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Wenn das billige Geld nicht wirkt

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Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag den Leitzins um ein Drittel von 0,75 auf 0,5 Prozent gesenkt, um die Länder im Süden mit günstigem Geld zu versorgen. Ihr Präsident, Mario Draghi, setzt dabei auf den sogenannten Transmissionsmechanismus: Die EZB senkt den Zins, die Geschäftsbanken können sich also günstiger refinanzieren – und reichen die besseren Konditionen in Form von niedrigeren Zinsen an ihre Bankkunden weiter.

Wie stark dieser Mechanismus jedoch zurzeit gestört ist, ist auf dem Chart zu erkennen. Er zeigt, zu welchen Zinssätzen sich kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien bei Privatbanken Geld leihen können. Anfangs verlaufen die Kurven noch recht parallel, die Kredite sind sogar ähnlich teuer in den verschiedenen Ländern.

Doch seit Mitte 2011 driften die Südländer Italien und Spanien ab. Die Geschäftsbanken verteuern die Kredite, die Eurokrise spitzt sich zu. Und das, obwohl die EZB den Leitzins seit Mitte 2011 kontinuierlich weitersenkt. In den zentralen Euro-Ländern Frankreich und Deutschland passiert wiederum das Gegenteil: Hier sinken die Kreditkosten für Firmen.

Ob die Zinssenkung diesmal wirkt, ist schwer abzuschätzen, auch, weil es Monate dauert, bis sie am Markt ankommt. In Deutschland fürchten Ökonomen, dass die Leitzinssenkung mehr schadet als hilft: Schon jetzt gelten etwa die Immobilienmärkte in einigen Großstädten als überhitzt, weil Anleger sich so günstig wie selten zuvor Geld leihen konnten und die Sparbuch-Zinsen unattraktiv geworden sind. Zudem könnten die Banken das Geld lieber selbst nutzen, um ihre Eigenkapitaldecke zu stärken – übrigens ein von der Politik durchaus gewünschter Effekt. Auch die Geldwertstabilität, der eigentliche Auftrag der EZB, scheint zurzeit nicht in Gefahr.

Ob das günstige Geld tatsächlich bei den Verbrauchern und Unternehmen in den Südländern ankommt, ist völlig unklar. Die EZB selbst hat in der Vergangenheit immer wieder klar gemacht, dass der Übertragungseffekt gestört sei. Ihre Politik stößt also an ihre Grenzen. Den Geschäftsbanken kann sie kaum vorschreiben, gegen deren Willen und Risikoeinschätzung Kredite zu vergeben.

 

Deutschlands vorbildlicher Jugendarbeitsmarkt

Was läuft bloß falsch in Europas Süden? In Spanien und Griechenland liegt die Jugendarbeitslosigkeit mittlerweile bei mehr als 50 Prozent. Auch in Portugal und Italien sieht es nicht besser aus. Fast jeder dritte junge Mensch zwischen 15 und 24 Jahren ist arbeitslos.

Daten als Google-Spreadsheet

Arbeitsmarktexperten sind sich einig: Die Art der Ausbildung ist das Problem. „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Ausbildungssystem und der Arbeitslosenquote unter jungen Menschen“, sagt die Arbeitsmarktökonomin Anne Sonnet von der Industrieländerorganisation OECD. Gerade in den Südstaaten sei die Ausbildung viel zu theorielastig und praxisfern.

Sie verweist auf Deutschland und Österreich. Beide Länder setzen auf ein duales Ausbildungssystem und weisen zugleich die niedrigsten Arbeitslosenquoten unter jungen Menschen in der EU vor. Wer hierzulande eine Lehre macht, der besucht in der Regel einige Tage in der Woche die Berufsschule, wo er theoretisches Wissen lernt. Die restlichen Tage verbringt er im Betrieb, um Praxiserfahrung zu sammeln. Sonnet hält das für den idealen Mix.

