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Arm und krank und doch zufrieden: Was „Studien“ über Ostdeutsche aussagen

 

„In den neuen Bundesländern verfügen 54 Prozent aller 18- bis 65-Jährigen über eigene Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit.“ Dieser Satz steht im Sozialreport 2012, den die Volkssolidarität vor kurzem vorgestellt hat. Die etwas kryptische Formulierung soll wohl bedeuten, dass jeder zweite Ostdeutsche schon mal arbeitslos war. Oder dass zumindest jemand in seiner Familie schon mal arbeitslos war. Oder dass er schon mal von Arbeitslosigkeit gehört hat.

Erkenntnisse über die Menschen in Ostdeutschland gibt es zuhauf. Nahezu im Wochentakt wird eine Studie oder Untersuchung oder Statistik veröffentlicht, die ein bisschen mehr vom Wesen dieses Menschenschlags enthüllt. Mittlerweile dürften die Ostdeutschen zu den am besten erforschten Volksgruppen der Erde gehören. Die eine und die andere Studie sind in diesem Blog schon erwähnt oder behandelt worden. Doch sie haben nur Schlaglichter auf die Welt diesseits der Elbe zwischen Arkona und Zwickau geworfen.

Deshalb mache ich nun hier den Versuch, alle Studien mit Ergebnissen zu „dem Ostdeutschen“ einmal zusammenzufassen:
Zunächst einmal ist er ein grundsätzlich zufriedener Mensch. Jeder zweite der für den schon erwähnten Sozialreport Befragten hat angegeben, mit seinem gegenwärtigen Leben zufrieden (43 %) oder sogar sehr zufrieden zu sein (7 %). Weitere 37 Prozent sind immerhin teilweise zufrieden. Und der junge Ostdeutsche ist auch ein recht optimistischer Mensch, optimistischer jedenfalls als der ältere Ostdeutsche. Dieser wiederum hat mit allerlei Problemen und Schwierigkeiten zu kämpfen, was auch seine grundsätzlich grummeligere Stimmung erklärt. So verfügt ein ostdeutscher Seniorenhaushalt laut Sozialreport nur über 73 Prozent des Nettoeinkommens eines westdeutschen Seniorenhaushalts.

Apropos Einkommen: Dass ostdeutsche Arbeitnehmer im Durchschnitt weniger Geld bekommen, ist ja nichts Neues mehr, auch wenn es nach wie vor ärgerlich ist. Laut DGB erhalten 40 Prozent der Vollzeit-Beschäftigten in Ostdeutschland einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ist der Anteil der schlechter bezahlten Ostdeutschen etwas niedriger, nämlich 25 Prozent. Dass man mit weniger Einkommen auch weniger Geld sparen kann, versteht sich. Da wundert uns dann auch die Mitteilung der Postbank nicht mehr, dass Ostdeutsche weniger auf der „hohen Kante“ haben als Westdeutsche.

Dafür kostet ihre Gesundheit – oder besser: kosten ihre Krankheiten mehr. Laut dem vom Verband der forschenden Pharmahersteller veröffentlichten Arzneimittel-Atlas hatte Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2011 bundesweit die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Medikamente, nämlich 494 Euro. Auf den nächsten Plätzen folgten Berlin, Sachsen und Thüringen. Wie aus dem Atlas weiter hervorgeht, liegen die neuen Länder vor allem bei den Ausgaben für Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und rheumatische Beschwerden vorn, was wiederum mit dem höheren Altersdurchschnitt in Ostdeutschland korrespondiert. Etwas unsicher bin ich an dieser Stelle, ob ich eine weitere Studie zum Thema Gesundheit/Krankheit anfügen soll. Ich tue es dennoch: Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat ermittelt, dass im Vergleich zu den 1970er- und -80er Jahren ostdeutsche Krebskranke mittlerweile fast so gute Überlebenschancen haben wie westdeutsche. „Na wenigstens etwas“, möchte man da rufen.

Dass angesichts all dieser ernüchternden Erkenntnisse die Menschen im Osten, vor allem die in Sachsen-Anhalt, nicht täglich vor glücklicher Ausgelassenheit schier explodieren, ahnt man irgendwie von selbst. Die Fakten dazu liefern uns die Deutsche Post mit ihrem Glücksatlas und die R+V-Versicherung mit ihrer Angststudie. Doch wie passen deren Ergebnisse mit denen der Volkssolidarität zusammen? Vielleicht ist mancher ja auch erst dann richtig zufrieden, wenn er unglücklich ist und die Gefahr überall lauert? Oder vielleicht liegt es nur daran, das so mancher Glücksatlas den wissenschaftlichen Wert eines chinesischen Glückskekses hat?

Man könnte irre werden ob all dieser Erkenntnisse. Da ist es irgendwie beruhigend zu wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen zu werden, im Osten geringer ist als im Westen.