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Ermittler sollen Zeugen angebrüllt haben – Das Medienlog vom Montag, 8. September 2014

 

Die Verhörmethoden der Bundesanwaltschaft waren am 137. Prozesstag Thema im NSU-Verfahren – und rückten diese in ein schlechtes Licht: Offenbar hatten Vernehmungsbeamte den Zeugen Enrico T. bei einem Termin in Karlsruhe angebrüllt und eingeschüchtert, wie ein Kommissar einräumte. T. soll an der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 beteiligt gewesen sein. Die Vernehmung im August 2012 muss „durchaus anders verlaufen sein als die im Münchner Gerichtssaal“, berichtet Gisela Friedrichsen bei Spiegel Online. Der Beamte sprach davon, dass das Gespräch „wortstark“ und mit einer „erhöhten Dezibel-Zahl“ geführt worden sei.

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An dem Termin hatte auch der Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten teilgenommen, der als Ankläger der Bundesanwaltschaft am Prozess teilnimmt. Die Erregung der Beamten gründete sich den Angaben des Zeugen zufolge auf offensichtliche Widersprüche und Lügen, die Enrico T. in der Vernehmung von sich gab. Bei seinen Aussagen vor dem Münchner Oberlandesgericht berief er sich indes immer wieder auf Erinnerungslücken. Das drastische Verhalten der Ermittler könnte nun die Beweiskraft der Angaben von T. schwächen: Die Verteidiger von Beate Zschäpe und dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben widersprachen der Verwertung seiner Aussage, weil sie unter Druck zustande gekommen sei.

Der Kriminalbeamte hielt die Methode durchaus für legitim und sagte, die Verhörsituation sei den Einlassungen von T. angepasst worden. „Eine solche Äußerung bildet auch eine Steilvorlage für die Verteidigung“, analysiert Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen. In Erklärungsnot kam der Kommissar auch, weil er T. eine Skizze vorgelegt hatte, die später nicht Teil des Vernehmungsprotokolls wurde.

Als zweiter Zeuge war der Bruder des Angeklagten André E. geladen – es war ein kurzer Auftritt: Ronny E. verweigerte die Aussage, was er wegen des Verwandschaftsverhältnisses durfte. Die Prozessbeteiligten hatten sich von ihm Informationen über die Ansichten des mutmaßlichen NSU-Helfers erhofft. „Für den Ausgang des NSU-Prozesses wird die Verweigerung aber keine große Rolle spielen“, schreibt Alf Meier vom Bayerischen Rundfunk.

„Dass E. die Aussage verweigerte, war keine Selbstverständlichkeit“, meinen wir bei ZEIT ONLINE. Denn der Zeuge hat nach eigenen Aussagen nichts mit der rechten Szene zu tun. Doch die Ablehnung der Ideologie muss nicht bedeuten, dass jemand vor Gericht gegen den eigenen Bruder aussagt: „Der familiäre Zusammenhalt gilt Ronny E. mehr.“

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe sieht sich weiter nach einem neuen Anwalt um und soll in der kommenden Woche einen Termin mit einem Strafverteidiger haben. taz-Autor Konrad Litschko bringt diese Suche in Zusammenhang mit der Beweislage gegen Zschäpe, die er als deutlich wertet: „Es gibt nicht viel Hoffnung für Beate Zschäpe bisher im Münchner NSU-Prozess. Nach den bisher 137 Prozesstagen läuft alles auf eine Verurteilung der NSU-Angeklagten hinaus.“

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 9. September 2014.