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Zschäpes verlorener Kampf

 

Noch immer irritiert das entlastende Gutachten über Beate Zschäpe im NSU-Prozess. Jetzt will auch die Anklage die Expertise des unkritischen Psychiaters loswerden.

Mit einer steilen These hatte der Freiburger Psychiater Joachim Bauer im vergangenen Monat reichlich Aufmerksamkeit erregt: Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe, angeklagt als Mittäterin einer Serie von Morden und Bombenanschlägen, sei zu keiner Schuld fähig gewesen – so das Ergebnis eines Gutachtens, das Bauer im Auftrag von Zschäpes Verteidigern geschrieben hatte. Nun wird immer klarer: Im Urteil wird sich keine Spur des entlastenden Ergebnisses wiederfinden. Eine der letzten Hoffnungen der Angeklagten ist geplatzt.

Hintergrund ist, dass die Nebenklageanwälte Doris Dierbach und Thomas Bliwier Bauer aufgrund seines überfreundlichen Umgangs mit Zschäpe abgelehnt hatten – wegen der Besorgnis der Befangenheit. Sie werfen ihm vor, sich als „Beschützer der Angeklagten“ verhalten zu haben. Kommt der Antrag durch, wäre Bauers Expertise aus der Liste der Beweismittel zu streichen – wiewohl schon zuvor erkennbar war, dass das Gericht sich für die Ausführungen des Psychiaters schlicht nicht interessierte.

Unterstützung erhielten die Opferanwälte jetzt von der Bundesanwaltschaft, also der Vertretung der Anklage. In einer Stellungnahme begrüßte Oberstaatsanwältin Anette Greger das Ansinnen ausdrücklich – und kanzelte damit abermals Bauer ab, der seinem professionellen Ruf mit dem Auftritt vor Gericht keinen Gefallen getan hatte. Der Psychiater habe den Eindruck erweckt, sein Gutachten „ergebnisorientiert und interessengeleitet“ erstattet zu haben.

„Zweifel an der inneren Haltung des Gutachters“

Den Auftrag erteilten Bauer Zschäpes Vertrauensanwälte Hermann Borchert und Mathias Grasel – allerdings erst, nachdem dieser bereits mit Zschäpe gesprochen hatte. Den Verteidigern war somit offenbar klar, welches Ergebnis der Experte liefern würde. Allein dieser Ablauf „rechtfertigt Zweifel an der inneren Haltung des Gutachters“, sagte Greger. Sie bezog sich auch auf eine Episode, die in Bauers Augen eine Lappalie darstellt: Bei einem seiner acht Treffen mit Zschäpe in der Untersuchungshaft versuchte er entgegen der Gefängnisordnung, seiner Probandin eine Schachtel Pralinen mitzubringen. Eine Wärterin hielt ihn auf und machte den Vorfall aktenkundig. Dies zeige, dass Bauer sich im Umgang mit Zschäpe „von persönlichen Handlungsantrieben“ habe leiten lassen.

In der Folge entstand ein rundum positives Bild von Zschäpe. Die Angeklagte litt laut Bauers Diagnose an einer sogenannten dependenten Persönlichkeitsstörung, klammerte sich also macht- und willenlos an andere – in diesem Fall an ihre Lebenspartner Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Sie habe eine „verschärfte Geiselhaft“ durchlitten, führte er bei einem seiner bizarr anmutenden Auftritte vor Gericht aus. Außerdem habe Zschäpe ihm von brutalster Gewalt und sogar sexuellen Übergriffen durch Böhnhardt berichtet. Sein Fazit: „Es ist klar geworden, dass Frau Zschäpe bei den Morden nicht die treibende Kraft war. Das ist gegen ihren Willen passiert“, sagte Bauer.

Damit stellte er sich diametral gegen den vom Gericht bestellten Gutachter Henning Saß, der Zschäpe für voll schuldfähig befunden hatte und die Sicherungsverwahrung für sie nahelegte. Gesprächen mit ihm hatte sich die Angeklagte stets verweigert.

Geleitet von der Sorge um seinen Ruf

Bauers Image unter Fachkollegen dürfte unter dem NSU-Fall gelitten haben. Die Schuld dafür sucht der Psychiater aber keineswegs bei sich selbst, sondern vornehmlich bei den Medien. Diese sähen in Zschäpe „das nackte Böse in einem weiblichen Körper“, schrieb er in einer E-Mail an den stellvertretenden Chefredakteur der Welt, Oliver Michalsky – und ließ ihm zugleich das Angebot für einen „exklusiven Beitrag“ über das Gutachten zukommen. Dazu kam es nicht – die Zeitung veröffentlichte stattdessen die E-Mail.

Erhofft hatte sich Bauer wohl eine Art Gegendarstellung, nachdem er in allen anderen Medien „massiver und unsachlicher Angriffe gegen meine Person“ gewahr geworden war – so zu lesen in einer Stellungnahme zu dem Befangenheitsantrag, die das Gericht am Dienstag verlas. Das Gutachten selbst verteidigt er darin so gut wie gar nicht. Für Anwältin Dierbach, die Autorin des Befangenheitsantrags, ist dies ein Anzeichen dafür, dass sich der Psychiater von seiner „Sorge um seinen Ruf leiten lässt“ – und nicht von seinem Fachwissen.

Zschäpe muss mit ansehen, wie ihr Wunschgutachter von den Prozessbeteiligten zerpflückt wird. Verteidiger Grasel schaltet sich mit keinem Wort in die Debatte ein. Für die Angeklagte ist es ein weiterer verlorener Kampf.