Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Der Datenschatz des Verfassungsschutzes – Das Medienlog vom Dienstag, 4. August 2015

 

Ein Zeuge aus der rechten Szene tauchte nicht auf, stattdessen sorgten Anwälte der Nebenklage am Montag mit einem wichtigen Antrag für Aufsehen: Sie fordern im NSU-Prozess Aufklärung in der „Schredder-Affäre„, bei der ein Abteilungsleiter des Bundesverfassungsschutzes die Akten mehrerer V-Männer aus dem Umfeld des rechtsextremen Trios vernichten ließ. Dazu gehört auch der Informant mit dem Decknamen „Tarif“. Die Schredder-Aktion „war für den Verfassungsschutz peinlich, jetzt wird sie möglicherweise noch mal ein größeres Thema“, merkt Frank Jansen vom Tagesspiegel an.

In dem Antrag ersuchen rund 30 Vertreter der Nebenklage das Gericht, den Abteilungsleiter als Zeugen zu laden. Da Teile der Dokumente wieder aufgetaucht sind, sollen diese zudem als Beweismittel eingeführt werden. Nicht einmal der Untersuchungsausschuss des Bundestags konnte Einsicht in das Material nehmen. Der Verfassungsschutz selbst hatte sich nicht um eine Aufklärung der Angelegenheit bemüht. Nach neuerlichen Skandalen „bleibt das Versagen des Dienstes in der NSU-Affäre ein weiterer dunkler Fleck auf der Weste des Verfassungsschutzes“, schreibt Ina Krauß vom Bayerischen Rundfunk.

Was genau die Akten enthalten, ist unklar. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Inhalt für den Prozess aber relevant. „Das Bundesamt sitzt auf einem ungehobenen Datenschatz, der die Geschichte des NSU auf bislang ungekannte Weise nachzeichnet“, analysieren wir auf ZEIT ONLINE. Unabhängige Ermittlungen brachten bisher keine Ergebnisse: „Die Aufklärung reichte just soweit, wie der Verfassungsschutz gestattete.“ Dass nun ein Richter in der Sache tätig werden soll, „ist die letzte Chance der Hinterbliebenen, etwas über die mysteriösen Vorgänge zu erfahren“.

Allerdings hat Richter Manfred Götzl Beweisanträge der Nebenkläger in der Vergangenheit häufig abgelehnt. Auch die Bundesanwaltschaft trat ihnen häufig entgegen. „Entsprechend umfangreich fiel die Begründung aus, in der sich die Nebenkläger auch auf das Bundesverfassungsgericht und die europäische Rechtsprechung beziehen“, beobachtet Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. So wollen sie offenbar jeglichen Zweifeln an der Berechtigung des Antrags entgegentreten.

Da mehrere Gesuche dieser Art im Raum stehen, wird das Gericht mehr Verhandlungstage als geplant brauchen. Demnächst würden Sitzungstermine bis zum Frühsommer 2016 bekannt gegeben, berichtet Per Hinrichs in der Welt. Bislang waren Termine bis zum Januar eingeplant.

Das Vertrauen zwischen Beate Zschäpe und ihren drei alten Anwälten ist zwar nicht wiederhergestellt, doch die Krise ist vorerst ausgestanden: Die Verteidiger behalten ihr Mandat, Anträge beider Seiten auf Entpflichtung lehnte Richter Manfred Götzl ab. Damit falle ihm das Verdienst zu, den Prozess vor dem Scheitern bewahrt zu haben, meint Konrad Litschko von der taz. „Es gibt kaum einen Prozesstag, in dem Götzl nicht klarmacht, wer in dem Verfahren die Regie führt: er selbst.“ Er folge einem klaren Plan: „keine weitere Eskalation“.

Erst an relativ wenigen Tagen beschäftigte sich das Gericht bislang mit den Banküberfällen, die dem NSU zur Finanzierung seines Lebens im Untergrund dienten. „Die vergessenen Opfer“ der Taten behandelt der Journalist Thomas Moser in einem Beitrag für den Deutschlandfunk.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 5. August 2015.