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Rechtes Spitzenpersonal aus dem Erzgebirge

 

Der Bruder des Angeklagten André E. hat im NSU-Prozess die Aussage verweigert. Der Fall der Familie zeigt, wie sich in Ostdeutschland die Ideologie des Fremdenhasses verbreiten konnte.

André E. setzt ein triumphierendes Grinsen auf und blickt zu seinem Zwillingsbruder Maik, der auf der Zuschauertribüne in der ersten Reihe sitzt. Der grinst, genauso breit, zurück. Sein Bruder ist angeklagt als Helfer des NSU, er soll dem Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Ausweise besorgt und Wohnmobile für sie gemietet haben. Grund für die Heiterkeit der Geschwister ist der Auftritt ihres gemeinsamen großen Bruders Ronny E., der kurz zuvor den Gerichtssaal verlassen hat.

Ronny E., ein großgewachsener Mann mit raspelkurzen Haaren, hatte sich genauso verhalten, wie André E. und seine Verteidiger sich das vorgestellt hatten: sagte Name, Alter und Adresse auf, und dass er von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch machen wolle. Damit zog der 41-Jährige von dannen – und mit ihm die Gelegenheit, das Abrutschen eines jungen Mannes in die Ideologie des Rechtsextremismus nachzuvollziehen.

Dass E. die Aussage verweigerte, war keine Selbstverständlichkeit: Prozessbeobachter hatten eine Einlassung am 137. Prozesstag für möglich gehalten, weil der große Bruder die Ansichten der Zwillinge nicht teilt, wie er behauptet. Freitagmittag wurde dann klar: Der familiäre Zusammenhalt gilt Ronny E. mehr.

Dahinter steht die Geschichte der vier Kinder der Familie E., die sich zwar auseinanderlebten, es jedoch verstanden, das Thema Politik aus den verwandtschaftlichen Banden herauszuhalten. Die Tochter der Familie wurde 1970 geboren, die Zwillinge Maik und André 1979. Es war ein bürgerliches Leben in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge, das die Kinder bis heute prägt: André gründete mit seiner Frau bald selbst eine Familie – den beiden Söhnen gaben sie betont germanische Namen, zu Weihnachten verschickten sie Karten, auf denen sie „ein schönes und besinnliches Julfest“ wünschten. Maik und seine Familie zogen sich zu besonderen Anlässen trachtenähnliche Kleidung an.

Aus früheren Aussagen geht indes hervor, dass die demonstrative Biederkeit nicht immer selbstverständlich für die Zwillinge war: In der Nachwendezeit, als im Osten reihenweise Betriebe schlossen, rasierten sich in Johanngeorgenstadt viele Jugendliche die Haare ab. Das Auftreten der Neonazis beeindruckte offenbar auch André und Maik, die zwischen 15 und 17 Jahren begannen, mit Freunden aus der Szene rumzuhängen und sich zu betrinken.

Bald jedoch gelang es den jungen Brüdern, sich von den plumpen Rechten abzusetzen und zu Vordenkern zu werden. Um die Jahrtausendwende gründeten sie eine Zeitschrift mit dem Titel The Aryan Law And Order, Arisches Gesetz und Ordnung. Beide hatten die Idee einer angeblich überlegenen weißen Rasse verinnerlicht und einen „heiligen Rassenkrieg“ ausgerufen. Sie verbreiteten eine Ideologie, in der sich Pseudowissenschaft und nordische Mythen mit blankem Fremdenhass verbanden.

Parallel gründeten sie eine Gruppe mit dem Namen Weiße Bruderschaft Erzgebirge, die als eine Art Dachorganisation für mehrere rechte Strömungen der Region fungieren sollte. Vorbild für die Ideologie einer Herrschaft der Weißen waren die Ideen von Rechtsradikalen aus den USA – vor allem des Autors William L. Pierce, der den Roman The Turner Diaries verfasste. Darin geht es um einen Krieg gegen Menschen anderer Hautfarben.

Das Werk schätzt Richter Manfred Götzl als so bedeutend ein, dass er es als Beweisstück in den NSU-Prozess einführt. Verfahrensbeteiligte hatten im vergangenen Monat Gelegenheit, das Machwerk im sogenannten Selbstleseverfahren zu lesen. Das Buch ist wiederum Grundlage mehrerer Artikel im Aryan Law And Order. Entstanden sein soll die Zeitschrift bei einem Treffen in Chemnitz – dabei sollen auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt teilgenommen haben. Für André E. war es womöglich der Auftakt einer langjährigen Freundschaft mit mutmaßlichen Terroristen.