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Verteidigung außer Kontrolle – Das Medienlog vom Mittwoch, 25. Januar 2017

 

Über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe liegt ein psychiatrisches Gutachten vor. Darin attestiert ihr der Sachverständige Henning Saß die volle Schuldfähigkeit und empfiehlt die Sicherungsverwahrung – eine vernichtende Einschätzung, die Zschäpes Anwalt Hermann Borchert gestern durch kritische Fragen anzugreifen versuchte. Das misslang: Der Verteidiger „lieferte ein ausgesprochen schwaches Bild ab“, meint Björn Hengst von Spiegel Online.

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Borchert konnte bei der Befragung von Saß „an diesem Tag kaum Punkte für seine Mandantin sammeln“ – was insofern logisch gewesen sei, als dass die neuen Anwälte Borchert und Mathias Grasel erst viel später in den Prozess gekommen waren als Zschäpes Altverteidiger. In der Folge habe der Anwalt Fragen gestellt, „die oftmals kaum zielführend waren“.

Noch drastischer geht Mira Barthelmann vom Bayerischen Rundfunk mit Borchert ins Gericht: Er „scheiterte kläglich“ und habe sich „schlicht nicht nachvollziehbar“ verhalten. Er habe versucht, den erfahrenen Sachverständigen „aufs Glatteis zu führen“ und ihn zu Spekulationen zu verleiten. Saß aber ließ sich nicht dazu verführen, seine Interpretationen fälschlicherweise als Fakten zu bezeichnen. Ohnehin seien die Erfolgsaussichten, das Gutachten zu demontieren, sehr gering gewesen.

„Der Vorgang glich dem Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Treibsand zu ziehen“, meinen auch wir von ZEIT ONLINE. Anhand der Vernehmung stellte sich die Strategie der neuen Anwälte als Fehler heraus: Beate Zschäpes Aussage fand sich zu großen Teilen in Saß‘ Analyse wieder. Die Angriffe gegen diese Passagen fruchteten nicht: „Sein Gutachten erleidet keinen Kratzer.“

Überraschend äußerte sich Beate Zschäpe an diesem Tag. Thema war der Brief, den sie 2013 an einen Dortmunder Neonazi geschickt hatte und den Saß ebenfalls interpretiert hatte. Anwalt Borchert teilte mit, dass Teile des Schreibens nicht von ihr selbst stammten, sondern Zitate waren. Das bestätigte die Angeklagte, indem sie sagte, es seien „nicht meine eigenen Worte“.

„Es ist der Moment, an dem Borcherts Befragung außer Kontrolle zu geraten droht“, bilanziert Wiebke Ramm von der Süddeutschen Zeitung. Ihre Wortmeldung stehe „im Widerspruch zu den Angaben ihrer Verteidigung, sie sei psychisch nicht in der Lage, sich selbst vor Gericht zu äußern“. Es war das zweite Mal, dass sie sich persönlich äußerte und zum ersten Mal frei, ohne Manuskript.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 26. Januar 2017.