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Neues aus Demoskopia

 

Wahlabend 2005, 18 Uhr: Der Balken der Union beginnt zu steigen, bleibt aber bereits bei 35 Prozent stehen. Ein technisches Problem? Immerhin waren der Union über 40 Prozent der Stimmen vorhergesagt worden! Nein, kein technisches Problem, zumindest nicht der Sendetechnik. Eher schon der Demoskopen: Wenig verwunderlich wurden sie im Nachgang der Wahl als die „eigentlichen Wahlverlierer“ identifiziert (diesen Eindruck machten sie auch selbst vor der Bundespressekonferenz am Morgen danach), während sich die SPD am Ende ihres Wahlkampfes als „Umfragesieger-Besieger“ brüsten konnte.

Dieses Mal haben die Demoskopen gelernt – auch wenn die Süddeutsche Zeitung heute schon vorgreifend fragt: „Wieder eine Blamage für die Demoskopen?“. Nicht nur der Wahlkampf 2009 war weichgespült, auch die Demoskopen. Allseits wird auf die hohe Zahl der Unentschlossenen verwiesen, die Prognosen kaum möglich erscheinen lassen – wobei die Demoskopen den Begriff der „Prognose“ ohnehin scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung im letzten Deutschlandtrend der ARD, als die Ergebnisse der Sonntagsfrage mit einem fetten Stempel „keine Prognose“ versehen wurden. „Ein aktuelles Stimmungsbild“ sei dies lediglich, niemals aber eine Prognose, erläuterte Jörg Schönenborn.

Ganz Demoskopia ist also von Softies besetzt. Ganz Demoskopia? Nein! Ein Demoskop steht seinen Mann. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen gibt im Tagesspiegel seine Prognose (oder die der Forschungsgruppe Wahlen?) für den Ausgang der Wahl ab: „’Es gibt keine Trendumkehr’, sagte Institutschef Matthias Jung dem Tagesspiegel. Schwarz-Gelb werde eine knappe, aber sichere Mehrheit gewinnen, die SPD dagegen mit maximal 25 Prozent ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis im Bund einfahren.“ Dies sind mindestens zwei klare Aussagen über den zu erwartenden Ausgang der Bundestagswahl.

Die Prognose Jungs überrascht in mehrfacher Hinsicht:

1. Seitens der Forschungsgruppe Wahlen und des ZDF spricht man üblicherweise von „Projektionen“, auch dort scheut man den Begriff der Prognose. Nur: Diese Aussage ist eindeutig eine Prognose – und dies in zweierlei Hinsicht: (Sitz-)Mehrheit für schwarz-gelb, maximal 25 Prozent für die SPD – und dies trotz der weiterhin hohen Unentschlossenheit.

2. Worauf beruhen diese Aussagen? Ein neues (veröffentlichtes) Politbarometer gab es diese Woche nicht. Handelt es sich demnach um eine subjektive Einschätzung, sozusagen um privates Zahlenmaterial? Falls dem so sein sollte, würde man schon gerne wissen, was bei der Untersuchung insgesamt herauskam: Wie steht es um die Parteistärken, die Kanzlerpräferenz, Probleme und Lösungskompetenzen? Man weiß es nicht.

3. Es ist zu vermuten, dass Jungs Aussagen auf Umfragen beruhen, die von der FGW diese Woche durchgeführt wurden und vom ZDF – also von uns Gebührenzahlern – finanziert werden. Nun hatten sich aber ARD und ZDF in gegenseitigem Einvernehmen verpflichtet, in der Woche vor der Wahl keine neuen mehr Zahlen herauszugeben. Warum macht man hier eine – zudem höchst selektive – Ausnahme? Hat das ZDF entschieden, diese Abmachung zu brechen oder handelt es sich um einen Alleingang von Herrn Jung und/oder der Forschungsgruppe? Sehr merkwürdig.

Schließlich muss man die Objektivität der Jungschen Aussagen hinterfragen. Was meint er mit mit „knapp aber sicher“? Entweder ist es knapp oder es ist nicht knapp. Entweder ist es sicher oder unsicher. Falls Jung meint, dass der Ausgang zwar knapp wird, Union (und FDP) aber durch Überhangmandate deutlich gewinnen werden, dann sollte er es auch so sagen. Noch abenteuerlicher ist die Aussage „keine Trendumkehr“. Wie bitte? Seit Januar 2009 liegen Union und FDP in der Projektion des Politbarometer bei 48 bis 51 Prozent und die SPD bei 23 bis 27 Prozent. Wo ist da ein Trend? Wenn es einen Trend der Umfragen der letzten Wochen gibt, dann einen positiven für die SPD – übrigens auch im Politbarometer.

Eine Trendumkehr aber gibt es in jedem Fall: Bisher war es ein Trend, dass Demoskopen Umfragen durchführen und darauf aufbauend Zahlen veröffentlichen und interpretieren. Neuerdings aber scheint man ohne Umfrageveröffentlichungen auszukommen. Man stellt einfach Behauptungen auf. Diese Prognose hat – selbst wenn sie eintreten sollte – einen ganz faden Beigeschmack.