Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Das Eigentor vor dem Spiel

 

Fußball ist manchmal komisch. Spiele verlaufen kurios, Spieler, Trainer und oft auch Schiedsrichter machen Dinge, bei denen sich die Zuschauer an den Kopf fassen. Und Fans sind sowieso nicht zu verstehen. Mindestens genauso übel kann es werden, wenn dann plötzlich ein Vereinsboss oder einer seiner Büroangestellten eine Idee hat. Die nennen ihre unausgegorenen Einfälle oder Äußerungen dann vielleicht „innovativ“, „gegen den Strich gebürstet“ oder „witzig“ und denken, dass ihre Ideen dann nicht gleich als völlig doof auffallen.

Eine Idee von dieser Sorte hatte ein Verein aus Berlin-Hohenschönhausen in der vergangenen Woche geliefert: Fans des Berliner Oberligisten BFC Dynamo erinnerten sich wieder einmal ihrer staatlich gehätschelten Ost-Vergangenheit und warben damit. Nun war diese Vergangenheit in der Tat sportlich nicht so übel, wenn auch umstritten, weil die Siege in der Oberliga nicht immer ganz koscher zustande kamen. Oder weil diese Siege zumindest unter dem Verdacht standen, dass die Stasi durch Einflussnahme an allen möglichen Enden – immer dann, wenn es sportlich wackelte – schwer mitgearbeitet hatte an der Sicherung des nächsten und übernächsten Planziels: Dauer-Meister BFC. Aber naja, das ist nun mehr als 20 Jahre her.

Das Innovative und das Gegen-den-Strich-Gebürstete an dieser aktuellen BFC-Dynamo-Idee war nun aber, dass da einer der Vereinsfunktionäre offenbar Erich Mielke total lustig findet: „Diesen Weg musste schon Erich machen… Die Normannenstraße kommt ins Sportforum“ lautete eine im Web verbreitete Parole, illustriert mit einem Mielke sehr ähnlichen Offizier in Ost-Uniform auf einer Stadiontribüne. Als allererstes könnte man sagen: „Fans eben, die müssen stänkern.“ Aber: So ist das eben nicht, denn das war keine „Ick hab da mal ’ne echt juhte Idee“-Aktion eines Ultras, nein: BFC-Vereinssprecher Martin Richter höchstpersönlich erklärte seine volle Unterstützung – offenbar auch noch stolz auf die Collage: „Das Medienecho war enorm. Jetzt wissen sehr viele Menschen, dass wir gegen Lichtenberg spielen.“

Zum Hintergrund für all jene, die das Problem nicht so richtig kennen: Der BFC Dynamo war Stasi-Chef Mielkes Liebslingsverein. Mielkes krakenhafter Apparat residierte an der Lichtenberger Normannenstraße und breitete sich rund um das Hans-Zoschke-Stadion aus, wo Lichtenberg 47 damals spielte und auch heute noch zuhause ist. Bis zur Wende war das 18.000-Zuschauer-Stadion vom Abriss bedroht, weil die benachbarte Stasi-Zentrale den Platz begehrte für weitere Garagen und Aktenschränke. Umzingelt von den Verwaltungsgebäuden der Stasi wurde im 47er-Stadion der Spielbetrieb immer stärker behindert durch Mauern und Zäune und Zuschauereinschränkungen.

BFC-Sprecher Richter verteidigte nun die „Mielke-fetzt“-Aktion als Idee der so genannten negativen Werbung mit dem Satz: „Wir werden 23 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch als Stasi-Club bezeichnet. Die Fans haben einfach mit dieser Bezeichnung gespielt.“ Spielen? Richter weiß mit Sicherheit, dass viele BFC-Fans alles andere als „Spielen“. Jahrelang und auch heute gern wiederholt im BFC-Fanblock ist die Parole: „Wer soll unser Führer sein? – Erich Mielke.“ Wer mit Erich Mielke wirbt, ist ein Stasi-Verein. Ganz einfach. Schade allerdings um die – in vielen Belangen – beispielhafte Nachwuchsarbeit, die durch die Hirngespinste von Funktionären ruiniert wird, traurig für alle Kinder- und Jugendmannschaften des BFC, die vorher und nun natürlich erst recht als Stasi-Mannschaften beschimpft werden. Der BFC hat bis runter zur G-Jugend Mannschaften in allen Alltagsklassen.

Die gerechte Strafe blieb leider aus. Oder zum Glück. Lichtenberg 47 und der BFC trennten sich ziemlich brüderlich 1:1. Auch wenn es platt klingt muss man sich für das Fazit auf das Niveau der BFC-Vereinsführung begeben: Planziel verfehlt, aber die Parole hat gestimmt. Ein Verein der Worthülsen. Oder zumindest eine Vereinsführung.