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Keine Berichte zum NSU-Prozess

Auch am Dienstag, 21. Oktober, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 22. Oktober 2014.

 

152. Prozesstag – Zeugin zu Waffenschmuggel und Bezüge nach Baden-Württemberg

Die Prozesswoche beginnt mit der Zeugin Sitta I., von der sich das Gericht Angaben zum Waffenschmuggel der NSU-Pistole Ceska 83 erhofft. I. war in den neunziger Jahren die Lebensgefährtin des Schweizers Hans-Ulrich M., der die Waffe aus seinem Heimatland in die Bundesrepublik gebracht haben soll. Bei einer Vernehmung im Jahr 1996 belastete sie den Zeugen Enrico T., der ebenfalls in den Transport eingebunden gewesen sein soll. I. sagte damals aus, T. habe einen sogenannten Schießkugelschreiber besessen – den hatte er mutmaßlich von M. erhalten.

Im Anschluss ist eine Ermittlerin des baden-württembergischen Landeskriminalamts geladen. Auf einen Beweisantrag von Nebenklageanwälten hin soll sie Angaben zu Bezügen des NSU nach Baden-Württemberg machen. Dort ermordeten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2007 mutmaßlich die Polizistin Michèle Kiesewetter.

Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Die Berichte darüber fassen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Zeuge gewinnt Machtkampf gegen das Gericht – Das Medienlog vom Freitag, 17. Oktober 2014

Am Donnerstag sagte der rechtsextreme Zeuge Thomas G. zum dritten Mal aus – jedoch nicht über seine mutmaßliche Mitgliedschaft bei der radikalen Organisation Hammerskins. G., ein Weggefährte des Mitangeklagten Ralf Wohlleben, durfte Angaben dazu nach einer Intervention von dessen Anwalt Olaf Klemke verweigern, wie Richter Manfred Götzl entschied. „Für seine Skrupel zahlt der Rechtsstaat in Person von Richter Götzl einen Preis“, urteilt Frank Jansen vom Tagesspiegel. Denn der Vorsitzende hatte G. in der vorigen Sitzung noch mit einem Ordnungsgeld gedroht, sollte sich dieser nicht äußern.

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Der schweigende Szene-Bruder

Ein Verteidiger erkämpft im NSU-Prozess für einen Zeugen das Recht zu schweigen. So muss das Gericht wohl auf Informationen über den Mitangeklagten Ralf Wohlleben verzichten.

Gedächtnislücken – auf diese berufen sich Zeugen aus dem rechten Spektrum im NSU-Prozess immer wieder, wenn sie unangenehme Themen in ihrer Aussage umschiffen wollen. Thomas G. aus dem thüringischen Altenburg spielte hingegen schon bei seiner Aussage im Juli mit offenen Karten: Er werde nicht verraten, ob er Mitglied in der rechtsextremen Organisation Hammerskins sei, sagte er bei seiner zweiten Vernehmung. Das verbiete ihm sein „Wertegefüge“. Auch, als Richter Manfred Götzl ihm für sein Schweigen ein Ordnungsgeld androhte, blieb er dabei.

Das Gericht befragte G. am 151. Prozesstag nun ein weiteres Mal. Es erhofft sich von ihm Aussagen über die Gesinnung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Dieser soll für den NSU die Mordwaffe Ceska 83 organisiert haben und in Jena die rechtsextremen Strukturen aufgebaut haben – gemeinsam mit seinem Freund G. Der Zeuge könnte wohl auch Informationen liefern, in welchen Netzwerken sich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos vor ihrem Untertauchen 1998 bewegten – doch dazu ist aus ihm wenig herauszubekommen. Als G. vom Gericht nun ein weiteres Mal befragt wurde, kam es zum juristischen Showdown. Sieger war letztlich der Zeuge – und ein Verteidiger.

