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Wie die Wirtschaftskrise doch noch die Wahl beeinflussen kann

Die Wirtschaftskrise nutzt bisher vor allem der Union. Aber wenn die Arbeitslosigkeit deutlich steigt und die Angst in der Bevölkerung wächst, könnte sich das ändern.

Auf die Finanzkrise folgte die staatliche Bankenrettung; auf die Wirtschaftskrise folgten staatliche Bürgschaften für Unternehmen. Der Staat greift wieder aktiv ein, nach sozialdemokratischer Manier. Gegeißelt werden „gierige“ Manager, der Kapitalismus gerät in die Kritik. Was läge da näher als Verluste für bürgerliche Parteien, die zumeist als wirtschaftsnah gelten, und Gewinne für linke Parteien?

Fortsetzung hier auf Zeit Online.

 

Der Parteitag der Linken – keine Krisenlösungskompetenz in Sicht

Die Vorzeichen des Parteitages der Linkspartei waren einigermaßen paradox: Die Linken möchten die Krise nutzen, derzeit aber kriselt die Linke selbst. Unermüdlich prangert man das Scheitern der „neoliberalen“ Politik der Regierungsparteien an, die das Land in die Krise gestürzt habe – das Kernthema der Linken schlechthin. Und doch stagnieren die Umfrageergebnisse.

So ging es dieses Mal mehr um das Demonstrieren von Zusammenhalt und Einigkeit, als darum, Wahlkampfstimmung zu machen. Wieder so ein Parteitag also, auf dem man einander bestätigt und sich auf die kommende Zeit einschwört. Ob es Lafontaine & Co. aber gelingt, nur durch das Anreißen der heiklen Themen und ohne klare Lösungskonzepte die Sympathisanten und Wähler hinter sich zu bringen, ist fraglich.

Sicherlich: Personen (und ihre Redekraft) sind im medialen Zeitalter wichtig, darauf wurde auch gerade in diesem Blog schon häufiger hingewiesen – aber es ist auch die wahrgenommene Problemlösungskompetenz des Kandidaten, die für den Bürger ausschlaggebend ist. Und hier punktet die Linke zu wenig – es sind ihre Themen, die in der Krise gefragt sind, und eigentlich auch ihre Lösungskonzepte: Mindestlohn, Reichensteuer, die Änderung der Hartz-IV-Gesetze. Interessanterweise (aus Sicht der Linken: fatalerweise) wird aber die Lösung der sozialen Probleme eher der großen Koalition zugetraut.

Was ist die Konsequenz dessen? Mehr Drama vielleicht? Wirtschaftliche Schreckensszenarien könnten die Wähler von den Regierungsparteien abwandern lassen und der Linkspartei Stimmen bringen. Oder mehr Sachlichkeit? Moderate Haltungen zu bestimmten Themen könnten die Partei – auch mit Blick auf die Landtagswahlen am 30.8. – koalitionsfähig und damit wählbar erscheinen lassen.

Beide Varianten wurden auf dem Parteitag angetestet, das Wahlprogramm ist eine Kompromissformel. In den kommenden Wochen und Monaten muss die Partei jedoch Farbe bekennen, denn es ist offenkundig, dass das bloße Thematisieren und Artikulieren von Missständen nicht ausreicht. Es gilt für die Parteiführung nun, substanzielle Richtungsentscheidungen zu treffen – darin muss sie sich noch bewähren.

 

Marx oder Marienthal?

„Immer mehr führende Köpfe warnen nun vor sozialen Unruhen“, schreibt Spiegel Online heute unter der Überschrift „Wirtschaftseinbruch schürt Angst vor sozialen Konflikten“. Thesen zum Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Lage (und insbesondere Wirtschaftskrisen) und sozialen Unruhen (bis hin zur Stabilität des politischen Systems) sind ein Evergreen. Die hohe Arbeitslosigkeit etwa ist eine Standarderklärung für den Niedergang der Weimarer Republik. Das empirische Eis, auf dem solche Behauptungen stehen, ist allerdings vergleichsweise dünn. In seiner epochalen Studie zu den Arbeitslosen von Marienthal konnte Paul F. Lazarsfeld eher feststellen, dass die Menschen im österreichischen Marienthal – einem von der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre besonders hart getroffenen Ort – im Zuge der Krise eher „müde“ geworden waren. Betrachtet man heute die Absicht etwa von Arbeitslosen, sich an bevorstehenden Wahlen zu beteiligen oder auch in anderer Form politisch aktiv zu werden, bestätigt sich dieses Bild. Arbeitslose gehen im Vergleich zu Erwerbstätigen seltener zur Wahl, sie interessieren sich auch eher weniger für Politik. Das Bestreiten des (schwierigen) Alltags steht für sie eher im Vordergrund als distante Phänomene wie Politik und Wahlen. Das macht soziale Unruhen (zumindest ausgehend von direkt Betroffenen) weniger wahrscheinlich, die Situation allerdings keinen Deut besser.

