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Im OpenData-Neandertal

 

Das Jahr 2010 war ein wichtiges für die Idee der OpenData. Weltweit hat sie inzwischen Karriere gemacht; selbst in der weiter mit dem Internet fremdelnden deutschen Politik und der ihr angegliederten Verwaltung hat sich das Thema niedergeschlagen. Deutlich wurde in diesem Jahr aber auch, dass der Weg noch weit ist, bis das Konzept frei zugänglicher Daten Wirkungsmacht entfalten, bis es die Gesellschaft ändern wird. Ein Kommentar.

OpenData erhält derzeit viele Vorschusslorbeeren. Dem Thema wird Platz eingeräumt, ihm wird Interesse entgegengebracht, es werden Hoffnungen für die politische Zukunft daran geknüpft. Dazu gesellen sich Erwartungen, solche Daten künftig auch wirtschaftlich verwerten zu können.

Die Zivilgesellschaft beispielsweise unterstützt OpenData aus einem radikalliberalen Bürgerrechtsgedanken heraus. Auch wenn noch umstritten ist, wie weit die darin enthaltene Transparenz gehen darf, wie die Vorgänge um die Wikileaks zeigen.

Bislang jedoch fehlt eine entscheidende Komponente, um OpenData als taugliches Konzept zu etablieren: Es gibt keine „Killer App“, keine originäre OpenData-Anwendung, die ohne Firlefanz zeigt, was in der Idee steckt. Großartige Projekte wie OffenerHaushalt und das jüngst erschienene britische OpenCorporates bergen Potenzial, um Zusammenhänge zu verstehen und zu durchdringen. Doch sind sie im Alltag des Jedermann kaum von Nutzen. Vielleicht sehen wir derzeit nur den Anfang dessen, was mit OpenData einst möglich sein wird.

Doch erst einmal ist OpenData anschlussfähig an nahezu alle Facetten des politischen Spektrums. Aus Sicht von Politik und Verwaltung interessiert dabei jedoch weniger der Gedanke der Transparenz. Maßgeblich ist das Potenzial, so einen „schlanken Staat“ realisieren zu können. Das wird nicht zuletzt deutlich am starken Engagement der konservativ-liberalen Regierung in Großbritannien. Die versucht mit der Offenlegung ihrer Haushaltsdaten, ihre massiven Sparpläne zu rechtfertigen.

Der OpenData-Bewegung fehlen außerdem Standards und es gibt noch immer Verwirrung um den Begriff selbst: Unter OpenData wird viel subsummiert, was de facto überhaupt nicht „offen“ ist. Das riecht nach Fördergeldern und Forschungsstellen, der Reigen von Studien und Gutachten hat bereits begonnen. 2011 dürften mehr und mehr wissenschaftliche Untersuchungen und Bücher zu OpenData und verwandten Themen erscheinen. Wie hilfreich es für die Klärung der Definition ist, dass die Wissenschaften Witterung aufgenommen haben und Forscher sich profilieren wollen, sei dahin gestellt.

Die Bewegung sollte aufhören, mit halbgaren Anwendungen herumzuhantieren und schöne, aber mehr oder minder nutzlose Visualisierungen zu bauen, findet Tom Steinberg. Er ist der Gründer von MySociety, einer der wegweisenden britischen OpenGovernment-Gruppen, und er warnt gleichzeitig davor, nun in Aktionismus zu verfallen. Es gehe darum, nun Anwendungen mit einem konkreten langfristigen Nutzen zu entwickeln. Gleichzeitig dürften Regierungen nicht mit zu radikalen Forderungen nach Offenlegung aller möglichen Datensätze überfordert werden.

Die Gefahr besteht in Deutschland noch nicht. Hier ist OpenData eine überschaubarer Bewegung. Immerhin, ohne sie würde es die OpenGovernment-Initiative des Bundes nicht geben, die für 2013 ist angekündigt wurde. So vage diese Initiative sein mag. Die Bewegung kann sich auch ein wenig die OpenData-Vorhaben in München und in Berlin zu Gute halten.

Beide übrigens wurden von den Verwaltungen angeschoben, nicht von der Politik. Die Politik fällt als Resonanzboden derzeit aus. Wir werden zwar 2011 in den sieben Landtagswahlkämpfen auch diverse Bekenntnisse zu OpenGovernment hören, wahrscheinlich vor allem von den Grünen. Doch das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt, dass das Thema kaum Priorität haben wird. Dort ist trotz eines Passus‘ im Koalitionsvertrag von Rot-Grün nichts in diesem Bereich geschehen.

Auch die deutschen Medienlandschaft ist so gut wie kaum interessiert an OpenData. Geschweige denn betreibt sie Lobbying in dem Bereich, wie es der britische Guardian tut. Doch dürfte sich das 2011 nicht zuletzt wegen Wikileaks ändern. Das Interesse an öffentlichen Datensätzen steigt, wie auch dieses Blog hier oder auch eins bei der taz belegt.

Fazit: Nur weil eine Regierung fleißig Daten veröffentlicht, führt dies nicht automatisch zu einem gesellschaftlichen Wandel. Das zu glauben, ist naiv – zu beobachten beispielsweise in den USA. Präsident Barack Obama machte 2009 OpenGovernment und OpenData zu einem großen Thema. Doch obwohl dort enorm viele Daten einsehbar sind und damit jeder die unheimliche Macht des Lobbyismus auf Gesetze sehen kann, werden nicht einmal ansatzweise die politischen Verhältnisse in Frage gestellt.

Vielleicht ist es grundsätzlich falsch, OpenData ein revolutionäres Potenzial zu unterstellen. Der Wandel, der dadurch möglich wird, ist ein ganz anderer. Offene Daten ermächtigen die Bürger, mehr Teilhabe zu üben. Sie sind ein Instrument, das helfen kann, die von der Alltagswirklichkeit entfremdeten Politiker auf die Boden der Tatsachen zurück zu holen.

Insofern wird 2011 ein spannendes Jahr. Denn das Zeitalter der Datensätze beginnt erst. Wikileaks zeigt, welche Rolle Daten spielen, welche Macht sie entfalten können. Wie mächtig werden sie sein, wenn sie erst miteinander kommunizieren können, wenn sie sich im semantischen Web gegenseitig „verstehen“?

OpenData ist ein Demokratiewerkzeug. Derzeit aber hat es noch die Form eines Faustkeils, und wir selbst befinden uns noch im OpenData-Neandertal.