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Drastisches Fazit über Zschäpe – das Medienlog vom Donnerstag, 19. Januar 2017

 

Die Einschätzung von Psychiater Henning Saß steht fest: Er hält Beate Zschäpe für voll schuldfähig, wie er bei der Erstattung seines Gutachtens über die Hauptangeklagte am Mittwoch sagte. Zudem legt er für den Fall einer Verurteilung die Sicherungsverwahrung nahe, weil er bei ihr einen sogenannten Hang zu Straftaten erkannt haben will.

Die Empfehlung des Sachverständigen hätte „nicht ungünstiger ausfallen können“, bilanziert Björn Hengst von Spiegel Online. Bei dem Auftritt von Saß habe es sich womöglich um den bislang wichtigsten Termin im ganzen Verfahren gehandelt. Auffällig sei gewesen, wie der Gutachter die großen Widersprüche zwischen Zschäpes Selbstbeschreibung als willenloses Anhängsel ihrer Komplizen und der Beschreibung anderer Zeugen als selbstbewusste, willensstarke Frau herausgestellt habe.

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Mit seiner Einschätzung habe Saß ein „drastisches Fazit gezogen“, meint Margarete Moulin von der taz. Schließlich beschrieb er ihre Persönlichkeit mit Vokabeln wie „Dominanz, Härte, Kontrolle“. Für die Richter, die am Ende das Urteil fällen müssen, sei sein Beitrag eine wichtige Entscheidungshilfe. „Seine Einschätzungen könnten direkten Einfluss auf ein zukünftiges Urteil haben“, merkt auch Alf Meier vom Bayerischen Rundfunk an. Er weist gleichsam darauf hin, dass das Gericht nicht an die Meinung des Sachverständigen gebunden ist.

Das Fazit des Psychiaters „scheint die Anklagevorwürfe in erheblichem Maße zu stützen“, analysiert Per Hinrichs von der Welt. Zu Zschäpes Eigenbeschreibung hingegen steht seine Auswertung deutlich quer: „Die Rolle des Heimchens am nationalen Herd, die Zschäpe sich selbst in ihrer Einlassung zugeschrieben hat, kauft ihr Saß nicht ab“, heißt es. Zum Eindruck der standhaften Frau trug demnach auch Zschäpes hartes Vorgehen gegen ihre drei Alt-Anwälte bei. Sie hatte ihnen das Vertrauen entzogen.

„Es wird ernst für die mutmaßliche Rechtsterroristin, die schwersten Befürchtungen drohen einzutreten“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Aus der Analyse geht „praktisch von der ersten Seite an hervor, dass Zschäpe eine ganz andere Person ist als jene, die sie im Gericht zu präsentieren versuchte“. Saß hält Zschäpe für fähig, sich hinter Gittern einer Therapie zu unterziehen, auch wenn dies wohl viele Jahre dauern würde. Eine Behandlung wäre Voraussetzung für ihre Entlassung zu einem unbestimmten Zeitpunkt, wenn es zur Sicherungsverwahrung kommt. Die Folge: „Zschäpe müsste sich hinter Gittern so weit öffnen, wie es sich Angehörige der NSU-Opfer im Prozess von ihr erhofft hatten.“

Saß habe in jedem seiner Worte deutlich gemacht, dass er Zschäpe nicht glaubt, schreibt Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. In seinen Beobachtungen habe er „das Bild einer selbstbewussten, kämpferischen, diskussionsfreudigen Person, die sich nicht unterbuttern lässt“, herausgearbeitet. Dies sei das Gegenteil einer Zschäpe, „die angeblich finanziell und emotional abhängig war von ihren beiden Freunden, sich schlagen ließ und dennoch mit ihnen in Urlaub fuhr“.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 20. Januar 2017.