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Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen Enrico T. – Das Medienlog vom Donnerstag, 19. Juni 2014

Der NSU-Zeuge Enrico T. gilt im Fall des Jenaer Kindermords von 1993 nicht als Beschuldigter. Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelt in dem Verfahren weiter gegen unbekannt, wie die Behörde Spiegel Online mitteilte. Damit dementierte sie Medienberichte, nach denen T. ins Fadenkreuz der Ermittlungen geraten sein soll. Sie beruhen auf einer Agenturmeldung, nach der auch das verstorbene NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt für den Mord an dem neunjährigen Bernd Beckmann verantwortlich sein könnte.

T. wurde während der Ermittlungen direkt nach der Tat im Juli 1993 als Verdächtiger geführt. Ein Bootsmotor aus seinem Besitz lag am Ufer der Saale in Jena wenige Meter neben der Leiche des neunjährigen Bernd Beckmann. Nach dem Auffliegen des NSU hatte er im April 2012 den Verdacht erneut auf sich gezogen, weil er das Thema unvermittelt in einer Vernehmung ansprach und Böhnhardt in Zusammenhang mit dem Fall brachte.

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Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 20. Juni 2014.

 

Kindsmord von Jena: NSU-Zeuge unter Verdacht – Das Medienlog vom Mittwoch, 18. Juni 2014

Durch neue Erkenntnisse geriet das NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt in Zusammenhang mit dem Mord an dem neunjährigen Bernd Beckmann aus Jena von 1993. Meldungen deuten allerdings darauf hin, dass vielmehr ein früherer Kumpel Böhnhardts etwas mit der Tat zu tun haben könnte: Enrico T., der am Schmuggel der Mordpistole Ceska 83 beteiligt sein soll. Verdächtig gemacht hatte sich T., als er in einer Vernehmung unaufgefordert von dem Fall erzählte und dabei Böhnhardt als Täter ins Spiel brachte. „Plötzlich drückte das alles auf seiner Seele“, kommentieren Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. „Man kann das glauben, man muss es aber nicht glauben.“

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Kindermord-Verdacht gegen Uwe Böhnhardt – Das Medienlog vom Dienstag, 17. Juni 2014

Das NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt kommt möglicherweise als Täter für den Mord an einem neunjährigen Jungen in Betracht. Die Staatsanwaltschaft Gera prüfe die Tat aufs Neue, die sich im Juli 1993 in Jena ereignet hatte. Das berichtet Christoph Lemmer von der Nachrichtenagentur dpa. Schon damals ermittelten Fahnder gegen Böhnhardt und einen heutigen NSU-Zeugen, konnten den Männern jedoch nichts nachweisen. Die Staatsanwaltschaft und das Bundeskriminalamt nutzten nun „verbesserte Möglichkeiten, Spuren auszuwerten“, sagte Staatsanwalt Jens Wörmann. Was er damit im Detail meint, wollte er nicht sagen, schreibt dpa-Autor Lemmer.

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Keine Berichte zum NSU-Prozess

Am Montag, 16. Juni, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.

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Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 17. Juni 2014.

 

Ein Helfer mit langen Haaren? – Das Medienlog vom Freitag, 13. Juni 2014

Die Untersuchung des ersten Kölner Bombenanschlags von 2001 hat neue Zweifel an der These von drei NSU-Tätern geweckt. Claudia Wangerin fasst in der Jungen Welt die Rätsel um Täterbeschreibungen zusammen, die nicht zum Aussehen der vermuteten Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt passen. So beschrieben zwei Mitglieder der Familie, die das angegriffene Lebensmittelgeschäft in Köln betrieb, einen Mann mit langen Haaren. „Ein langhaariger Neonaziterrorist, der vielleicht noch frei herumläuft – das hatte die Bundesanwaltschaft nicht auf dem Zettel“, schreibt die Autorin.

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Keine Berichte zum NSU-Prozess

Auch am Donnerstag, 12. Juni, gibt es keine Berichte in den deutschen oder englischsprachigen Onlinemedien.

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Keupstraßen-Opfer leiden bis heute – Das Medienlog vom Dienstag, 10. Juni 2014

Gestern vor zehn Jahren verübte der NSU laut Anklage den Anschlag in der Kölner Keupstraße: Eine Bombe, auf einem Fahrrad platziert, explodierte vor einem Friseursalon und verletzte 22 Menschen. Ermittler schlossen damals einen rechtsterroristischen Hintergrund aus – und traumatisierten damit Opfer und Anwohner. Zum Jahrestag feierte die Keupstraße das Festival Birlikte („Zusammenstehen“), auf dem auch Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas sprachen.

Berichte zum Gedenktag thematisieren, wie die Ermittlungen das Vertrauen zwischen Migranten und dem deutschen Staat zerrütteten. „Bis der Anschlag dem ‚Nationalsozialistischen Untergrund‘ (NSU) zugeordnet werden konnte, mussten die Geschäftsleute und Anwohner der Keupstraße mit Vorurteilen leben. Sieben Jahre lang“, schreibt Claudia Hauser auf Spiegel Online.

