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Ein Angeklagter hat nichts mehr zu verlieren – Das Medienlog vom Freitag, 26. Februar 2016

 

Und wieder ein Befangenheitsantrag: Nachdem das Gericht abgelehnt hatte, den als Waffenbeschaffer angeklagten Ralf Wohlleben aus der Untersuchungshaft zu entlassen, stellten seine Verteidiger am Donnerstag ein Ablehnungsgesuch gegen alle fünf NSU-Richter. Damit zeigt sich: „Wohlleben wehrt sich immer erbitterter gegen den Kurs der Richter. Er hat nichts mehr zu verlieren“, schreibt Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Auf ihn warte wahrscheinlich eine lange Gefängnisstrafe.

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Die Anwälte werfen den Richtern vor, sie hätten in ihrem Ablehnungsbeschluss prominent darauf hingewiesen, dass Wohlleben erst am 251. Verhandlungstag ausgesagt hatte. Damit hätten sie ihm sein Schweigerecht strittig gemacht. Vertreter der Nebenklage bezeichneten diese Interpretation als falsch. Mit dem Beschluss, analysiert Schulz, hätten die Richter jedenfalls gezeigt, dass sie Wohllebens Aussage für unglaubwürdig hielten.

Das Gericht verhandelte auch nach gestelltem Befangenheitsantrag weiter und berief sich dabei auf den sogenannten Beschleunigungsgrundsatz, der bei Angeklagten in U-Haft gilt. „Dass man bei diesem Mammut-Verfahren überhaupt Begriffe wie ‚Beschleunigung‘ verwendet, wirkt fast schon bizarr. Dafür kann aber das Gericht nichts“, merkt Mira Barthelmann vom Bayerischen Rundfunk an. Insofern wirke es befremdlich, dass die Anwälte Wohlleben einerseits schnell aus der Haft befreien, andererseits den Prozess zum Platzen bringen wollten. Denn in der Nachfolgeverhandlung säße der Angeklagte ebenfalls in Haft.

Signale wie die Ablehnung des Antrags auf Entlassung deuten auf einen Schuldspruch für Wohlleben, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Die neuerliche Aktion gegen den Strafsenat wirkt damit, „als bäume sich die Verteidigungsriege in Erwartung eines harten Urteils noch einmal auf“.

Björn Hengst von Spiegel Online spricht angesichts des Antrags von „einem besonders schweren Vorwurf“ gegen die Richter. Er weist aber auch darauf hin, dass die Richter in ihrem Beschluss den Zeitpunkt der Aussage nicht zur Würdigung seiner Glaubwürdigkeit herangezogen hätten. Der Vorsitzende Manfred Götzl habe sich von dem Vorstoß unbeeindruckt gezeigt.

Das Gericht beschäftigt sich unterdessen mit der Planung neuer Termine: Derzeit würden neue Verhandlungstage bis Januar 2017 ausgearbeitet, heißt es in einer dpa-Meldung. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass der Prozess so lange dauert – er kann auch früher enden oder abermals verlängert werden. Derzeit stehen die Prozesstage bis einschließlich 1. September dieses Jahres fest.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 29. Februar 2016.