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Zschäpe-Verteidiger ziehen alle Register – Das Medienlog vom Mittwoch, 21. Dezember 2016

 

Eigentlich sollte im NSU-Prozess am Dienstag der Psychiater Henning Saß das Wort erhalten, um sein Gutachten über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vorzutragen. Doch dazu kam es nicht: Zschäpes Altverteidiger lehnten den Sachverständigen ab und erreichten so eine Verzögerung des Gutachtens um mindestens einen Tag. „Das ist zumindest ein Teilerfolg für das Verteidigerteam“, meint Christian Gottschalk von der Frankfurter Rundschau.

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Saß legt in dem Gutachten eine Sicherungsverwahrung Zschäpes nahe, weil er sie für weiterhin gefährlich hält. Zusätzlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe würde das für die Angeklagte mehrere Jahrzehnte hinter Gittern bedeuten. In ihrer Ablehnung werfen die Anwälte Saß „schwere methodische Fehler“ vor. Der Sachverständige hätte seine Expertise demnach gar nicht erstatten dürfen, weil sich Zschäpe einer Befragung durch ihn verweigert hatte und somit keine Grundlage für eine Begutachtung bestehe. In der Folge fordern die Verteidiger ein Gegengutachten durch den Bochumer Sachverständigen Pedro Faustmann.

„Die Verteidigung zieht alle Register, um die von Saß nahegelegte Sicherungsverwahrung für Zschäpe zu verhindern“, schreiben Annette Ramelsberger und Wiebke Ramm in der Süddeutschen Zeitung. Diese Motivation stammt nicht von ungefähr, schließlich steht für die Hauptangeklagte viel auf dem Spiel: „Folgt das Gericht der Expertise des Gutachters, dann könnte die Freiheit für Zschäpe in sehr weite Ferne rücken.“

„Eine ziemlich bizarre Folgerung“ ist der Antrag der Verteidiger angesichts der Argumentation zur ausgebliebenen Befragung von Zschäpe durch den Gutachter, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Die Anwälte unternahmen am Dienstag den Versuch, die Methodik von Saß „zur Kaffeesatzleserei zu degradieren“. Die Erfolgsaussichten gelten indes als gering. Konrad Litschko von der taz hält den Antrag für den „Beginn ihres wohl letzten Abwehrkampfs im NSU-Prozess“.

Zur Bedeutung des Sachverständigenberichts äußert sich der ZDF-Rechtsexperte Joachim Pohl: „Mit dem Gutachten ist kein Urteil gesprochen“, merkt er an. Zunächst müsse das Gericht Zschäpe für schuldig befinden, zudem treffen allein die Richter die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung. Aber: „Der Einfluss ist erheblich“, wie der Kriminologe Rudolf Egg gegenüber der taz sagte.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 22. Dezember 2016.