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Hafenkapitän in Bitterfeld

 

„Und sehen wir uns nicht in dieser Welt, dann seh’n wir uns Bitterfeld“. Diesen Satz sagt der Hauptdarsteller im Film Go Trabi Go beim Aufbruch der Familie aus Bitterfeld mit dem Trabi in Richtung Süden, nach Italien, ans Meer. Der Spruch hat seinen Ursprung in der DDR, wo er den Zustand der Chemie-Stadt Bitterfeld versinnbildlichte, die mit ihren Chemiewerken, Schmutz, tropfenden Leitungen und verpesteter Luft so etwas wie die Hölle auf Erden war.

Diese schmutzige Bild von Bitterfeld stimmt nun schon eine ganze Weile nicht mehr. Es gibt nach wie vor viel Chemie-Industrie in der Stadt und ihrer Umgebung, doch sind die Produktionsanlagen heute – jedenfalls ihrem äußeren Anschein nach – sauber. Man kann sich das anschauen, wenn man durch den Chemiepark Bitterfeld-Wolfen fährt.

Heute müssen die Bitterfelder auch nicht mehr an die See fahren, wenn sie mal saubere Luft schnuppern und die weite Welt spüren wollen. Eine Fahrt an den Goitzschesee östlich der Stadt genügt. Das ist ein künstlicher See, der in den vergangenen Jahren durch die Flutung eines Tagebau-Restlochs entstanden ist. Am Westufer des Sees gibt es einen richtigen kleinen Hafen, mit Segelbooten, einem Fischkutter, in dem Räucherfisch verkauft wird, einer Hafenpromenade, Cafés und Fischgaststätten und einem Piratenschiff, auf dem man Rundfahrten über den See machen kann.

Hafen am Goitzschesee bei Bitterfeld
Im Hafen von Bitterfeld

Der Hafen veranschaulicht ein bisschen die Sehnsucht der Binnenländer nach dem Meer. Und weil die Sehnsucht so groß ist, gibt es in der Region rund um Leipzig, Merseburg, Delitzsch, und Bitterfeld auch erstaunlich viele Häfen. Das hat zunächst einmal damit zu tun, dass es recht viele Seen dort gibt. Deren Existenz ist die Folge des Braunkohle-Bergbaus, der jahrzehntelang die Landschaft verwüstet und einige ziemlich große Löcher hinterlassen hat. Nachdem die meisten dieser Tagebaue nach der Wiedervereinigung stillgelegt worden waren, hat man aus den Löchern mit Millionenaufwand Seen gemacht mit Badestränden und eben den Häfen – oder Marinas, wie das richtig heißt. Das Ganze wirkt zwar ziemlich künstlich, ist aber immer noch natürlicher als der Europapark in Rust.

Man kann die kleinen Häfen mit ihren Booten also als Zeichen der Liebe der Menschen in Mitteldeutschland zur Seefahrt verstehen. Nicht umsonst stammten viele Seeleute in der DDR aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Und auch heute noch zieht es so manche Landratte aus der Region aufs Schiff. Warum sonst betreibt die Bundesagentur für Arbeit eine Beratungs- und Werbestelle für Jobs auf Kreuzfahrtschiffen ausgerechnet in Suhl im Thüringer Wald?

Und wenn die Seeleute aus Thüringen dermaleinst nicht mehr die sieben Meere befahren wollen, dann heuern sie auf dem Piratenschiff von Bitterfeld oder als Hafenkapitän irgendwo im „Neuseenland“ an.