihrem Mandat entbunden werden. Die Vernehmung des Zeugen Brandt wird abgebrochen, die für Donnerstag angesetzte Verhandlung entfällt.

Die Prozessbeteiligten hat die Nachricht völlig unvorbereitet ereilt. Heer, Sturm und Stahl lehnen auf dem Gerichtsvorplatz alle Fragen von Journalisten ab, sie wollen keine Stellungnahme abgeben.

„Das Ganze hat eine sehr hohe Brisanz“, sagt der Nebenklage-Anwalt Bernd Behnke. Denn würde Zschäpe erreichen, sämtliche Verteidiger ihres Mandats zu entheben, müssten sich neue Anwälte in die Materie einarbeiten. Das kann dauern – aber es darf nicht länger als 30 Tage dauern: Wird eine Verhandlung länger unterbrochen, ist sie vor dem Gesetz gescheitert – „dann müsste man den Prozess möglicherweise von vorn beginnen“, sagt Behnke, der mögliche NSU-Opfer vertritt. Er rechne jedoch damit, dass es nicht soweit kommt und bereits in der nächsten Woche wieder verhandelt wird.

Unklar ist bisher, ob Zschäpe alle drei oder nur einzelne Verteidiger ablehnt. In letzterem Fall wäre der Übergang zu einem neu zusammengestellten Team aus Beiständen leichter.

Was aber hat das Misstrauen verursacht? Unter den Opfervertretern kursieren zwei Theorien. Erstens: Zschäpe ist mit dem Verteidigungsstil der Anwälte unzufrieden. Zweitens: Sie möchte, wie sie einst vor einem Polizisten angekündigt hatte, aussagen – gegen den Willen von Heer, Stahl und Sturm.

„Meines Erachtens war es eine Frage der Zeit, bis Zschäpe die Konsequenzen aus der Verteidigung zieht“, sagt die Anwältin Angelika Lex. Die Verteidiger hätten Anträge gegen das Gericht, etwa Misstrauensanträge gegen die Richter, vorgebracht – und sich nicht auf die Entkräftung der Vorwürfe gegen Zschäpe konzentriert.

In den vergangenen zwei Tagen ging es im NSU-Prozess um Tino Brandt, der als V-Mann an den Thüringer Verfassungsschutz berichtet hatte. Doch zu seiner Spitzeltätigkeit hatten die Verteidiger am Mittwoch keine Fragen. Sie befassten sich mit Brandts Aussage, Zschäpe habe nicht wie eine „dumme Hausfrau“ gewirkt. „Man muss sich fragen, ob hier nicht Angriffe auf den Verfassungsschutz erfolgen sollten“, sagt Lex.

Behnke sagt: „Ich denke, dass die Fragen der Verteidigung der Angeklagten nicht gefallen haben.“ Er will indes ebenfalls nicht ausschließen, dass die Initiative von Heer, Stahl und Sturm ausging, die das Mandat loswerden wollten und Zschäpe um das Misstrauensvotum gebeten hätten.

Mehrere Beteiligte werten es als durchaus möglich, dass Zschäpe aussagen will. „Man muss das vielleicht so interpretieren, dass hier ein Umdenken stattgefunden hat“, sagt Lex. Sowieso sei für die Hauptangeklagte fraglich, ob „Schweigen das Mittel der Wahl ist“. Es könne sein, dass neue Verteidiger „mit ihr eine neue Strategie entwickeln und sie aussagt“, sagt der Verteidiger Johannes Pausch, der den Mitangeklagten Carsten S. vertritt. Das sei allerdings Spekulation. Er halte es auch für möglich, dass sich neue Anwälte in 30 Tagen in einen Prozess einarbeiten können.

Auch bei der Bundesanwaltschaft, also den Vertretern der Anklage, ist die Überraschung groß: „Das ist ein seltener Antrag“, sagt Bundesanwalt Herbert Diemer. Es komme selten vor, dass eine entsprechende Forderung nach dem Austausch der Pflichtverteidigung Erfolg habe, die Hürden seien hoch.

Der Jurist Udo Vetter hält es für wahrscheinlich, dass Zschäpe und ihre drei Verteidiger einvernehmlich um die Auflösung ihrer Mandate bitten. Gleichzeitig, so schreibt Vetter in seinem Blog, könnte die Angeklagte eigene Anwälte benennen, die bereit sind, sie ohne Zeitverzögerungen und Extrakosten zu verteidigen. Dem würden sich Gerichte normalerweise nicht versperren. Sollte das nicht funktionieren, könnte sie diese aus der eigenen Tasche finanzieren.

Das Gericht habe aber auch das Recht, dem offensichtlichen Wunsch Zschäpes nach einer Entpflichtung der bisherigen Anwälte nicht nachzukommen. Vor allem, wenn dies der Sicherung der Fortführung des Verfahrens diene – was laut Vetter wahrscheinlich ist. Würde etwa die Finanzierung der neuen Verteidiger platzen, säße Zschäpe womöglich alleine auf der Anklagebank und der Prozess würde unnötig verzögert. Insofern könnte es passieren, dass die neuen Verteidiger künftig neben den bisherigen sitzen.