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NSU-Opfer sind stärker als die Täter – Das Medienlog vom Freitag, 6. Juni 2014

Tag drei der Untersuchung des ersten Kölner Bombenanschlags von 2001: Am Donnerstag hörte das Münchner Gericht die Eltern und die Schwester des Opfers Mashia M. Sie war durch eine Bombe schwer verletzt worden, die ein Mann im Lebensmittelladen ihres Vaters hinterlassen hatte – nach Ansicht der Bundesanwaltschaft handelte es sich bei dem Täter um Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt. Diese Annahme stellte die aus dem Iran stammende Familie mit ihren Zeugenaussagen allerdings infrage, weil ihre Erinnerungen nicht zwangsläufig auf eines der NSU-Mitglieder deuten, wie auch die Verteidiger von Beate Zschäpe betonten. „In der Tat haben Zschäpes Anwälte einen Punkt gemacht“, kommentiert Per Hinrichs in der Welt.

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Das Rätsel vom Mann mit dem Korb

Die Theorie der Bundesanwaltschaft wird zunehmend in Zweifel gestellt: Sie ist überzeugt, dass Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt eine Bombe in einem Geschäft einer Kölner Familie hinterließen. Doch die Angaben von Angehörigen wecken Zweifel daran.

Etwas stimmte nicht an dem schmalen Mann mit den welligen Haaren – das will Djavad M. sofort bemerkt haben. Der Kunde, den er „suspekt“ fand, kam zwei bis drei Tage vor Weihnachten im Jahr 2000, kurz vor Ladenschluss, gegen 18 Uhr. M.s Lebensmittelgeschäft in der Kölner Probsteigasse betrat er mit einem Weidenkorb, in dem eine Christstollendose lag. Aus dem Regal nahm er sich Kekse und eine Flasche Whisky, ein Einkauf für etwa 55 Mark. Doch als es ans Bezahlen ging, stellte der Mann fest, dass ihm das Geld fehlte.

Djavad M. sagt, er hätte dem Mann die Ware gegeben und wollte ihn später zahlen lassen. „Aber er bestand darauf, dass er schnell sein Geld holen geht, weil er um die Ecke wohnt“, erzählt der 62-Jährige vor Gericht. Der Mann ließ den Korb mit der Stollendose im Geschäft stehen und ging – der Ladeninhaber erinnert sich, dass er regelrecht sprintete. M. sah ihm hinterher. Er ahnte nicht, dass der Mann ein Attentäter und in die Dose eine Bombe verbaut war. Etwa einen Monat später würde diese Bombe seine 19-jährige Tochter Mashia schwer verletzen.

Am 119. Verhandlungstag sagt Djavad M. als Zeuge im NSU-Prozess aus, wie am Tag zuvor bereits seine Tochter. Auch Mashias Schwester Mashid und die Mutter Soheila A. berichten von ihren Erinnerungen an das Attentat. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass entweder Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt in den Laden kam, um die mit Schwarzpulver gefüllte und einem Zünder versehene Dose dort zu hinterlassen. Als Mashia M. sie später beiläufig öffnete, explodierte der Inhalt.

„Das hat man so gemacht, dass wir alles verlieren“

Der aus dem Iran stammenden Familie gelingt es, mit großer Sachlichkeit von dem Schicksalsschlag zu erzählen – ohne Pathos, ohne Lust auf Konfrontation mit den Angeklagten. Nur einmal bricht aus der Mutter heraus, wie der Anschlag ihnen mit dem Laden die Lebensgrundlage nahm: „Das hat man so gemacht, dass wir alles verlieren. Das hat man auch geschafft. Herzlichen Glückwunsch, danke!“

Auch Mashid M. war dabei, als das Schwarzpulver hochging. Sie erinnert sich, wie die Wucht der Explosion ein Käsemesser durch den Raum schleuderte. „Es gab einen lauten Knall, im Hinterzimmer war alles dunkel und Rauch kam heraus.“ Sie sah, wie ihre Mutter Mashia auf die Straße zog, den Arbeitskittel durchtränkt vom Blut ihrer Tochter.

Unter den Folgen der Tat litt die ganze Familie. Mashia erkämpfte sich schmerzhaft ihr Leben zurück. Die ganze Familie musste immer wieder zur Polizei, die keinen Täter fand und kein Tatmotiv erkannte – bis der NSU im November 2011 aufflog und sich in einem Video zu der Tat bekannte.

