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Räuberpistole aus der Schweiz

 

Durch Helfer gelangte die Mordpistole Ceska aus der Schweiz zum NSU-Trio. Der erste Mittelsmann gab sich ahnungslos – obwohl er wusste, dass mit der Waffe nichts Gutes geplant war.

Irgendwann fühlte sich Peter Anton G. aus der Nähe von Bern nur noch als Opfer. Sechsmal musste er für Befragungen zur Polizei, einmal saßen ihm gleich fünf Ermittler gegenüber, zwei Schweizer und drei Deutsche. Das Thema war immer dasselbe: Es ging um eine Pistole vom Typ Ceska 83, Kaliber 7,65 mm Browning, die er sich angeblich von einem Waffenhändler hatte liefern lassen. In der Schweiz mit ihren liberalen Waffengesetzen ein alltäglicher Kauf – nur waren mit dieser Pistole neun Menschen in Deutschland erschossen worden.

Die Ceska 83 war die Mordwaffe des NSU, die über mehrere Mittelsmänner nach Chemnitz geliefert wurde. Zwei von ihnen saßen in der Schweiz, einer davon war Peter Anton G. – das erste Glied der Lieferkette. Er hatte, so die Rekonstruktion der Ermittler, die Waffe im April 1996 gekauft. Bei Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kam sie 1999 oder 2000 an.

Mithilfe von Waffengutachten ermittelten die Beamten des Bundeskriminalamts früh den Typ der Waffe und deren Herkunft – 2007 stießen sie über den Waffenhändler auf den Namen Peter Anton G., der zwei Exemplare des Modells gekauft hatte. Damals lief die Mordserie noch. Vor dem Auffliegen des NSU im November 2011 wurde G. dreimal vernommen. Doch die Schmuggelroute offenbarte sich erst nach der Selbstenttarnung.

Das lag zum einen daran, dass G. zuvor nicht den Namen seines Freunds Hans Ulrich M. nannte. Dieser hatte G. nicht nur in das Waffengeschäft hineingezogen, sondern verkaufte die Pistole später auch weiter an einen Bekannten in Deutschland, der sie gezielt für den NSU gesucht hatte. Zum anderen sprach G. immer wieder von Gedächtnisschwierigkeiten infolge einer Krebserkrankung – und tischte den Ermittlern regelmäßig dieselben Lügen auf.

G. soll seine Krankheit vorgeschoben haben

„Mein Eindruck war, dass er seine Krankheit vorgeschoben hat“, sagt denn auch der Schweizer Polizist Christian M., der als Zeuge im Prozess auftritt. Zweimal vernahm er G. in den Jahren 2007 und 2008. Als er den Zeugen im Anschluss an die Gespräche fragte, ob er die Wahrheit gesagt habe, habe G. „ein gewisses Achselzucken“ gezeigt und nicht geantwortet. Im Folgejahr führte der Polizist Patrick R. eine weitere Vernehmung.

Beide Ermittler waren skeptisch gegenüber dem, was G. ihnen erzählte – zu Recht, wie aus heutiger Sicht klar ist: Bei den Schilderungen aus den ersten Gesprächen handelte es sich im besten Wortsinne um Räuberpistolen. Denn darin häuften sich schier unglaubliche Zufälle.

G. hatte nach eigenen Aussagen zwei sogenannte Waffenerwerbsscheine beantragt, die in der Schweiz Voraussetzung für den Kauf sind. Eine davon berechtigte zum Erwerb zweier Pistolen vom Typ Ceska. Damit, sagte G., habe er Waffen für sich und seine Frau kaufen wollen. Sie hätten in einem Schützenverein mit Schießen als Hobby beginnen wollen. Dazu sei es jedoch nicht gekommen, weil G. seine Arbeit verlor und krank wurde, das Hobby wäre angeblich zu teuer geworden.

Waffen für „bestimmte Kreise“ in Deutschland

Tatsächlich waren die Erwerbsscheine während des finanziellen Engpasses nützlich: G. verkaufte sie für 400 Schweizer Franken an seinen Freund Hans Ulrich M.: „Für mich war das damals viel Geld.“ M. hatte ihm von einem interessanten Deal erzählt: Er wollte mit den Scheinen Waffen kaufen, um ein klandestines Exportgeschäft aufzubauen. Ziel sollten „bestimmte Kreise“ in Deutschland sein, wie M. sagte. G. ahnte bereits, dass es nicht um einen seriösen Handel ging – vor allem, als der Freund ihm riet, nicht weiter nachzufragen.

Bei der Polizei behauptete G. dann zunächst, er habe die Dokumente verloren – und außerdem seine Identitätskarte, den Schweizer Personalausweis. Später tauchte das Papier zufällig wieder bei G. auf. Ungeklärt ist die Frage, ob M. in der Zwischenzeit die Pistole auf G.’s Namen bestellt hatte.

Unbekannte Pakete im Hobbykeller

Bei der Lieferung der Waffe gingen die Merkwürdigkeiten indes weiter: Manchmal seien Pakete einfach in seinen Hobbykeller geliefert worden, sagte G. den Ermittlern, und der sei öffentlich zugänglich gewesen. Nach einem möglichen Einbruch gefragt, antwortete er, er schließe erst seit Kurzem sein Haus ab.

Welche Rolle also spielte G. im Waffenkomplex? War er ein Naivling, der sich für ein bisschen Geld möglicherweise der Beihilfe zum Mord schuldig machte? Ein bereitwilliger Helfer? Die Grenzen zwischen beiden Möglichkeiten sind nur schwer zu ziehen – vor allem, weil G. seine Glaubwürdigkeit durch seine früheren Angaben schwer beschädigt hatte.

Als Zeugen im NSU-Prozess ließen sowohl er als auch sein Freund M. ihre Vernehmungstermine in München platzen. Daraufhin wurden sie im Juni vor einem Schweizer Gericht befragt und bestritten wiederum ihre Beteiligung. Ihre Antworten werden demnächst in die Verhandlung eingeführt – vermutlich klingen sie wieder äußerst fantasievoll.