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Denkt Roland Koch wie die Linkspartei? Die Debatte um die Reform von Hartz IV hält Überraschungen bereit

StruenckRoland Koch verlangt eine Arbeitspflicht für die Empfänger von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und alle toben. Roland Koch auch, weil er (natürlich und natürlich einkalkuliert) „missverstanden“ worden sei. Das Ganze könnte man getrost in der Schublade populistischer Evergreens verstauen. Dabei liegt in Roland Kochs Forderung eine ordentliche Prise Ironie, wenn man ihre möglichen Konsequenzen ernst nimmt. Denn der Vorschlag führt geradewegs in einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie ihn die Linkspartei seit langem in ihrem Parteiprogramm hat. Die Linke müsste daher eigentlich ganz auf der Seite von Koch stehen, zumindest klammheimlich.

Eine Arbeitspflicht gibt es im Grunde längst, denn die Arbeitsagenturen haben Anweisungen und verschärfte Zumutbarkeitskriterien an die Hand bekommen. Schließlich war es das erklärte Ziel dieser Reform, alle erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch was tun, wenn es in einer Region so gut wie keine Stellen gibt, in die Langzeitarbeitslose vermittelt werden können? Heinrich Alt, Mitglied im Bundesvorstand der Bundesagentur für Arbeit, sieht nach wie vor ein großes Defizit an Arbeitsplätzen in Deutschland. Dabei nutzen die Arbeitsgemeinschaften zwischen Kommunen und Arbeitsagenturen bereits ein großes Arsenal an Maßnahmen, um ihre Klientel wenigstens zeitweise in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen.

Worauf liefe also Roland Kochs Forderung hinaus, wenn man sie unter den jetzigen Bedingungen betrachtet? Wenn es eine allgemeine, verbindliche Arbeitspflicht gibt, muss auch Arbeit angeboten werden. Für die größte Gruppe der Langzeitarbeitslosen – die Alleinerziehenden – bräuchte es da erst einmal eine verlässliche Kinderbetreuung. Die anderen Kunden karren die Argen dann entweder quer durch die Republik an Orte, an denen die Erwerbsarbeit noch blüht. Oder sie müssen ihnen Ersatzarbeitsplätze anbieten, denn Arbeitspflicht für die Hilfeempfänger bedeutet quasi Arbeitsplatzpflicht für die Arbeitsagenturen. Angesichts von knapp 5 Mio. erwerbsfähigen Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II liefe das daraus hinaus, einen großen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen bzw. schaffen zu müssen. Roland Koch hätte neue Freunde in der Linkspartei gewonnen, doch das Kernziel der ganzen Reform würde verfehlt: die Integration in den ersten Arbeitsmarkt.

 

Der Schröder-Reflex

Am Abend der Bundestagswahl 2005 wurde Fernsehdeutschland Zeuge einer außergewöhnlichen politischen Forderung. Gerhard Schröder erhob ebenso lautstark wie kompromisslos den Anspruch, in der sich anbahnenden Großen Koalition Bundeskanzler zu bleiben, obwohl seine Partei knapp hinter der Union geblieben war. Auch wenn schließlich alles etwas anders kam, war dies doch das erste Mal, dass ein ungeschriebenes Gesetz in Frage gestellt wurde: Dass nämlich der stärkste Koalitionspartner den Regierungschef stellt.

Vier Jahre später nun kommen im Rahmen der anstehenden Landtagswahlen ähnliche Gedankenspiele auf. Insbesondere in Thüringen wird dieser Tage offen diskutiert, ob mögliche Linksbündnisse von einem SPD-Ministerpräsidenten geführt werden könnten, auch wenn die Linkspartei mehr Mandate als die SPD erringen sollte. Aus Sicht der SPD scheint dies die Antwort auf die heiß diskutierte Frage zu sein, wie man die vorausgesagte linke Mehrheit nutzen könnte, ohne insbesondere der Bundespartei eine schwere Bürde für die Bundestagswahl aufzuladen. Nach zahlreichen Versicherungen aus den Reihen der SPD, man werde dem Linkspartei-Spitzenkandidaten Bodo Ramelow nicht ins Amt helfen, könnte ein Einknicken nach der Wahl einen Sturm entfesseln, der die hessische „Wortbruch“-Debatte an Heftigkeit noch übertreffen könnte.

Die Alternative aber wäre ein politischer Kulturbruch, für den es sehr gute Gründe geben müsste. Die Argumente Schröders anno 2005 waren zum einen, dass die SPD gemessen an den Umfrageergebnissen im Wahlkampfendspurt mächtig aufgeholt hatte, sodass sie die Union bei einem etwas späteren Wahltermin hätte überholen können. Zum anderen konnte er seine guten Persönlichkeitswerte in die Waagschale werfen und sich als eine Art „Volkskanzler“ darstellen.

