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Das komprimierte Grauen von 14 Jahren – Das Medienlog vom Mittwoch, 26. Juli 2017

 

Nach einigem umständlichen Gezerre ist der NSU-Prozess nun tatsächlich in die letzte Phase eingetreten: Die Plädoyers haben begonnen – mit dem Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft. In den ersten von geplanten 22 Stunden Prozessfazit kamen die Vertreter der Anklage zu dem Schluss: Beate Zschäpe ist als Mittäterin schuldig an den Morden, Anschlägen und Raubüberfällen des NSU, die ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt hatten.

„An diesem Prozesstag (…) wird das Grauen der fast 14 Jahre komprimiert, die Zschäpe mit Böhnhardt und Mundlos im Untergrund verbracht hat“, bilanziert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Nun sei „die Zeit gekommen, aus dem grausig großen Bild das Ausmaß der Schuld jedes einzelnen Angeklagten abzulesen“.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Im Plädoyer sprach Bundesanwalt Herbert Diemer von einem „Wahn von einem ausländerfreien Land“, dem das Trio anhing – Zschäpe genauso wie Mundlos und Böhnhardt. Sie sei mit den beiden auf Augenhöhe gewesen und habe sich nicht beeinflussen lassen – anders, als sie selbst behauptet hatte.

Bis zur Forderung über das Strafmaß wird es wohl noch ein paar Tage dauern. „Doch es ist davon auszugehen, dass die Ankläger für Zschäpe eine lebenslange Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld beantragen, möglicherweise gar die Anordnung der Sicherungsverwahrung“, analysiert Julia Jüttner von Spiegel Online. Die Hauptangeklagte war nämlich als „Tarnkappe“, wie es Oberstaatsanwältin Anette Greger formulierte, unverzichtbar für den NSU.

In dem Vortrag „wurde deutlich, wie groß das Puzzle ist, das in mehr als vier Jahren NSU-Prozess aus Tausenden einzelner Indizien und Zeugenaussagen gelegt wurde“, schreibt Holger Schmidt auf tagesschau.de. So werde nun die teils arg kleinteilig wirkende Beweisaufnahme zusammengefügt. Die Bilanz der Bundesanwaltschaft werde jedoch „auch jenseits der Verteidigung für Widerspruch sorgen“. So etwa die These, dass der V-Mann Tino Brandt nicht zur Radikalisierung des Trios beigetragen habe.

Die Anklagevertreter fügten viele Fakten zu Thesen zusammen. „Doch längst nicht alle davon sind unstrittig“, kommentieren auch wir auf ZEIT ONLINE. Etwa die Ansicht, dass der NSU ausschließlich aus drei Mitgliedern bestand – dieser Behauptung stellen sich die Anwälte der Nebenklage vehement entgegen. Allerdings liegen den Schlüssen der Bundesanwaltschaft zahlreiche Fakten zugrunde: „An Belegen für die extremistische Ideologie mangelt es nicht.“

In einer Übersicht haben wir die wichtigsten Fragen und Antworten zur aktuellen Situation im Prozess zusammengetragen – und geben einen Ausblick auf das weitere Geschehen. Entscheidend für das Verständnis ist auch der Vorwurf der Mittäterschaft, der Beate Zschäpe gemacht wird. Diesen hat Frank Bräutigam von der ARD-Rechtsredaktion analysiert.

Den Bundesanwalt Diemer, der in München die Anklage vertritt, hat Karin Truscheit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung porträtiert. Die Autorin schreibt, dem Beamten sei die „Würde der Anklagevertretung“ stets anzumerken.

Zu Beginn des Prozesstags lehnten die Richter erneut eine Aufzeichnung des Anklagevortrags ab, den mehrere Verteidiger gefordert hatten. Tonaufnahmen im Gericht könnten jedoch förderlich sein, argumentiert der Anwalt Udo Vetter im Interview mit Deutschlandfunk Kultur.

Mit dem Plädoyer dürfte auch der im Prozess stets schweigsame Mitangeklagte André E. wieder in den Fokus rücken. Konrad Litschko von der taz hat einen genaueren Blick auf ihn geworfen.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 27. Juli 2017.