Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Geschlossene Weltbilder

 

Vor einigen Tagen hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ihre neue Studie zur Entwicklung rechtsextremer Einstellungen in Deutschland veröffentlicht. Danach sank der Anteil „geschlossen rechtsextremer Weltbilder“ seit zehn Jahren bundesweit, vor allem im Westen, während er sich im Osten auf fast 16 Prozent nahezu verdoppelt habe. Vor allem unter jungen Ostdeutschen von 14 bis 30 Jahren sehen die FES-Forscher eine neue „Generation des Rechtsextremismus“ heraufziehen.

Die Reaktionen waren so überraschend wie der Befund – lustlose und reflexartige Sätze aus dem politischen Phrasendrescher: Die Sache wird als „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ erledigt (Bundesinnenminister Friedrich) oder es wird mehr Prävention gefordert, wobei die Integrationsbeauftragte des Bundes, Maria Böhmer (CDU), wohl übersehen hat, dass der Etat des Familienministeriums dafür gerade eingedampft wird. Erwartbare Reflexe zeigten ostdeutsche Politiker wie Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer. Der warnte vor einer Stigmatisierung der Ostdeutschen und lobte deren „bürgerliches Engagement“, das nach seiner „Alltagserfahrung“ zuletzt stark gewachsen sei. Eine Erklärung, warum dies wohl trotzdem auch für rechte Weltbilder gilt, fehlte. Vorhersehbar aber auch die Reaktion der Linken: Für Vorstandsmitglied Martin Schirdewan etwa ist das Problem „ausdrücklich kein ostdeutsches“, sondern eines in „allen gesellschaftlichen Schichten“.

Herr Schirdewan hat die Studie wohl nicht gelesen. Als Gründe für die rechtsextremen Weltbilder nennen die FES-Forscher ausdrücklich die wirtschaftliche Abkoppelung ganzer Regionen sowie das Gefühl einer Generation, nicht gebraucht zu werden. Das sei zwar nicht allein ein Problem im Osten, wo es viele „abwärtsdriftende Regionen“ gebe, und die befragten Arbeitslosen äußerten sich im ganzen Land ausländerfeindlich. Doch bedeutet dies auch, dass das Problem nicht überall und in allen Schichten gleich ist. Es zeigt eher, dass es in Ost und West viele Menschen gibt, die sich abgehängt fühlen, sich nicht mehr gemein fühlen mit der Mitte der Gesellschaft, mit denen, die Arbeit, Geld und Auto haben, ein Haus oder schöne Wohnungen, mit denen, die auch eine Fremdsprache im Repertoire haben und sogar Freunde, die aus dem Ausland stammen.

Fraglich ist also auch, ob Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) mit bildungspolitischen Offensiven zur Demokratie-Erziehung richtig liegt. Unterricht in politischer Bildung erreicht schon heute vor allem diejenigen, die sie kaum nötig haben, während man bei anderen damit auf taube Ohren stößt. Auf den ersten Blick mag er zwar Recht haben, auch die FES-Sudie sieht die Bildung und das Weltbild im Zusammenhang: Die Zustimmung der Befragten ohne Abitur zu als rechtsextrem eingestuften Positionen sei mehr als doppelt so hoch wie in der Gruppe mit Abitur. Nicht gesehen wird dabei: Wer Abitur hat, ist meist schon länger in ganz anderen Gruppen unterwegs. Es wird maßlos überschätzt, welchen Einfluss die Schule auf die Köpfe der Schüler hat. Zugleich wird der Einfluss dessen, was die Heranwachsenden untereinander austauschen, grob unterschätzt.

Zu fordern wäre daher auch eine „gesamtgesellschaftliche“ Schule. Auch die viel zu frühe Segregation in der bundesdeutschen Schule fördert die Bildung von Gruppen mit „geschlossenen“ Weltbildern. Eine Auseinandersetzung der Denkmuster findet nicht statt, wenn in völlig entmischten Schulklassen verschiedene soziale Herkünfte überhaupt nicht präsent sind. Hier wird eine Abkoppelung der Jugendlichen untereinander organisiert, die Bestätigung und Auseinandersetzung nur noch unter „ihresgleichen“ finden. Wenn dies etwa im Osten nach der Schule auf die genannten wirtschaftlichen Probleme trifft, muss man sich über geschlossene Weltbilder nicht mehr wundern.