Ob die SPD in Thüringen in den verbleibenden zehn Tagen noch zum Endspurt ansetzen und die Linkspartei überholen kann, ist ungewiss. Die Persönlichkeitswerte der beiden Kandidaten jedoch zeigen, dass Spitzenkandidat Christoph Matschie nicht deutlich vor Bodo Ramelow liegt. Gemessen an der so genannten Direktwahlfrage (in der die beiden jeweils Ministerpräsident Dieter Althaus gegenübergestellt wurden, siehe Abbildung) schneidet er kaum besser ab. Dazu wurde auch der direkte Vergleich zwischen Matschie und Ramelow erhoben – allerdings nicht in Form einer Direktwahlfrage, sondern anhand der Frage, ob die Linke ihren Kandidaten durchsetzen oder den SPD-Mann mitwählen solle. Auch hier gewinnt Matschie mit einer relativen Mehrheit von 42 zu 31 Prozent. Allerdings sind diese Zahlen zum einen wegen der besonderen Fragestellung schwierig einzuschätzen und zum anderen ebenfalls nicht so deutlich wie der Abstand zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel vor der letzten Bundestagswahl.

Direktwahlfragen zu Thüringen 2009 und der Bundestagswahl 2005

Quellen: LanderTREND Thüringen und ARD Deutschlandtrend von Infratest dimap

Mittlerweile ist klar, dass ein wahrgenommener Endspurt und gute Persönlichkeitswerte allein keine hinreichenden Kriterien dafür sind, als „Juniorpartner“ das Amt des Regierungschefs übernehmen zu können. Neben der Außenwahrnehmung spielt auch die interne Atmosphäre eine wichtige Rolle, und hier sind sich Matschie und Ramelow sicher näher als Schröder und Merkel es waren. Vieles spricht aber dafür, dass nur alle diese Kriterien zusammen die absolut notwendige Grundlage für solch eine außergewöhnliche Entscheidung bilden könnten. Denn ein unter diesen Gegebenheiten gewählter Ministerpräsident bräuchte auch außerhalb seiner Koalition einen starken Rückhalt, um die Kritik an der Legitimität seiner Wahl entkräften zu können. Solange also die SPD und ihr Spitzenkandidat das linke Lager auch jenseits der klassischen „Sonntagsfrage“ nicht dominieren, wird es zu dieser kleinen Revolution wohl nicht kommen.

 

Der Oskar-Code

Der Wahlkampf im Saarland nimmt außergewöhnliche Züge an. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt organisiert derzeit eine Unterschriften-Aktion für Heiko Maas, in der sich alle ehemaligen SPD-Minister des Landes offen zum SPD-Kandidaten bekennen sollen. In jedem anderen Bundesland käme dies einem Offenbarungseid gleich, schließlich sollte die Unterstützung ehemaliger Minister für ihre Partei eine Selbstverständlichkeit sein. Im saarländischen Wahlkampf 2009 könnte dieses Signal an die Wählerschaft jedoch tatsächlich den gewünschten Effekt entfalten: Es geht darum, die zur Linkspartei abgewanderten Wähler wieder für die SPD zu gewinnen.

Das Kalkül lautet folgendermaßen: Viele Wähler sind auch deshalb bereit, die Linke zu wählen, weil diese Partei in Person des ehemaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine die politischen Erfolge vergangener SPD-Regierungen für sich reklamiert. Daher gilt es nun klar zu machen, dass diese Erfolge nicht auf die Person Lafontaine, sondern auf die Regierungspartei SPD zurückzuführen sind. Stellvertretend dafür werden die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder der Lafontaine-Ära angeführt, die die damaligen politischen Entscheidungen geschultert und verantwortet haben.

Das Stimmenpotenzial, das dieser Frage innewohnt, lässt sich erahnen, wenn man das saarländische Ergebnis der Europawahl der jüngsten Umfrage zu Landtagswahl von Infratest dimap gegenüberstellt und sich dabei vor Augen hält, dass die Zugkraft des Spitzenkandidaten Lafontaine auf Landesebene sehr viel größer ist als im Rahmen der Europawahl.

Saarländische Umfrage- und Wahlergebnisse im Vergleich

Angaben in Prozent. Quellen: Infratest dimap und Bundeswahlleiter.

Es zeigt sich, dass die Linkspartei bei der Europawahl sechs Prozentpunkte weniger erreicht hat, als ihr in Umfragen zur Landtagswahl zugetraut wird. Davon konnte jedoch keine der etablierten Parteien profitieren, stattdessen teilen sich diese sechs Prozentpunkte unter den kleinen Parteien auf. Beispielsweise konnten die Freien Wähler, die Piraten- und die Rentnerpartei aus dem Stand zusammen knapp drei Prozent der Stimmen erringen.

