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Das Gericht entlastet den Staat – Das Medienlog vom Mittwoch, 11. Mai 2016

 

Welche Verantwortung trägt der Staat an der NSU-Mordserie? Das Gericht meint im NSU-Prozess: Keine. „Der Senat zieht nicht den Schluss, dass staatliche Mitverantwortung an den angeklagten Taten bestünde“, sagte Richter Manfred Götzl. So begründete er die Ablehnung eines Antrags, mit dem Opferanwälte die Rolle der Verfassungsschutzämter beleuchten wollten. Demnach hatte das Brandenburger Innenministerium 1998 eine Festnahme des kurz zuvor untergetauchten NSU-Trios verhindert. „Starker Tobak. Das Gericht hat dies nun mit deutlichen Worten zurückgewiesen“, kommentiert Wiebke Ramm auf Spiegel Online. Nach Ansicht der Richter hat die Frage nach der Verantwortung des Staates zudem keine Bedeutung für die Schuld der Angeklagten.

In dem Antrag ging es um den Brandenburger V-Mann Piatto, der einen Hinweis auf einen Kontaktmann des Trios gegeben hatte. Um diesen observieren lassen zu können, hätte das Brandenburger Innenministerium den Bericht für eine richterliche Entscheidung freigeben müssen. Das aber lehnten Behördenvertreter bei einem Treffen mit anderen Beamten im September 1998 ab, um die Identität ihrer Quelle zu schützen. Die Nebenklageanwälte vermuten, dass dadurch eine Verhaftung des Trios noch vor Beginn der Mordserie verhindert wurde.

Wir bei ZEIT ONLINE wundern uns angesichts des Verhaltens der Behörde über den Sinn, überhaupt V-Männer in der Szene zu beschäftigen: „Wenn die Spitzeldienste nicht nützlich sind, um gewaltbereite Extremisten aufzuspüren – wozu dann? Um ab und zu mal ein Konzert mit bierbäuchigen Glatzköpfen im Publikum zu sprengen?“ Wer genau im brandenburgischen Innenministerium für die Geheimhaltung verantwortlich war, wird im Prozess nicht mehr geklärt werden: In einem Protokoll vom Treffen der Behördenvertreter sind die Namen der Teilnehmer geschwärzt. Ein ungeschwärztes Dokument als Beweis einzuführen, lehnte Richter Götzl ab.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 12. Mai 2016.

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