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Der schweigende Szene-Bruder

 

Ein Verteidiger erkämpft im NSU-Prozess für einen Zeugen das Recht zu schweigen. So muss das Gericht wohl auf Informationen über den Mitangeklagten Ralf Wohlleben verzichten.

Gedächtnislücken – auf diese berufen sich Zeugen aus dem rechten Spektrum im NSU-Prozess immer wieder, wenn sie unangenehme Themen in ihrer Aussage umschiffen wollen. Thomas G. aus dem thüringischen Altenburg spielte hingegen schon bei seiner Aussage im Juli mit offenen Karten: Er werde nicht verraten, ob er Mitglied in der rechtsextremen Organisation Hammerskins sei, sagte er bei seiner zweiten Vernehmung. Das verbiete ihm sein „Wertegefüge“. Auch, als Richter Manfred Götzl ihm für sein Schweigen ein Ordnungsgeld androhte, blieb er dabei.

Das Gericht befragte G. am 151. Prozesstag nun ein weiteres Mal. Es erhofft sich von ihm Aussagen über die Gesinnung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Dieser soll für den NSU die Mordwaffe Ceska 83 organisiert haben und in Jena die rechtsextremen Strukturen aufgebaut haben – gemeinsam mit seinem Freund G. Der Zeuge könnte wohl auch Informationen liefern, in welchen Netzwerken sich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor ihrem Untertauchen 1998 bewegten – doch dazu ist aus ihm wenig herauszubekommen. Als G. vom Gericht nun ein weiteres Mal befragt wurde, kam es zum juristischen Showdown. Sieger war letztlich der Zeuge – und ein Verteidiger.

Als G. in den Münchner Gerichtssaal kommt, hat er einen Anwalt an seiner Seite, einen sogenannten Zeugenbeistand. „Dann wollen wir jetzt auf die Fragen zurückkommen, wo Sie nicht geantwortet haben“, sagt Richter Manfred Götzl.

In diesen Fragen ging es um seine angebliche Mitgliedschaft bei den Hammerskins, einer in den USA entstandenen Organisation. Beitreten darf nicht jeder: Weiß muss man sein, männlich und über 18 Jahre alt. Eine lange Probezeit muss man bestehen. Nur, wer geeignet scheint, darf sich dem elitären Zirkel anschließen, der für eine Vorherrschaft weißer Menschen und einen Rassenkrieg eintritt. Die wichtigste Auflage ist allerdings: Kein Mitglied darf über die Hammerskins sprechen.

Schweigegelübde allerdings interessieren einen Richter wenig. Prozessbeobachter hatten damit gerechnet, dass G. diesmal das angedrohte Ordnungsgeld aufgebrummt bekomme. Doch zuvor springt Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke G. zur Seite: Er weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Dresden im Jahr 2002 wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder ostdeutscher Hammerskins aufgenommen hatte. Niemand muss vor Gericht Angaben machen, wenn in derselben Angelegenheit gegen ihn ermittelt wird, das besagt Paragraph 55 der Strafprozessordnung.

Der Einwand ist erstaunlich – denn G. wollte ja nicht aussagen, weil er sich nicht selbst belasten wollte, sondern weil es ihm sein Ehrgefühl verbiete. Das hält Richter Götzl dem Zeugen vor. „Also, dann berufe ich mich auf diesen Paragraphen 55“, ergänzt dieser schnell.

Klemkes Kniff mit der Strafprozessordnung wirkt dennoch aussichtslos: Das Verfahren wurde 2006 eingestellt, G. war damals überhaupt nicht betroffen und das Netzwerk gilt mittlerweile als aufgelöst.

Klemke hatte in der Vergangenheit häufig eine Lanze gebrochen für Zeugen aus dem rechten Spektrum, mehrmals forderte er vom Gericht, ihnen einen Zeugenbeistand zur Seite zu stellen – mit Erfolg. Im Fall G. schoss der Verteidiger aber an allen drei Vernehmungstagen weit über sein übliches Engagement hinaus.

Nach einer langen Mittagspause folgt schließlich die Überraschung: Götzl verkündet, dass G. doch ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Würde er bestätigen, Mitglied der Hammerskins zu sein, könnte er „damit die Einleitung eines Strafverfahrens begründen“.

Eine Folge die zwar denkbar ist – doch aufgrund der schwer durchschaubaren Strukturen aus Kameradschaften und Brüderschaften im rechten Milieu ziemlich unwahrscheinlich. Fürchtet Götzl, dass sein Urteil durch eine Revision angreifbar wird? Fehler durch die falsche Behandlung eines Zeugen will sich der Richter nicht erlauben. G. darf deswegen sein Geheimnis hüten – ohne Angst vor Strafen. Und Anwalt Klemke kann einen Sieg verbuchen.

Am Nachmittag wird offenbar, dass sich auch der Angeklagte André E. auf G.s Zeugenaussage vorbereitet haben könnte. Nebenklageanwalt Yavuz Narin weist das Gericht darauf hin, dass E. unter seiner Lederweste einen Pullover trägt, auf dem die Worte „Brüder schweigen“ aufgedruckt sind. Dabei handle es sich um einen alternativen Namen der rassistischen US-Organisation The Order, die in den achtziger Jahren einen Radiomoderator ermordete. Die Gruppe, sagt Narin, würde von den Hammerskins „geradezu verehrt“. Es ist nicht das erste Mal, dass E. mit seiner Kleidung provoziert: Im Mai war er in einem Pulli erschienen, auf dem zwei Sturmgewehre abgebildet waren.

Der Anwalt glaubt, E. wolle G. mit der Aufschrift an sein Schweigegelübde gegenüber den Hammerskins erinnern – auch er gilt als ein Verfechter des Rassenkriegs. Zur Beweissicherung fotografieren Justizbeamte E. in einer Prozesspause. Tatsächlich steht auf dem Kleidungsstück die Losung „Brüder schweigen“ in Frakturschrift. Und etwas kleiner darunter: „Bis in den Tod.“