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Sorgfältig in die falsche Richtung ermittelt – Das Medienlog vom Dienstag, 13. Januar 2015

 

Das Münchner Oberlandesgericht hat am Montag erstmals den Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße vom 9. Juni 2004 behandelt, bei dem 22 Menschen teils schwer verletzt wurden. Dazu sagten drei Ermittler des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts aus. Ihre Schilderungen machten deutlich, mit welcher Detonationskraft die Bombe rund 700 Nägel durch die Luft schoss und mit welcher Akribie die mutmaßlichen Täter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Tat vorbereitet haben müssen. Die Polizisten arbeiteten ihren Aussagen zufolge mit höchster Sorgfalt. „Sieht man ihre vorbildliche Tatortarbeit, fällt die Entschlossenheit, einen rechtsterroristischen Hintergrund nicht ins Auge zu fassen, umso mehr auf“, kommentiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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Die zweifelhaften Interpretationen des Anschlags dauerten schließlich über die Ermittlungsarbeit hinaus an: So spricht die Anklageschrift von einem Anschlag auf das Friseurgeschäft, vor dem die Bombe auf einem Fahrrad abgestellt wurde, und nicht von einer Tat gegen die Menschen auf der Keupstraße. Dabei habe es keine Hinweise gegeben, dass die Explosion dem Salon gegolten hätte, schreibt Friedrichsen.

Die Ermittler zeigten Aufnahmen, auf denen das Ausmaß der Zerstörung sichtbar wurde: geplatzte Scheiben, herausgesprengte Türen, abgebröckelte Fassaden. „Die Bilder und Aussagen sind beklemmend“, notiert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Hätte der Anschlag aufgeklärt werden können, wenn die Ermittler eine Datenbank des Bundeskriminalamts richtig genutzt hätten? Im sogenannten Tatmittelmeldedienst ließen sich Sprengstoffverbrechen recherchieren – etwa der Bombenfund in der Garage von Beate Zschäpe in Jena im Jahr 1998. Doch die Polizisten beschränkten sich bei der Abfrage auf einen Zeitraum von fünf Jahren. „Der Fehler war womöglich fatal.“

Auch stellten sich im Fall Keupstraße zahlreiche Parallelen zum Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse von 2000 dar. „Auf einen Zusammenhang kamen die Ermittler jedoch erst, als der NSU sich im November 2011 selbst enttarnte und beide Taten ausführlich in seinem Bekennervideo darstellte“, merken wir bei ZEIT ONLINE an. Auch wegen der ergebnislosen Ermittlungen mussten die Opfer großes Leid ertragen. „Es wird ihre Stimmen brauchen, um das Ausmaß der rassistischen Gewalt begreifen zu können.“

Sicher ist laut Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk, dass die Täter mit der Bombe eine große Streuwirkung bezweckten und viele Menschen verletzen und töten wollten. „Daran gibt es nach der Vorlage der Tatort-Fotos keinen Zweifel mehr.“ Auch Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen befindet: „Es war viel Glück, dass niemand gestorben ist.“

Stephan Hermsen von der WAZ beleuchtet in einem Artikel das türkisch geprägte Leben in der Keupstraße, die besonders von ihren orientalischen Geschäften geprägt ist. „In dieses ökonomische Herz der Migranten der zweiten und dritten Generation hinein pflanzten die NSU-Neonazis ihre Nagelbombe.“ Ein zusätzliches Trauma seien die Ermittlungen gewesen, bei denen die Bewohner selbst in Verdacht gerieten. Daher sei der Prozess in München auch ein Weg, Misstrauen abzubauen: „Es geht darum, dass die Institutionen dieses Landes wieder das Vertrauen der hier lebenden Menschen gewinnen.“

Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 14. Januar 2015.