Neben Deutschland und Österreich setzen in der EU auch Dänemark und Luxemburg auf dieses Modell. Allerdings ist die Bilanz hier weniger erfolgreich. Dänemark kam im vergangenen März auf eine Jugendarbeitslosenquote von 15,1 Prozent, Luxemburg sogar auf 17,4 Prozent. Warum das so ist? Nach Einschätzung der OECD kümmern sich die Länder nicht ausreichend genug um die Qualifikation in der Schule. Gerade benachteiligten Jugendlichen mit Migrationshintergrund fehle Grundlagenwissen. Damit das duale Ausbildungssystem tatsächlich so erfolgreich sei wie in Deutschland, müsse man das verbessern.

Die Regierungen in den Südländern haben das Problem erkannt. Und es gibt erste Versuche, sich von Deutschland etwas abzuschauen. Spanien und Portugal haben etwa Ausbildungsabkommen mit Deutschland verabschiedet. Doch das Problem ist die Schuldenkrise in den Staaten. Woher das Geld für Investitionen nehmen, wenn allerorts gespart werden soll? „Die Staaten sind in der Schuldenfalle“, sagt Sonnet, „daher scheuen sie Investitionen in Bildung.“

Zudem stoßen die unterschiedlichen Interessen der Sozialpartner aufeinander. Gerade im Süden sind die Gewerkschaften stark – doch sie vertreten die Menschen, die bereits einen Job haben. Die Firmen in diesen Staaten wiederum wollen gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten nicht auf die Flexibilität von befristeten Arbeitsverhältnissen und kurzfristigen Kündigungen verzichten.

Die EU verspricht derweil Geld. Rund sechs Milliarden Euro haben die Staats- und Regierungschefs vergangene Woche zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit lockergemacht. Ist das die Lösung? Sonnet findet Strukturreformen wichtiger. „Schon vor dem Ausbruch der Krise gab es in den Krisenstaaten strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche.“ Die müssten jetzt angegangen werden. „Eine Lost Generation kann sich Europa nicht leisten.“

 

Wie Europas Steuerwelt auseinanderfällt

Weltweit versuchen Staaten, ihre Verschuldung abzubauen und die Steuern zu erhöhen. Doch die Besteuerung von Firmen ist ein Balanceakt. Die Steuersätze dürfen nicht zu niedrig sein – sonst bringt die Steuer nichts. Sie dürfen aber auch nicht zu hoch sein – sonst verscheuchen sie die Firmen. Für einige Länder haben sich niedrige Steuersätze zum Geschäftsmodell entwickelt. Sie hoffen darauf, langfristig zu profitieren, indem sich Unternehmen ansiedeln, Arbeitsplätze geschaffen werden und so Einkommenssteuern gezahlt werden.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erstellt jedes Jahr exklusiv für die EU-Kommission eine Übersicht der aktuellen Unternehmenssteuersätze in der EU. Sie zeigt die Effektivsteuersätze in den 27 EU-Staaten sowie in den USA, Japan, der Schweiz, Türkei und Norwegen. Der Indikator „Effektivsteuersatz“ setzt sich aus zwei Größen zusammen: dem reinen Steuersatz sowie der Bemessungsgrundlage. Sie gibt etwa an, wie großzügig Abschreibungen möglich sind.

Das Diagramm verdeutlicht die Kluft zwischen den EU-Staaten. Auf der einen Seite stehen vor allem osteuropäische Staaten wie Bulgarien, die mit extrem niedrigen Steuern locken. Ihnen gegenüber stehen Länder wie Frankreich, Deutschland oder Italien mit teilweise drei Mal so hohen Belastungen. Zwar gebe es seit Jahren den generellen Trend sinkender Steuersätze für Firmen, sagt Jost Heckemeyer, Steuerspezialist der Universität Mannheim. Seit Ausbruch der Finanzkrise habe sich aber dieses „race to the bottom“ verlangsamt, schließlich sorgten sich alle Staaten um ihre Einnahmen.

