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Kapitalismus am Wohnzimmertisch oder: Warum „Monopoly“ in der DDR beliebt war

 

In den 1980er Jahren lernte ich bei Freunden meiner Eltern das Spiel Monopoly kennen. Während eines Besuches stand eine selbst gebaute Version des in Westdeutschland beliebten Strategiespiels auf dem Tisch, und Gäste wie Gastgeber waren bald darin vertieft, Straßen zu kaufen und sich gegenseitig abzujagen, Häuser zu bauen und Miete zu kassieren und die Mitspieler in den Ruin zu treiben.

Später lieh ich mir das Spiel aus und baute es selbst in tagelanger Arbeit nach. Und ich fand, das Ergebnis sah sogar noch besser als aus das Original, dass ich aus der Werbung im Westfernsehen kannte.

Nachgebautes Monopoly-Spiel
Nachgebautes Monopoly-Spiel

Wir waren bei weitem nicht die einzigen in der DDR, die das Spiel kannten und spielten. Vielmehr dürfte Monopoly zu den beliebtesten Zeitvertreiben im Land gehört haben. Das bestätigt Martin Thiele, der gemeinsam mit seinem Partner Michael Geithner Spielekopien aus DDR-Zeiten gesammelt hat und derzeit in einer Ausstellung in Dresden präsentiert. Die Sammlung von Thiele und Geithner umfasst 123 Spiele, ein Fünftel davon sind nachgebaute Versionen von Monopoly. Darunter sind nicht nur originalgetreue Nachbauten, sondern auch Modifikationen. Einige Bastler verwendeten für ihre Versionen die Straßennamen ihrer Heimatstadt, andere gaben dem kapitalistischen Spiel politische Komponenten. Die bemerkenswerteste Version diesbezüglich war das Spiel Bürokratopoly, das Thiele und sein Partner in den Archiven der Stasi-Unterlagen-Behörden fanden. Mielkes Schergen hatten diese Eigenentwicklung eines DDR-Bürgers wohl nicht ohne Grund konfisziert. „In diesem Spiel geht es um Macht“, erläutert Thiele. Ziel eines jeden Mitspielers sei es, SED-Generalsekretär zu werden. Um das zu erreichen, sind alle Mittel erlaubt, bis hin zu Lüge und Wahlbetrug.

Warum aber waren Spiele wie das erzkapitalistische Monopoly gerade in der sozialistischen DDR so populär? Thiele verweist auf den „Reiz des Verbotenen“ und ein mangelhaftes Angebot im DDR-Handel an Spielen, in denen strategisches Handeln gefordert war. Und schließlich sei in der DDR „schon immer gebastelt und kopiert“ worden. Auch das war ein Ausdruck der Mangelwirtschaft. Die These, dass sich im Nachmachen von Monopoly eine Kapitalismus-Sehnsucht der DDR-Bürger ausdrückte, hält Thiele hingegen für etwas „voreilig“.

Ich denke, dass Monopoly aber auch deshalb so reizvoll war, weil es eigentlich einen wesentlichen Aspekt des Lebens in der DDR widerspiegelte – den des Handelns und Feilschens um knappe Güter. Autoteile gegen Briketts, Export-Bier gegen Exquisit-Mode, Nordhäuser Doppelkorn gegen geräucherten Aal. Erfolgreich war, wer Zugriff auf derlei knappe Güter hatte und diese gegen andere „Bückware“ eintauschen konnte. Diese Art von Tauschhandel hatte etwas sehr Kapitalistisches, auch wenn wohl kaum jemand dabei zum Millionär wurde. Und abends spielte man im Wohnzimmer dann so richtig den Kapitalisten – am selbstgebastelten Monopoly.