Als G. in den Münchner Gerichtssaal kommt, hat er einen Anwalt an seiner Seite, einen sogenannten Zeugenbeistand. „Dann wollen wir jetzt auf die Fragen zurückkommen, wo Sie nicht geantwortet haben“, sagt Richter Manfred Götzl.

In diesen Fragen ging es um seine angebliche Mitgliedschaft bei den Hammerskins, einer in den USA entstandenen Organisation. Beitreten darf nicht jeder: Weiß muss man sein, männlich und über 18 Jahre alt. Eine lange Probezeit muss man bestehen. Nur, wer geeignet scheint, darf sich dem elitären Zirkel anschließen, der für eine Vorherrschaft weißer Menschen und einen Rassenkrieg eintritt. Die wichtigste Auflage ist allerdings: Kein Mitglied darf über die Hammerskins sprechen.

Schweigegelübde allerdings interessieren einen Richter wenig. Prozessbeobachter hatten damit gerechnet, dass G. diesmal das angedrohte Ordnungsgeld aufgebrummt bekomme. Doch zuvor springt Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke G. zur Seite: Er weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Dresden im Jahr 2002 wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitglieder ostdeutscher Hammerskins aufgenommen hatte. Niemand muss vor Gericht Angaben machen, wenn in derselben Angelegenheit gegen ihn ermittelt wird, das besagt Paragraph 55 der Strafprozessordnung.

Der Einwand ist erstaunlich – denn G. wollte ja nicht aussagen, weil er sich nicht selbst belasten wollte, sondern weil es ihm sein Ehrgefühl verbiete. Das hält Richter Götzl dem Zeugen vor. „Also, dann berufe ich mich auf diesen Paragraphen 55“, ergänzt dieser schnell.

Klemkes Kniff mit der Strafprozessordnung wirkt dennoch aussichtslos: Das Verfahren wurde 2006 eingestellt, G. war damals überhaupt nicht betroffen und das Netzwerk gilt mittlerweile als aufgelöst.

Klemke hatte in der Vergangenheit häufig eine Lanze gebrochen für Zeugen aus dem rechten Spektrum, mehrmals forderte er vom Gericht, ihnen einen Zeugenbeistand zur Seite zu stellen – mit Erfolg. Im Fall G. schoss der Verteidiger aber an allen drei Vernehmungstagen weit über sein übliches Engagement hinaus.

Nach einer langen Mittagspause folgt schließlich die Überraschung: Götzl verkündet, dass G. doch ein Aussageverweigerungsrecht zusteht. Würde er bestätigen, Mitglied der Hammerskins zu sein, könnte er „damit die Einleitung eines Strafverfahrens begründen“.

Eine Folge die zwar denkbar ist – doch aufgrund der schwer durchschaubaren Strukturen aus Kameradschaften und Brüderschaften im rechten Milieu ziemlich unwahrscheinlich. Fürchtet Götzl, dass sein Urteil durch eine Revision angreifbar wird? Fehler durch die falsche Behandlung eines Zeugen will sich der Richter nicht erlauben. G. darf deswegen sein Geheimnis hüten – ohne Angst vor Strafen. Und Anwalt Klemke kann einen Sieg verbuchen.

Am Nachmittag wird offenbar, dass sich auch der Angeklagte André E. auf G.s Zeugenaussage vorbereitet haben könnte. Nebenklageanwalt Yavuz Narin weist das Gericht darauf hin, dass E. unter seiner Lederweste einen Pullover trägt, auf dem die Worte „Brüder schweigen“ aufgedruckt sind. Dabei handle es sich um einen alternativen Namen der rassistischen US-Organisation The Order, die in den achtziger Jahren einen Radiomoderator ermordete. Die Gruppe, sagt Narin, würde von den Hammerskins „geradezu verehrt“. Es ist nicht das erste Mal, dass E. mit seiner Kleidung provoziert: Im Mai war er in einem Pulli erschienen, auf dem zwei Sturmgewehre abgebildet waren.