Bei einigen Ländern lohnt sich ein genauerer Blick: Laut Tabelle erreicht Malta mit 32,2 Prozent den zweithöchsten Effektivsteuersatz in der EU. Wie kann das sein, wo Malta doch als klassisches Steuersparland gilt? Die Antwort liegt in einem besonderen Kniff, den die maltesischen Steuergesetze vorsehen: Erst einmal veranschlagen sie einen hohen Effektivsteuersatz. Doch Anteilseigner können sich die gezahlten Unternehmenssteuern erstatten lassen, wenn ihre Dividenden ausgeschüttet werden.

Mit einem Effektivsteuersatz von gerade einmal neun Prozent fällt Bulgarien auf. Das ärmste Land der EU will sich durch niedrige Steuern attraktiv für ausländische Unternehmen machen. Es setzt auf eine Flatrate: Der Körperschaftssteuersatz liegt bei gerade einmal zehn Prozent. Das ist niedrig genug, um vor allem Firmen aus den Nachbarländern Griechenland und Rumänien anzulocken. Sie siedeln sich direkt am Grenzgebiet an. Neben Bulgarien wirbt auch Zypern mit einer Flatrate von zehn Prozent auf Unternehmensgewinne.

Trotz der Diskussion um Steuerdumping hält Irland an seinem niedrigen Steuersatz von 12,5 Prozent für Einkünfte fest. Allerdings ist die Bemessungsgrundlage relativ restriktiv geregelt, Abschreibungsregelungen sind im Verhältnis zu anderen Staaten ungünstiger. Daher liegt der effektive Durchschnittssteuersatz bei 14,4 Prozent. Im Unterschied zu seinem Nachbarn Großbritannien hat Irland im November 2010 seine Patentbox abgeschafft: Bis dahin waren Einkünfte aus der Verwertung von Patenten steuerfrei. Das machte Irland vor allem für Firmen wie Apple oder Google interessant, die sich dort ansiedelten. Inzwischen bieten sieben andere EU-Staaten ebenfalls Patentboxen an: Belgien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Spanien, Ungarn und Zypern.

Die Patentboxen stoßen auch auf großes Interesse im Nachbarland Großbritannien. Das Land ist für seine aggressive Steuerpolitik bekannt, Premierministerin Margaret Thatcher senkte in den achtziger Jahren die Steuersätze von mehr als 50 Prozent auf 35 Prozent. Dieser Trend setzt sich auch heute noch fort: Bis 2014 will die Regierung die Unternehmenssteuern um drei Prozentpunkte auf 22 Prozent senken. Die geplante Neuregelung der Patentboxen ist vor allem für Pharma- und IT-Konzerne interessant. Im Frühjahr will London, wie Irland, eine Patentbox mit einem ermäßigten Steuersatz von zehn Prozent einführen.

In Frankreich haben dagegen hohe Steuern eine Tradition. Vor allem auf Vermögenswerte greift Paris gern zu. Es erhebt neben der Körperschaftssteuer eine Grundsteuer auf betriebliche Immobilien, kombiniert mit einer Wertschöpfungssteuer, die sämtliche Einkommen aus Produktion besteuert, neben Gewinnen also auch Fremdkapitalzinsen und Gehälter. Auch die Unternehmenssteuern sind im europäischen Vergleich recht hoch. Sie liegen bei 33,33 Prozent und erhöhen sich auf 34,43 Prozent für größere Unternehmen.

Deutschland liegt mit einem Effektivsteuersatz von 28,2 Prozent schon seit Jahren oberhalb des EU-Durchschnitts. Zum letzten Mal reformierte die Bundesregierung die Unternehmenssteuern im Jahr 2008 und senkte unter anderem die Körperschaftssteuer von 25 Prozent auf 15 Prozent. Die Steueroasen in Europa sind Bundesfinanzminister Schäuble ein Dorn im Auge. Er kündigte eine Initiative der OECD an, um die aggressiven Steuersparmodelle von Firmen weltweit einzudämmen.