 

Die Opelrettung – Chance für Frank-Walter Steinmeier?

Themen, die die Gesellschaft direkt betreffen und emotionalisieren, sind ein Pfund, mit dem man in Wahlkämpfen wuchern kann. Betrachtet man sich die Bundestagswahl 2002, so ist kaum abzustreiten, dass die Flutkatastrophe ihren Teil dazu beitrug, dass Gerhard Schröder die Wahl knapp für sich entscheiden konnte. Schröders Engagement und sein entschlossenes Handeln blieben den Menschen positiv in Erinnerung und haben den ein oder anderen Wähler sicherlich dazu bewegt, am Wahltag für den damaligen Amtsinhaber zu stimmen. Schröders Nähe zu den Betroffenen und die prompt zugesagte staatliche Unterstützung ließen die Flut zu einem Wahlkampfthema mit großer Durchschlagskraft werden. Die Medienaufmerksamkeit war von vorneherein garantiert, Schröder hatte somit eine gemachte Bühne für seine Selbstdarstellung als perfekter Krisenmanager. Zusammen mit einem der Kernthemen der SPD, der „Solidarität“, war die Flutkatastrophe ein schlagkräftiges Team, um Stammwähler zu mobilisieren und Wechselwähler in Ostdeutschland zu gewinnen.

Heute, im Superwahljahr 2009 haben wir es mit sehr ähnlichen Vorzeichen zu tun: Ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat und ein Ereignis, das viel Raum auf der Medienagenda einnimmt und sich mühelos in Einklang mit einem der Kernthemen der SPD bringen lässt. Da mag es eher von marginaler Bedeutung sein, dass dem von Steinmeier vorgeschlagenen staatlichen Rettungskonzept für Opel mangelnde Substanz vorgeworfen wird. Das, was strahlt, ist die Solidarität des Kanzlerkandidaten mit den Betroffenen, ohne Wenn und Aber und mit Unterstützung des Staates. Angela Merkels Haltung im Fall Opel spielt dem SPD-Kandidaten zusätzlich in die Hände, zumal diese staatliche Unterstützung lediglich bei der Suche nach einem Privatinvestor und in Form von Bürgschaften zugesagt hat. Also nur „eingeschränkte“ Solidarität mit Opel, die sich negativ auf die Beliebtheit der Kanzlerin auswirken und im Gegenzug einen positiven Einfluss auf Steinmeiers Popularität haben könnte. Die Opelrettung ist ein Thema, das die Wähler greifen können. Die Medien präsentieren Einzelschicksale, man solidarisiert sich mit den Betroffenen und stellt eine emotionale Bindung her. Gleichzeitig ist die Zahl der damit verbundenen Arbeitsplätze keine abstrakte Größe. Die Chancen stehen also gut, dass das Thema Opel dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten eine bessere Ausgangsposition für den weiteren Wahlkampf sichert.

 

Staatliche Arbeitsplätze – warum nicht? Die Deutschen haben nichts dagegen.

Ob Opel oder HRE – staatliche Interventionen erregen derzeit die Gemüter in Berlin. Auch die der Bürger? Werfen wir einen Blick in einschlägige Umfragen: 1984, 1994 und 2004 wurde den Bundesbürgern im Rahmen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) das folgende Statement mit der Bitte um Zustimmung oder Ablehnung vorgelegt: „Der Staat muss dafür sorgen, dass jeder Arbeit hat und die Preise stabil bleiben, auch wenn deswegen die Freiheiten der Unternehmer eingeschränkt werden müssen.“ Wie die folgende Grafik zeigt …

stößt dies auf breite Zustimmung in Deutschland. Zwar ist die Zustimmung im Zeitverlauf rückläufig und liegt im Osten etwas höher als im Westen – doch zu allen Zeitpunkten stimmt die Mehrheit der Deutschen der Aussage zu.

Ein Einzelfall? Keineswegs. Im International Social Survey Programme (ISSP) findet sich 1990, 1991, 1996 und 2006 die Frage: „Bitte geben Sie nun an, inwieweit die folgenden Dinge in der Verantwortlichkeit des Staates liegen sollten: Einen Arbeitsplatz für jeden bereitstellen, der arbeiten will.“. Wie die folgende Grafik zeigt …

gilt hier Ähnliches. Seit 1990 wird auch hier – bei gleicher Entwicklung und Unterschieden zwischen Ost und West – mehrheitlich der Staat in der Verantwortung gesehen.

Letztlich also, so könnte man sagen, spiegeln die Rettungsbemühungen etwa bei Opel nur das wider, was die Deutschen immer schon mehrheitlich unterstützt haben. Was ja durchaus demokratisch ist.