Der Anwalt glaubt, E. wolle G. mit der Aufschrift an sein Schweigegelübde gegenüber den Hammerskins erinnern – auch er gilt als ein Verfechter des Rassenkriegs. Zur Beweissicherung fotografieren Justizbeamte E. in einer Prozesspause. Tatsächlich steht auf dem Kleidungsstück die Losung „Brüder schweigen“ in Frakturschrift. Und etwas kleiner darunter: „Bis in den Tod.“

 

Falsche Gnade für Uwe Böhnhardt – Das Medienlog vom Donnerstag, 16. Oktober 2014

Der Zeuge Jan W. verweigerte am 150. Verhandlungstag die Aussage, im Anschluss ließ Richter Manfred Götzl zwei Urteile gegen Uwe Böhnhardt verlesen. Das verstorbene NSU-Mitglied soll 1996 eine Puppe mit Judenstern und eine Bombenattrappe an einer Autobahnbrücke angebracht haben. In zweiter Instanz wurde er von der Tat freigesprochen – aufgrund zweifelhafter Alibis seiner Freunde, zu denen auch Beate Zschäpe gehörte. „Es ist diese Haltung, mit der viele Gerichte in den neunziger Jahren den Rechtsradikalen das Gefühl gaben, sie könnten sich alles erlauben“, kommentiert Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung.

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151. Prozesstag – Ordnungsgeld für Thomas G.?

Am Donnerstag kommt es zur Autoritätsprobe für das Gericht: Richter Manfred Götzl muss, um konsequent zu sein, ein Ordnungsgeld gegen den Zeugen Thomas G. verhängen. G. war bereits zweimal im Prozess und weigerte sich dabei, über seine Verbindungen zur rechtsextremem Organisation Hammerskins auszusagen. Neben einer Geldstrafe kommt unter Umständen auch eine Ordnungshaft in Frage.

Der 35-Jährige gilt als Neonazi-Anführer und ist in der rechten Szene bestens vernetzt. Er gab an, keinen Kontakt zum NSU-Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gepflegt zu haben. Er habe jedoch Ralf Wohlleben gekannt.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Der Zeuge mit dem „Bums“

Im NSU-Prozess tritt ein schmallippiger Zeuge auf. Jan W. verweigerte die Aussage. Er soll der Terrorzelle eine Waffe besorgt haben. Einen entscheidenden Hinweis von ihm hatte die Polizei ignoriert.

Es war eine drastische Szene, die ein Zeuge vor einigen Monaten Ermittlern des Bundeskriminalamts schilderte: Am Rande eines Gerichtsverfahrens in Berlin kurz nach der Jahrtausendwende hätten die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihrem Bekannten Jan W. eine Knarre an den Kopf gehalten. Er solle „aufpassen, wem er was erzähle“, hätten sie ihm gedroht. W. war damals Produzent der bekannten Rechtsrock-Band Landser. Deren Mitglieder wurden bei dem Prozess als Volksverhetzer verurteilt.

Die Drohung mit der Pistole wirkt wie eine sehr spezielle Art von Mundlos und Böhnhardt, ihrem Kameraden Danke zu sagen. Denn der soll dem Trio aus den beiden Männern und Beate Zschäpe im Jahr 1998 eine Waffe besorgt oder das zumindest versucht haben. Sie könnte bei einem der 15 Raubüberfälle zum Einsatz gekommen sein, mit denen der NSU seinen Lebensunterhalt im Untergrund verdiente.

1998, da waren Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gerade vor der Polizei geflüchtet, weil Fahnder in einer Garage von Beate Zschäpe Sprengstoff sichergestellt hatten. Mit dem bestens in der rechtsextremen Szene verdrahteten W. aus Chemnitz hatten sie einen der wertvollsten Helfer auf ihrer Seite. Auch nach dem Vorfall in Berlin hat W. die Terrorzelle nach Ansicht der Bundesanwaltschaft weiter unterstützt, gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren.