Die Bundesanwaltschaft benennt heute Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt als Täter. Sie ordnete die Tat anhand deutlicher Indizien dem NSU zu: Am 19. Dezember lieh der Mitangeklagte André E. für zwei Tage ein Wohnmobil auf seinen Namen – in den Mietzeitraum fiel der Besuch des Mannes mit dem Korb in der Probsteigasse. Mit dem Wohnmobil konnten die Täter nach Köln fahren. Das wichtigste Indiz ist allerdings die ausführliche Dokumentation der Tat im dem Bekennervideo. Dort ist die Stollendose zu sehen, kommentiert mit den Worten „das kleine Bömbchen“. Stolz weisen die Macher des Films darauf hin, dass das Opfer im künstlichen Koma liegt.

Doch wie sicher ist, dass Mundlos und Böhnhardt, die sehr wahrscheinlich alle Morde verübten, auch in der Probsteigasse zugegen waren? Die Erinnerungen der Angehörigen an den Mann im Laden sind schwammig – doch sie haben gemeinsam, dass sie die Theorie der Bundesanwaltschaft nicht stützen: Die Polizei zeichnete nach den Angaben von Djavad M. zwei Phantombilder. Entsprechend seiner Beschreibung zu sehen ist darauf ein Mann mit welligen, blonden Haaren und einem dünnen Gesicht, in dem die Wangenknochen hervorstehen. Schon das erste Bild „hat vorne und hinten nicht gepasst“, sagt der Vater. Das zweite sei noch weiter von der Realität entfernt gewesen. Außerdem ähnelte es nicht im Entferntesten dem Aussehen der beiden männlichen NSU-Mitglieder, die aus allen Zeiten nur mit Kurzhaarfrisuren bekannt sind.

Phantombilder zeigen einen Mann mit lockigen, blonden Haaren

Auch Tochter Mashid sah den vermeintlichen Kunden offenbar an dem Tag kurz vor Weihnachten. Das hatten bis dahin allerdings weder die Familie noch die Ermittler mitbekommen – weil sie niemand danach fragte. Unter Hypnose machte sie im Januar 2012 Angaben für ein Phantombild. Das Ergebnis, das Richter Manfred Götzl im Gerichtssaal an die Wand werfen ließ, ist nahezu eine Kopie der ersten Grafik, die nach den Erinnerungen ihres Vaters angefertigt wurde. War der Mann im Laden also ein anderer als Mundlos oder Böhnhardt? Oder hatte die damals 14-Jährige schlicht die Erinnerungen von anderen mit ihren eigenen verwechselt?

Nachdem der NSU aufgeflogen war, baten die Ermittler die Angehörigen erneut zu Vernehmungen. Dabei zeigten sie ihnen Fotos etlicher Tatverdächtiger. Über deren Gesichter wurde die charakteristische Langhaarfrisur montiert. Im Gerichtssaal sehen sich Vater und Tochter erneut die Bilder an. Auffällig ist, wie lange beide an Abbildungen des Mitangeklagten Holger G. hängenbleiben. Zu einem Foto, das der Erkennungsdienst von G. machte, sagt Djavad M.: „Von den Gesichtskonturen her könnte das hinhauen.“ Fügt kurz darauf jedoch an: „Aber ich glaube, das ist er auch nicht gewesen.“

Zeugenaussagen, zumal von persönlich tief betroffenen Zeugen, sind das schwächste Beweismittel in einem Strafprozess. Sie müssen stets kritisch betrachtet werden, selbst, wenn sie sich in weiten Teilen gegenseitig bestätigen. Und dennoch: Dafür, dass sich die M.s in ihren Erinnerungen so unsicher sind, ist sich die Bundesanwaltschaft extrem sicher.

Fraglich ist jedoch, wieso sich der NSU zu dem Anschlag bekennen sollte, wenn Mundlos oder Böhnhardt nicht der Täter war. Betrachtete die Gruppe einen weiteren Mann als Mitglied? Oder nahm sie eine Tat für sich in Anspruch, die sie nicht zu verantworten hatte – „Stichwort Trittbrettfahrer“, wie Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl am Ende vermutet? Über das Niveau einer Spekulation kommen solche Fragen bislang nicht hinaus – doch Verwicklungen und Wendungen hat es in der Geschichte der NSU-Ermittlungen reichlich gegeben.

 

Anschlagsopfer mit eisernem Willen – Das Medienlog vom Donnerstag, 5. Juni 2014

Im NSU-Prozess hat Mashia M. ausgesagt, das Opfer des ersten NSU-Bombenanschlags vom Januar 2001 in Köln. Die damals 19-jährige Tochter einer iranischen Familie wurde damals schwer verletzt und befand sich in Lebensgefahr. Prozessbeobachter hoben nach der Aussage hervor, wie sachlich M. heute über den Schicksalstag sprechen kann und mit welcher Anstrengung sie sich ins Leben zurückkämpfte. „Mashia M., die nach dem Willen des NSU sterben sollte, zeigte einen eisernen Willen“, resümiert Per Hinrichs in der Welt – auch wenn sie bis heute unter den Folgen der Tat leide.

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