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Zschäpe-Anwälte spielen auf Risiko

 

Beate Zschäpes erster Anwalt sollte im NSU-Prozess als Entlastungszeuge aussagen. Doch nun scheint klarer als zuvor, dass die Angeklagte ihr Wohnhaus in Zwickau angezündet hat.

Am Mittag des 8. November 2011 stolpert eine ausgezehrte Frau Mitte 30 in eine Jenaer Anwaltskanzlei. Sie ist müde, hat Hunger und war beinahe vor eine Straßenbahn gelaufen. Es ist das Ende einer viertägigen Flucht: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe ist mit dem Zug kreuz und quer durch Deutschland gefahren, ohne Ziel. Nun will sie sich in ihrer Geburtsstadt der Polizei stellen. Sie sucht Hilfe bei dem Rechtsanwalt Gerald Liebtrau.

Am 154. Verhandlungstag ist Liebtrau als Zeuge geladen. Er war Zschäpes erster Rechtsbeistand, bevor das Mandat eine gute Woche später ihr heutiger Verteidiger Wolfgang Heer übernahm. Zschäpe suchte die Kanzlei offenbar spontan auf: Sie sei einfach hereingekommen und habe um ein Gespräch gebeten, erzählt der hagere Mann mit der Halbglatze. Viel Zeit hatte er nicht, kurz darauf musste er zu einem Termin ins Gericht. Gegen 13 Uhr gingen sie gemeinsam zur nächsten Polizeiinspektion.

Was genau Liebtrau und seine Mandantin besprachen, ist ein Geheimnis. Der Anwalt ist auf Antrag von Zschäpes heutigen Verteidigern vorgeladen worden. Ihnen geht es um genau einen Satz. Und nur für diesen hat Zschäpe Liebtrau von seiner Schweigepflicht entbunden.

Gesucht wurde die Hauptangeklagte damals, weil sie vier Tage vor dem Gespräch die Zwickauer Wohnung in Brand gesetzt haben soll, in der sie mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt hatte. Im selben Haus wohnte die gebrechliche Rentnerin Charlotte E., damals 89 Jahre alt. Weil sie durch den Brand in Lebensgefahr geriet, ist Zschäpe zusätzlich wegen versuchten Mordes angeklagt.

Ihre Verteidiger sind der Ansicht, Zschäpe habe vor ihrer Flucht aus dem Haus bei E. geklingelt, um sie vor dem Feuer zu warnen. Tatsächlich sagte die Frau später bei der Polizei aus, sie habe an dem Tag ein Klingeln gehört. Weil sie an einer Krücke ging, sei sie jedoch erst viel zu spät zur Tür gekommen. Mittlerweile lebt sie in einem Zwickauer Pflegeheim und leidet an Demenz. Ein Versuch, E. im Dezember vergangenen Jahres per Videoschaltung zu befragen, scheiterte. Auch die Vernehmung durch einen Amtsrichter im Mai hatte keinen Erfolg.

Hätte die Greisin wertvolle Informationen liefern können, wenn sie schon früher von einem Richter befragt worden wäre? Sind so möglicherweise entlastende Umstände für Zschäpe unter den Tisch gefallen? Ihre Anwälte glauben, die Mandantin sei in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden. Dazu beriefen sie sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention.

Zschäpe hat ihren Ex-Verteidiger von der Schweigepflicht entbunden, um der Frage nach dem Klingeln nachzugehen. Doch Nebenklagevertreter versuchen, tiefer bei dem Zeugen Liebetrau zu bohren. Beharrlich verhindern ihre jetzigen Rechtsbeistände Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm die Fragen. Es folgt ein ermüdendes Gezerre um die Grenzen der Schweigepflicht.

Interessant ist, dass Zschäpe offenbar sofort klar war, dass ein Klingeln bei der Nachbarin für ihre Schuld von Bedeutung sein könnte. Denn sie sprach Liebtrau nach dessen Schilderung schon beim ersten Kontakt darauf an: „Im Gespräch ging es auch darum, dass sie, bevor sie in Zwickau das Haus verlassen hat, bei ihrer Nachbarin geklingelt hat. Und die war nicht da, zumindest gab es keine Reaktion“, erzählt er. Schließlich habe Zschäpe ihn gebeten, eine Befragung von Frau E. zu beantragen. Der Anwalt indes war von den Schilderungen seiner Mandantin zunächst überrollt – er konnte nicht ahnen, wen er vor sich hatte. Nach Details erkundigte er sich nicht.

Sagte Zschäpe ihrem Verteidiger damals die Wahrheit, so wollte sie wohl wirklich versuchen, die alte Frau vor einem Tod in den Flammen zu bewahren. Das ist der Punkt, um den es ihren heutigen Anwälten geht. Doch aus der Wohnung gerettet wurde Frau E. nicht von Zschäpe, sondern ihren zwei Nichten, die gegenüber wohnten. Zschäpe machte sich unterdessen auf den Weg zum Bahnhof. Ein Klingeln – das erscheint bestenfalls als halbherziger Versuch, das Schlimmste zu verhindern.

Oberstaatsanwältin Anette Greger will von Liebtrau wissen, ob Zschäpe ihre Handlung „in Zusammenhang zu dem Brandereignis“ brachte. In jedem Fall habe sie zuvor geklingelt, sagt Liebtrau, „ob es zehn Minuten oder eine Stunde vor dem Brand war, hat sie nicht gesagt“.

Drückte Zschäpe auf den Klingelknopf ihrer Nachbarin, dann tat sie es zu einem Zeitpunkt, als noch kein anderer ahnte, dass das Haus in Flammen aufgehen würde. „Dieses Klingeln zu diesem Zeitpunkt kann nur von Frau Zschäpe sein“, sagt denn auch ihr Anwalt Wolfgang Stahl. Damit hat die Verteidigung Zschäpe als Brandstifterin praktisch anerkannt – mit der Maßgabe, dass sie sich nicht des versuchten Mordes schuldig gemacht hat. Doch ob das Gericht dem zweiten Teil dieser These folgt, muss sich zeigen. Heer, Stahl und Sturm gehen ein hohes Risiko ein.