Jemand, der das neonazistische Netzwerk so gut kennt wie W., hätte eine Menge zu erzählen. Deswegen hat das Münchner Oberlandesgericht ihn am 150. Prozesstag als Zeuge geladen. Bei dem baumlangen, drahtigen W. lugt eine Tätowierung unter dem weißen Hemd hervor, als er sich an den Zeugentisch gegenüber von Richter Manfred Götzl setzt. Er sei 39 Jahre alt, Berufskraftfahrer und „Single, ledig, kinderlos, falls das noch kommt“, gibt er zu Protokoll. Damit ist sein Auftritt beendet. Wegen der Ermittlungen gegen ihn muss sich W. nicht vor Gericht äußern – und tut das auch nicht.

Hätte er sich doch anders entschieden, so wäre die Vernehmung wohl zum altbekannten Spiel mit Erinnerungslücken und ausweichenden Antworten geworden, das sich regelmäßig beobachten lässt, wenn Kameraden in den Zeugenstand treten. In seiner einzigen Befragung bei der Polizei bezeichnete sich W. als Aussteiger, „für die einen zu links und für die anderen zu rechts“. Rechtsrock-Musik habe er „einfach gerne gehört“.

Allerdings steht W. seit Langem unter Beobachtung der Geheimdienste – weshalb den Behörden längst vieles über ihn bekannt geworden ist. Der Brandenburger Verfassungsschutz notierte kurz nach dem Untertauchen des Trios über ihn, er „soll z. Zt. den Auftrag haben, für die drei flüchtigen sächsischen Rechtsextremisten (…) Waffen zu beschaffen“. Damit waren offenbar Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt gemeint, die aus Thüringen zu Kameraden nach Sachsen geflohen waren. Der Verfassungsschutz hatte auch eine Vermutung, womit diese Waffen bezahlt werden sollten: aus Kassen der mittlerweile verbotenen Organisation Blood & Honour.

In dieser Skinhead-Vereinigung war W. eine Führungsfigur – was seine mutmaßliche Nähe zum NSU nicht wie einen Zufall erscheinen lässt: Immer wieder tauchen Hinweise auf Parallelen zwischen dem Netzwerk und der Terrorzelle auf. So schrieb Uwe Mundlos nach Verfassungsschutz-Erkenntnissen mehrere Artikel für die Zeitschrift White Supremacy, die sich als Sprachrohr von Blood & Honour darstellte. Als Herausgeber fungierte für mindestens eine Ausgabe des Hefts Jan W.

Als Leitwolf des rechten Geschwaders dürfte W. auch über die Möglichkeiten verfügt haben, den abgetauchten Kameraden mit schweren Kalibern zu helfen. Das legt eine SMS nahe, die W. im August 1998 an den Kameraden Carsten Sz. schickte. Inhalt war der Text „Hallo, was ist mit dem Bums“. Es liegt nahe, dass mit „Bums“ eine Waffe gemeint war. Die Polizei, die damals nach dem flüchtigen Trio suchte, war entsprechend elektrisiert – denn Carsten Sz. berichtete als V-Mann unter dem Decknamen „Piatto“ an den Verfassungsschutz, das Handy hatte ihm die Behörde gestellt.

Die Ermittler hätten sich also im Klaren sein müssen, dass sie an einer Quelle saßen, die dicht an den Untergetauchten dran war. Doch das vermochte ihren Eifer nicht anzufachen: Sie ließen die Spur links liegen. „Es erschließt sich nicht, weshalb die Zielfahndung hier nicht weiterermittelt hat“, befand denn auch der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags in seinem Abschlussbericht. Mittlerweile hat W. das Recht, über seine Kontakte zu den späteren Terroristen zu schweigen.

