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Geheimnisvolle Warnung

 

Warnte Beate Zschäpe ihre Nachbarin vor dem Feuer, das sie gelegt hatte? Ihre Verteidiger streuen Zweifel am Vorwurf des versuchten Mords. Auch V-Mann Tino Brandt sagt aus.

Am Nachmittag des 4. November 2011, kurz nach 15 Uhr, entschieden Minuten über Schicksale. Das der gebrechlichen und schwerhörigen Rentnerin Charlotte E., die in letzter Minute von ihren Nichten vor einem Brand in der Nachbarwohnung gerettet wurde. Außerdem das von Beate Zschäpe, die in diesen Minuten möglicherweise zur versuchten Mörderin wurde – denn sie hatte das Feuer laut Anklage im NSU-Prozess gelegt, um Beweise zu vernichten. Das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße brannte nieder.

Ob Zschäpe wegen versuchten Mords verurteilt wird, hängt unter anderem von der Antwort auf eine Frage ab: Versuchte sie, die Nachbarin vor den Flammen zu warnen? Das Münchner Oberlandesgericht hörte dazu einen Zwickauer Polizisten, der die damals 89-Jährige befragt hatte, eine Woche nach der Tat. Dabei machte sie zum letzten Mal verwertbare Aussagen – heute ist E. dement und lebt in einem Pflegeheim. Neue Versuche, sie zu vernehmen, scheiterten.

Aufgabe des Polizisten war, E. als sogenannte Entlastungszeugin zu befragen. Denn die gab an, es habe an ihrer Tür geklingelt – war es Beate Zschäpe, die die alte Frau auf das Feuer aufmerksam machen wollte? E., die an einem Stock ging, brauchte vier Minuten zur Tür. An der Gegensprechanlage meldete sich niemand. Als sie aus dem Fenster schaute, sah sie niemanden vorm Haus stehen. Erst eine Viertelstunde später roch sie den Qualm.

Ob Zschäpe schellte, ist also unklar. Doch kritzelte der Polizist einige Tage nach der Vernehmung eine interessante Notiz unter das Protokoll ihrer Aussage: „Ich gehe davon aus, dass Zschäpe bei Frau E. geklingelt hat.“ Wie kam er zu dieser Schlussfolgerung? Das kann er in der Verhandlung nicht mehr schlüssig erklären.

Die Einschätzung beruhte womöglich auf dem Wissen, dass ein Handwerker an die Haustür geeilt war, nachdem er die Flammen aus dem Haus schlagen sah. Er klingelte im ganzen Haus. Als er ins Treppenhaus gehen wollte, kam ihm Frau E. entgegen, gestützt von ihren Nichten. Wer also hatte geklingelt, als die betagte Frau noch oben in ihrer Wohnung war? Zschäpe? Der Handwerker? Die Frage bleibt unbeantwortet. Denn der Polizist fragte nicht nach, ob sie möglicherweise ein zweites Schellen hörte.

Für Zschäpes Verteidiger ein Unding: Ihr Anwalt Wolfgang Heer kündigt für die kommende Woche eine „umfassende Erklärung“ zu dem Brandkomplex an – darin dürfte er sich darüber beschweren, dass der Beamte eine möglicherweise entlastende Tatsache links liegen ließ. Umso frustrierender muss es für die Verteidiger sein, dass das Wissen von Frau E. mit ihrer fortschreitenden Krankheit unerreichbar geworden ist. Fraglich ist allerdings, ob ein einmaliges Klingeln bei einer Schwerhörigen als Warnung ausreicht – die Richter stehen vor einer weiteren komplexen Deutungsfrage.

Am Nachmittag tritt zum dritten Mal der Zeuge Tino Brandt in den Zeugenstand, erneut vorgeführt aus der Untersuchungshaft, in der er wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch sitzt. Brandt gilt als zentrale Figur im Komplex NSU, der kräftig am Unterstützernetzwerk der Zelle mitgewebt haben soll. In den neunziger Jahren gründete er das Nazi-Sammelbecken Thüringer Heimatschutz, in dem sich auch Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tummelten.

Dass Brandt in der rechten Szene über ein dickes Adressbuch verfügte, gilt als unbestritten. Fragen danach weicht er jedoch aus: Richter Manfred Götzl erkundigt sich etwa nach Kontakten bei der radikalen Neonazi-Organisation Blood & Honour. „Ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis“, sagt Brandt, „darüber hat sich schon der Verfassungsschutz beschwert.“ An den Geheimdienst in Thüringen hatte er jahrelang als V-Mann Informationen geliefert, bis er im Jahr 2001 enttarnt wurde.

Die Spitzeltätigkeit steht im Zentrum seiner Befragung – und dabei melden sich erneut die Zschäpe-Anwälte zu Wort. Verteidiger Wolfgang Stahl interessiert sich vor allem dafür, ob Brandt bei den Schlapphüten aus dem Nähkästchen plauderte oder Informationen so weitergab, wie es ihm passte. „Wenn es um Straftaten ging – da hatten wir die Vereinbarung, dass das den Verfassungsschutz nichts angeht“, antwortet Brandt. Denn die Behörde habe sich als „kein Polizeiorgan“ gesehen und sich mehr für die Teilnehmerzahlen bei rechten Aufmärschen interessiert.

Ob die seichten Recherchen des Amts mitverantwortlich waren, dass ein Trio aus drei gewaltbereiten Rechten trotz Nähe zu mehreren V-Männern wie Brandt ungestört abtauchen konnte? Auch Stahl zeigt sich verblüfft über die Informationsbeschaffung der Beamten: „Hat den Verfassungsschutz nichts interessiert? Hat der nie nachgefragt?“, will er wissen. Brandt, der Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt persönlich kannte, sieht die Beziehung zwischen Behörde und Informant wesentlich entspannter: „Wir waren eine junge patriotische Gruppe. Was hätte ich denen Problematisches berichten sollen?“