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Zschäpe entlarvt sich selbst – Das Medienlog vom Freitag, 30. September 2016

 

Völlig überraschend hat Beate Zschäpe im NSU-Prozess ausgesagt – nicht durch ihre Anwälte, sondern indem sie persönlich eine kurze Stellungnahme verlesen hat. Die Äußerung habe gezeigt, „wie schlicht die ehemalige Malergehilfin intellektuell sortiert ist, aber noch mehr, wie kaputt ihr innerer Kompass ist“, kommentiert Ulf Poschardt in der Welt. Die Schuld habe sie auf ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abgeladen, sie selbst bleibe „rätselhaft und blass“.

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„Zschäpe hätte Aufklärung liefern können. Sie hat es nicht getan“, heißt es in einem Kommentar der Neuen Westfälischen. Allein die Dauer ihrer extrem knappen Einlassung zeige, „wie ernst man ihre angebliche Reue nehmen muss“. Zudem sei auffällig, dass sie sich erst kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme geäußert habe.

Zschäpe vollzog den Wechsel von einer Verteidigungsstrategie des Schweigens zu sorgsam gewählten Einlassungen. Dass sie die von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begangenen Morde angeblich nicht guthieß, sei für den Vorwurf der Mittäterschaft bei den Taten wahrscheinlich ohne Bedeutung, schreiben Karin Truscheit und Helene Bubrowski von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mittäter könne nämlich auch sein, wer den Tod eines Menschen in Kauf nimmt, unabhängig von der eigenen Meinung. Allerdings habe die Bundesanwaltschaft bislang nicht sicher belegen können, dass Zschäpe im Vorfeld von den Morden wusste. Sie selbst war sich nach eigenen Angaben allerdings schon während der Zeit im Untergrund im Klaren, dass sie als Mittäterin angesehen werden würde. „Damit ist die frühere Verteidigungsstrategie vollends desavouiert.“

Frank Jansen vom Tagesspiegel findet Zschäpes Aussage widersprüchlich. So wurden ihr rechtsextreme Themen ihren Angaben zufolge „zunehmend unwichtig“, obwohl sich Mundlos und Böhnhardt gleichzeitig immer stärker radikalisierten. Im Anschluss ließ Zschäpe ihren Anwalt Mathias Grasel ankündigen, dass sie weiterhin keine Fragen der Nebenklage beantworten werde. „Es ist dieser Moment, der diesen Prozesstag zu einem eisigen und entlarvenden macht. Zschäpe behandelt auch jetzt noch die Familien der Opfer wie lästige Bittsteller“, kommentiert Jansen.

„Sie hätte sich absetzen können vom kühlen Tonfall ihrer Anwälte. Sie hätte den Nebenklägern zeigen können, dass ihre Entschuldigung, die Teil ihrer ersten Aussage war, von Herzen kommt“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Diese Chance nutzte Zschäpe jedoch nicht. Die persönliche Äußerung sollte demnach nur „das perfekte i-Tüpfelchen für die bisherigen Aussagen“ sein. Statt ehrlicher Aufarbeitung war von der Angeklagten somit nur Prozesstaktik zu hören.

Die Äußerung habe „die juristische Ausweglosigkeit der Beate Zschäpe“ deutlich gemacht, schreibt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Dass sie ihr Schweigen gebrochen hat, sei wohl ein letztes Mittel gewesen, um die Höchststrafe abzuwenden. Dazu hätte sie jedoch umfangreiche Angaben machen und Fragen aller Prozessteilnehmer beantworten müssen. Dies hätte auch ihren Neuverteidigern Hermann Borchert und Mathias Grasel klar sein müssen.

Einen Ausblick auf den weiteren Verlauf im Verfahren liefert Spiegel Online, außerdem eine Chronologie ihrer bisherigen Einlassungen im Prozess. Eine vollständige Mitschrift von Zschäpes kurzer Einlassung stellt NSU-Watch zur Verfügung.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 4. Oktober 2016.