 

Zschäpes Verteidiger erheben schwere Vorwürfe – Das Medienlog vom Mittwoch, 15. Oktober 2014

Wieder ging es vor Gericht um die Zeugin Charlotte E. – jene Zwickauer Seniorin, die am 4. November 2011 durch ein Feuer in der Nachbarwohnung in Lebensgefahr geriet. Den Brand soll Beate Zschäpe gelegt haben. Weil die unter Demenz leidende 92-Jährige erst spät gerichtlich vernommen wurde, konnte sie keine verwertbaren Angaben machen. Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer sprach deshalb von einem Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Wäre die Befragung der Frau tatsächlich verzögert worden, so könne dies „sowohl auf die Bundesanwaltschaft als auch auf den Senat des Oberlandesgerichts München einen Schatten werfen“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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150. Prozesstag – Mutmaßlicher Unterstützer Jan W.

Gegen den mutmaßlichen NSU-Unterstützer Jan W. läuft ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts. W. soll sich in der Szene um die mittlerweile verbotene Neonazi-Organisation Blood & Honour bewegt haben. Zudem soll er einer der Herausgeber des rechtsextremen Magazins White Supremacy gewesen sein und in viele weitere Kreise Kontakt gehalten haben.

Seine Vernetzung soll W. genutzt haben, um dem NSU-Trio im September 1998 oder später eine Schusswaffe besorgt zu haben, mit der Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Raubüberfälle begingen. Ein anderer Zeuge erzählte, dass W. ihm gesagt habe, Mundlos und Böhnhardt hätten ihm am Rande eines Gerichtsverfahrens eine Pistole an den Kopf gehalten. Dabei hätten sie ihm gesagt, er solle „aufpassen, wem er was erzähle“.

ZEIT ONLINE berichtet aus München und fasst den Prozesstag am Abend auf diesem Blog zusammen. Informationen aus der Verhandlung gibt es via Twitter hier. Weitere Berichte stellen wir morgen im NSU-Medienlog zusammen.

 

Beweise im Schlafzimmer

Propagandamaterial, verdächtige Briefe: Beim mutmaßlichen NSU-Helfer André E. fanden Ermittler etliche Indizien. Zschäpes Verteidiger belasten unterdessen womöglich ihre eigene Mandantin.

Für Susann E. und ihren Bekannten war es ein unsanftes Erwachen, als Bundespolizisten am 24. November 2011 um 6.30 Uhr die Tür von E.s Zwickauer Wohnung auframmten. Sie fanden E. und ihren Besucher auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ermittler des Bundeskriminalamts waren mit einem Durchsuchungsbeschluss ins Haus gekommen – der Hausherr André E. sollte ein Unterstützer der Terrorzelle NSU sein, der Gruppe, die sich knapp drei Wochen zuvor selbst enttarnt hatte.

Die Polizisten suchten Beweise für einen schwerwiegenden Verdacht: E. soll die Gruppe aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterstützt haben, indem er Wohnmobile mietete und ihnen eine Kundenkarte der Deutschen Bahn auf seinen Namen zur Verfügung stellte – so konnten die beiden Männer zum Morden unerkannt durch die Republik reisen. Wegen der Vorwürfe sitzt E. auf der Anklagebank neben Zschäpe.

Was das Wühlen im Besitz des Verdächtigen damals ergab, ist an diesem Dienstag Thema im NSU-Prozess. Drei BKA-Beamte berichten von den Maßnahmen, bei denen E. selbst nicht daheim war. Spezialkräfte nahmen ihn zur selben Zeit im Haus seines Zwillingsbruders in Brandenburg fest. Auch die Wohnung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben wurde am 24. November 2011 durchsucht. Beim Ehepaar E., das zwei Kinder hat, fanden die Ermittler zunächst Hinweise, die dessen rechte Einstellung bekundeten.

Sie stießen auf Laptops, einen Computer und etliche Festplatten, die überquollen mit Propagandamaterial, rechten Liedern und Videos. Im Schlafzimmer fand sich eine Dose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“, darunter „spendet für: Propaganda und Schulung“. Ob und wo die Spendenbüchse zum Einsatz kam, ist unklar.