Diese Differenz zwischen Umfragedaten und Wahlergebnis der Linkspartei kann natürlich nicht allein auf das Zugpferd Lafontaine zurückgeführt werden, schließlich standen bei der Europawahl nicht nur andere Personen, sondern auch andere Themen im Vordergrund. Ein weiteres klassisches Argument gegen die Übertragbarkeit von Europawahlergebnissen auf die Landesebene ist die zumeist deutlich höhere Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen. Dies ist hier jedoch nicht gegeben, das Saarland konnte bei der Europawahl mit 58,6% die höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer verzeichnen. Bei der letzten Landtagswahl 2004 sind 55,5% der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen.

So liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich einige Saarländer eher Oskar Lafontaine als der Linkspartei als solcher zugeneigt sind. Diese Menschen haben an der Europawahl nicht teilgenommen, weil keine Partei sie ansprechen konnte. Es bleibt die entscheidende Frage: Wie knackt man den Oskar-Code?

 

Der Parteitag der Linken – keine Krisenlösungskompetenz in Sicht

Die Vorzeichen des Parteitages der Linkspartei waren einigermaßen paradox: Die Linken möchten die Krise nutzen, derzeit aber kriselt die Linke selbst. Unermüdlich prangert man das Scheitern der „neoliberalen“ Politik der Regierungsparteien an, die das Land in die Krise gestürzt habe – das Kernthema der Linken schlechthin. Und doch stagnieren die Umfrageergebnisse.

So ging es dieses Mal mehr um das Demonstrieren von Zusammenhalt und Einigkeit, als darum, Wahlkampfstimmung zu machen. Wieder so ein Parteitag also, auf dem man einander bestätigt und sich auf die kommende Zeit einschwört. Ob es Lafontaine & Co. aber gelingt, nur durch das Anreißen der heiklen Themen und ohne klare Lösungskonzepte die Sympathisanten und Wähler hinter sich zu bringen, ist fraglich.

Sicherlich: Personen (und ihre Redekraft) sind im medialen Zeitalter wichtig, darauf wurde auch gerade in diesem Blog schon häufiger hingewiesen – aber es ist auch die wahrgenommene Problemlösungskompetenz des Kandidaten, die für den Bürger ausschlaggebend ist. Und hier punktet die Linke zu wenig – es sind ihre Themen, die in der Krise gefragt sind, und eigentlich auch ihre Lösungskonzepte: Mindestlohn, Reichensteuer, die Änderung der Hartz-IV-Gesetze. Interessanterweise (aus Sicht der Linken: fatalerweise) wird aber die Lösung der sozialen Probleme eher der großen Koalition zugetraut.

Was ist die Konsequenz dessen? Mehr Drama vielleicht? Wirtschaftliche Schreckensszenarien könnten die Wähler von den Regierungsparteien abwandern lassen und der Linkspartei Stimmen bringen. Oder mehr Sachlichkeit? Moderate Haltungen zu bestimmten Themen könnten die Partei – auch mit Blick auf die Landtagswahlen am 30.8. – koalitionsfähig und damit wählbar erscheinen lassen.

Beide Varianten wurden auf dem Parteitag angetestet, das Wahlprogramm ist eine Kompromissformel. In den kommenden Wochen und Monaten muss die Partei jedoch Farbe bekennen, denn es ist offenkundig, dass das bloße Thematisieren und Artikulieren von Missständen nicht ausreicht. Es gilt für die Parteiführung nun, substanzielle Richtungsentscheidungen zu treffen – darin muss sie sich noch bewähren.

 

Leichte Annäherung im linken Lager?

Müntefering nimmt – zwar vorsichtig, aber immerhin – das Linke-Thema auf und versucht, aus den Fehlern seines gescheiterten Vorgängers zu lernen. Möchte man sich mittelfristig den Weg zur Macht nicht versperren, darf man eine Partei, die immerhin in den neuen Bundesländern schon nahezu Volksparteicharakter hat, nicht gänzlich ausblenden. Diese Ignoranz bzw. auch Arroganz auf dem linken Auge hatte die SPD bereits in den 80er Jahren gegenüber den Grünen – auch daraus sollte sie gelernt haben. Man errinnere sich nur an Holger Börner und seine Annäherung an die Grünen. Möchte man auf Bundesebene links der Mitte wirklich eine Regierung bilden, müssen langfristig alle Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums mögliche Koalitionspartner sein. Nur so lässt sich die konservative strukturelle Mehrheit sprengen.

Die Gelegenheit hierfür scheint günstig, einer aktuellen Emnid-Umfrage zufolge scheint im Unions-Lager die Unterstützung für die eigene Partei zu schwinden. Da die SPD andererseits von dieser Entwicklung nur indirekt profitiert (die meisten CDU/CSU-Abwanderer wollen schlicht nicht mehr wählen gehen), liegt die Mobilisierung des eigenen Lagers nahe.