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Zschäpe-Verteidigung in der Sackgasse – Das Medienlog vom Mittwoch, 21. Juni 2017

 

Gegen den Psychiater Joachim Bauer, der dem Gericht ein wohlwollendes Gutachten über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe vorgelegt hat, liegt ein Befangenheitsantrag von Nebenklageanwälten vor. Gestern nahm die Bundesanwaltschaft dazu Stellung – und unterstützte den Antrag. Die Anklagevertreter halten Bauers Expertise demnach für fehlerhaft und geleitet von persönlichen Interessen. Nach vier Jahren NSU-Prozess könnte dieser Befangenheitsantrag „nun der erste sein, der Erfolg hat“, analysiert Wiebke Ramm in der Süddeutschen Zeitung.

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Beauftragt worden war Bauer von Zschäpes Neuanwälten Mathias Grasel und Hermann Borchert. Der Psychiater kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass Zschäpe vermindert schuldfähig und an einer Persönlichkeitsstörung erkrankt ist. Er befragte Zschäpe in der Untersuchungshaft und schloss darauf, dass sie nach schädlichen Einflüssen in Kindheit und Jugend in eine emotionale „Geiselhaft“ ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt geraten war.

Für die Verteidiger klang diese These gut, meint Julia Jüttner von Spiegel Online. „Tatsächlich aber haben die beiden Anwälte ihre Mandantin in eine Sackgasse manövriert.“ Zumal Bauer nach dem verheerenden Medienecho zu seinem Gutachten nachkartete und den Prozess in einer E-Mail eine „Hexenverbrennung“ nannte. Fraglich sei, wie es für Zschäpe weitergehen soll, wenn die Richter dem Befangenheitsgesuch stattgeben und das Gutachten damit wertlos machen. Es handle sich um „Fragen, über die sich Zschäpe vermutlich keinen Kopf hätte machen brauchen, hätte sie sich nicht von ihren drei Altverteidigern abgewandt“.

„Bauers Image unter Fachkollegen dürfte unter dem NSU-Fall gelitten haben“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Die Schuld dafür sucht er demnach aber bei den Medien, die über den Fall berichteten, und nicht bei seiner Person. Das Ergebnis: „Zschäpe muss mit ansehen, wie ihr Wunschgutachter von den Prozessbeteiligten zerpflückt wird.“ Für sie ist die Episode mit dem Gutachter „ein weiterer verlorener Kampf“.

Der Versuch, eine lange Haftstrafe abzuwenden, „ging gründlich daneben“, schreibt Gisela Friedrichsen in der Welt (kostenpflichtig). Hinzu kam: „Die Anwälte sahen schweigend zu, als er sich vor Gericht lächerlich machte“, weil ihm offenbar nicht bewusst war, welche Rolle ihm als Gutachter in einem Strafprozess zukommt.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 22. Juni 2017.