Doch sie birgt einen Hinweis auf weitere Verflechtungen: Die Nationalen Sozialisten bildeten in Zwickau ein Netzwerk, das mit teils gewalttätigen Kundgebungen in der Stadt auf sich aufmerksam machte. Anführer der Truppe war der Neonazi Daniel P., der einem Zeitungsbericht zufolge das NSU-Trio gekannt haben soll.

Noch enger verbunden war den dreien Familie E. selbst. Sie soll ihnen jede Woche einen Besuch abgestattet haben. Dass dabei auch einmal eine Karte der Bahn übergeben wurde, lag nach der Durchsuchung nahe: Ebenfalls im Schlafzimmer lag ein Brief des Unternehmens.

Das wohl interessanteste Schriftstück allerdings steckte in einer Cordjacke im Flur: ein Brief, verschickt von einem Campingplatz auf Fehmarn, adressiert an Susann E. Auf der Freizeitanlage machte das Trio seit 2007 jedes Jahr Urlaub.

Im Anschluss an die Vernehmungen fährt Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer eine Breitseite gegen das Gericht. Der Prozess verstoße „gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens“ und die Europäische Menschenrechtskonvention, weil er Zschäpes Rechte verletzt habe. Erneut geht es um die Befragung der mittlerweile 92 Jahre alten Charlotte E., die in der Nachbarwohnung des NSU-Trios in Zwickau wohnte, als Zschäpe das Haus mutmaßlich in Brand steckte. Die Anwälte sind der Meinung, die Hauptangeklagte habe bei E. geklingelt, um sie vor dem Feuer zu warnen. Die Bundesanwaltschaft sieht das nicht als erwiesen an und wirft Zschäpe wegen des Brands versuchten Mord vor.

Sicher zu klären ist der Punkt nicht mehr: Vernehmungen der dementen Frau brachten weder im Dezember 2013 noch im vergangenen Mai Erkenntnisse. Mit der Zeit hatten sich ihr geistiger Zustand und ihr Gedächtnis offenbar immer weiter verschlechtert. Die Frage ist: Hätte E. zu einem früheren Zeitpunkt verwertbare Informationen liefern können? Heer fordert, dass Zschäpes früherer Anwalt Gerald Liebtrau als Zeuge geladen wird, mit dem sie sich im November 2011 bei der Polizei in Jena gestellt hatte. Dieser habe direkt nach Zschäpes Festnahme beantragt, die Zeugin zu befragen. Richter Manfred Götzl entscheidet daraufhin, dass Liebtrau am Donnerstag der kommenden Woche geladen wird.

Unklar ist jedoch, ob der Antrag für Zschäpe überhaupt einen Sinn hat. Denn geklingelt wurde bei der Nachbarin offenbar so früh, dass Außenstehende das Feuer überhaupt noch nicht ahnen konnten. Die Verteidigung habe damit eingestanden, dass Zschäpe den Brand gelegt habe, wirft der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann ein. Sehr fraglich ist auch, ob ein einfaches Klingeln schon einen Rücktritt von der Tat, die sogenannte tätige Reue begründet. „Das macht es nicht besser, das ist kein Rücktritt“, sagt Hoffmann.

Bundesanwalt Herbert Diemer, ein Vertreter der Anklage, äußert sich gegen Ende des Prozesstags zu der CD, die der V-Mann Thomas Ri. alias „Corelli“ 2005 an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergegeben hatte. Sie ist mit dem Kürzel „NSU/NSDAP“ beschriftet und warf vor Kurzem die Frage auf, ob die Behörden bereits früher etwas von der Existenz des NSU hätten ahnen müssen.

„Wir führen seit dem Auftauchen des Datenträgers intensive Ermittlungen“, sagt Diemer. Für den Prozess wird die CD wohl nicht relevant werden: Bislang gebe es keine Hinweise, dass einer der Angeklagten sie produziert habe. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sei auch die Prüfung, wer die mit Propagandamaterial gefüllte Sammlung hergestellt hat.