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Mysteriöser Hinweis auf Zschäpe

 

Er nennt Beate Zschäpe eine Mitläuferin, Uwe Böhnhardt unberechenbar: Zeuge Christian K. lernte das NSU-Trio kennen. Nach dessen Flucht erhielt er eine brisante Information über das Versteck der drei.

Vermutlich treffen sich die Brüder André und Christian K. höchstens zu Weihnachten, wenn überhaupt. Zu verschieden sind die beiden Jenaer Geschwister. André K., 39: ein vierschrötiger, dicklicher Vordenker in der rechtsextremen Szene Thüringens. Christian K., 34: ein hagerer, eloquenter Mann mit dünner Stimme, der den Neonazi-Kreisen nach eigenen Angaben bereits vor Jahren den Rücken gekehrt hat. Seine Mitgliedschaft, sagt er, bereue er heute.

Gemein haben die K.s, dass sie in den neunziger Jahren Umgang pflegten mit Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – dem Trio, dem als Nationalsozialistischer Untergrund zehn Morde zugeschrieben werden. 1998 flüchteten die drei nach einem Bombenfund in Zschäpes Jenaer Garage in den Untergrund. André K. soll den dreien dabei geholfen haben, indem er Pläne für eine Flucht nach Südafrika ausarbeitete. Doch daran hatte er bei seinem eigenen Gerichtstermin angeblich nur noch spärliche Erinnerungen.

Anders der jüngere Bruder, der an diesem Mittwoch als Zeuge in den Münchner NSU-Prozess geladen ist. Christian K. spricht ungehemmt über die Zeit in der Szene. Er war 16 Jahre alt, als ihn Klassenkameraden in die Kreise einführten, in denen sich sein Bruder bereits einen Namen gemacht hatte. Das galt auch für Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt sowie den heutigen Mitangeklagten Ralf Wohlleben: „Die ältere Generation, das waren Bezugsleute für uns“, erzählt K. Man habe sich aufgewertet gefühlt, wenn man gemeinsam mit ihnen zu Kundgebungen gefahren sei. Dann entlud sich auf der Straße der Hass gegen Ausländer – auch wenn davon im Jena der Nachwendezeit keine zu sehen waren: „Ich hab die Parolen einfach mitgeplappert.'“

Beate Zschäpe lernte er kennen als „heitere Person“, die „nicht besonders intelligent“ sei. Vielmehr verfüge sie über eine „gewisse Bauernschläue“. Die Hauptangeklagte zieht während K.’s Aussage die Augenbrauen hoch, ihr Kinn ruht auf den Fäusten. Das Wort Bauernschläue hasst sie, weil sie es als abwertend empfindet. So erzählte sie es einem Polizisten, nachdem ein Gefängnismitarbeiter ihr in einem Vermerk dieselbe Eigenschaft attestiert hatte.

Einer festen Ideologie sei Zschäpe nicht gefolgt, erzählt K. weiter: „Sie war eine Mitläuferin“, aber durchaus selbstbewusst und habe keine anderen Frauen neben sich geduldet. Der „ideologische Kopf“ der Gruppe sei Mundlos gewesen. Ihn habe K. als intelligent wahrgenommen. Angst habe er vor Böhnhardt gehabt: „Man würde heute sagen, der war eine Blackbox.“ Im einen Moment sei er guter Laune gewesen – wenn jemand etwas Falsches gesagt habe, sei er sofort aggressiv geworden.

K. bemerkte auch, wie gut die drei als Gruppe funktionierten: Zschäpe, die mit beiden Uwes nacheinander Beziehungen einging, habe ihre Männer mit Neckereien aufgezogen, die beiden hätten ihrerseits Späße gemacht.

Am 26. Januar 1998 floh das Trio. K. bekam einen Anruf von Carsten S., der heute ebenfalls auf der Anklagebank sitzt. Als Gleichaltrige in der Szene hatten sie Freundschaft geschlossen. K. beteuert heute, er habe nach dem Untertauchen der dreien keinen Kontakt mehr zu ihnen gehalten. Doch die Flucht seiner damaligen Vorbilder bewegte ihn: Er schrieb eine schwülstige Hymne auf die Geflüchteten, die er gemeinsam mit einer Freundin einsang und auf CD verbreitete.

Tatsächlich vergaß die Szene ihre Helden nicht, auch wenn nach K.s Schilderungen jeder vermied, über das Thema zu sprechen. Einmal habe er allerdings mitbekommen, wie auf einem Konzert Geld für sie gesammelt wurde.

Er selber hörte im Jahr 2000 völlig unverhofft, was mit den Gesuchten geschehen war: K. schildert, er sei damals in Chemnitz auf einer Schulungsveranstaltung der NPD von Edda Schmidt angesprochen worden, einer der bekanntesten weiblichen Neonazis in Deutschland. Sie stellte K. einem Mann vor, der behauptete, in Kontakt mit dem Trio zu stehen. Dieser erzählte, die drei hielten sich in Chemnitz auf und spielten den ganzen Tag auf der Spielekonsole. Tatsächlich hatten sie dort Unterschlupf gefunden, bevor sie nach Zwickau weiterzogen.

K. kam die Situation unheimlich vor – vor allem, weil er sich nicht erklären konnte, wieso gerade er die Information bekam. Denn die mittlerweile 66 Jahre alte Schmidt wohnt im baden-württembergischen Bisingen. Er frage sich, „warum jemand aus Südwestdeutschland nach Chemnitz kommt, um mit mir über drei Personen zu sprechen“. Bis heute weiß K. nicht, wer die Person war, die ihn auf den neuesten Stand brachte. Er vermutet, „das könnte was mit dem Verfassungsschutz zu tun haben“.

In jedem Fall war K. klar, wie brisant das Wissen war, das er erhalten hatte. Er habe darum mit niemandem gesprochen, außer mit seinem Bruder André – der habe geantwortet, er wolle das gar nicht wissen.

Warum jemand, der sich nur am Rande mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt zu tun hatte, auf einmal Insider-Informationen erhielt, ist ein weiteres Rätsel im NSU-Komplex. Dazu gehört auch die Frage, ob K. womöglich besser vernetzt war, als er zugibt. Für eine Auflösung tritt am Ende des Sitzungstages Ralf Wohllebens Verteidigerin Nicole Schneiders ein: Sie fordert, Schmidt als Zeugin zu laden.