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Woran der NSU-Prozess krankt – Das Medienlog vom Donnerstag, 15. Dezember 2016

 

Ein unergiebiger Gerichtstermin war die Vernehmung der Zeugin Heike B. am Mittwoch. Von ihr hatten sich die Prozessbeteiligten Aufklärung in der Frage erhofft, ob Beate Zschäpe im Jahr 2000 zusammen mit Begleitern eine Berliner Synagoge ausspioniert hatte – unter anderem mit B., deren Schwester gute Kontakte zu Größen der rechten Szene pflegte. Doch die Zeugin kannte nach eigenen Angaben weder Zschäpe noch andere Figuren aus dem NSU-Komplex. Doch ist damit die Wahrheit herausgekommen? B. wirkte zunächst schüchtern, dann habe sie jedoch gewirkt, „als fände sie die Fragen ziemlich lächerlich“. Vertreter der Nebenklage hatten sich von der Befragung mehr erhofft.

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Durch familiäre Bande reichten die Kontakte der Zeugin durchaus tief in die rechte Szene: B.s Schwester schloss sich schon früh den extremistischen Kreisen an, zudem taucht sie der Beschreibung nach in einem Observationsbericht des Verfassungsschutzes auf. Bei dem Vater ihrer beiden Kinder handelt es sich um den damaligen Chef des mittlerweile verbotenen Neonazi-Netzwerks Blood & Honour. „Ist also an diesem Tag die falsche Zwillingsschwester vor Gericht befragt worden?“, fragt Ramm.

Tatsächlich belegen Berichte des Verfassungsschutzes, dass B. etwa den Neonazi und NSU-Zeugen Jan W. kannte, der den Auftrag gehabt haben soll, dem NSU eine Waffe zu beschaffen – Fotos einer Observation zeigen ihn, die Zeugin B. und ihre Schwester gemeinsam. Ebenfalls zu sehen sind darauf Kinder. Ein Zeuge, der damals zuständige Wachpolizist der Synagoge, will Zschäpe gemeinsam mit Erwachsenen und Kindern gesehen haben. Bei einem der Begleiter könnte es sich um W. gehandelt haben.

„Am Ende war es wie so oft im NSU-Prozess: Viele Fragen blieben unbeantwortet“, bilanziert Oliver Grothmann von der Bild-Zeitung. Die Vernehmung sei „ein ernüchternder Auftritt“ gewesen. B.s Aussagen seien „überwiegend kurz und einsilbig“ gewesen, berichtet Björn Hengst von Spiegel Online.

Der Tag habe verdeutlicht, „an was der Prozess seit Anbeginn krankt und warum der NSU-Komplex auch vom Münchner Oberlandesgericht nicht restlos aufgeklärt werden wird“, merkt Thies Marsen vom Bayerischen Rundfunk an. Nämlich unter anderem Erinnerungslücken von Zeugen und das Verhalten der Bundesanwaltschaft. Nebenklageanwalt Yavuz Narin beschwerte sich, dass die Anklagebehörde die Zeugin nicht im Vorfeld vernommen und auch sonst keine Ermittlungsergebnisse dazu zur Verfügung gestellt hatte. So verfestige sich „die traurige Gewissheit, dass der NSU-Prozess vieles nicht beleuchten wird“.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 16. Dezember 2016.