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Innenminister Friedrichs Nebelkerze

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will vorgeblich die Ausweisung islamistischer Aufwiegler vereinfachen. Tatsächlich verwischt der CSU-Politiker aber, was seine eigenen Sicherheitsbehörden zu differenzieren versuchen.

Die taz berichtet über einen ihr vorliegenden Referentenentwurf des Ministeriums zur „Modernisierung des Ausweisungsrechts“. Vermutlich ganz richtig ordnet Autor Christian Rath das Vorhaben als Versuch ein, die Bekämpfung islamistischer Aufwiegler zum Wahlkampfthema zu machen. Dagegen ist grundsätzlich nichts zu sagen: Warum soll sich ein Innenminister nach den Anschlägen in Boston und zuletzt in London nicht Gedanken zu diesem Thema machen?

Doch daran, wie es Friedrich vorhat, gibt es allerdings Grund für Kritik. Denn das Ministerium plant nicht etwa, ein umfangreiches Forschungsprogramm über Ursachen und Verläufe islamistischer Radikalisierung aufzusetzen. Oder die vollkommen disparaten Programme zur Radikalisierungsprävention auf kommunaler und Länderebene zusammenzuführen (und da einzuführen, wo es sie nicht einmal gibt).

Nein, der Innenminister will wohl stattdessen zunächst das Ausländerrecht verschärfen. Und zwar in zweifacher Hinsicht: Laut taz soll ein Ausländer künftig schon ausgewiesen werden, wenn er eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung erhielt – statt wie bisher mindestens drei Jahre. Diese erste Verschärfung des Rechts hat in der Tat Auswirkungen.

Die zweite geplante Verschärfung ist dagegen praktisch gesehen irrelevant – dafür aber ideologisch bedeutsam und sicherheitspolitisch problematisch. Denn sie sieht laut taz vor, dass Ausländer „zwingend“ auszuweisen sind, wenn sie sich „bei der Verfolgung religiöser Ziele“ an Gewaltakten beteiligen, öffentlich zur Gewalt aufrufen oder mit Gewaltanwendung drohen. Bisher galt diese Regel „nur“ bei der Verfolgung „politischer Ziele“.

Friedrichs Spitzfindigkeit

Indem Friedrich dies auf „religiöse Ziele“ ausweitet, suggeriert er zum einen, dass hier zuvor eine Lücke klaffte. Zum zweiten, dass er sie erkannt hat und nun schließen will. Doch beides ist ein Irrtum.

Denn islamistische Extremisten verfolgen, wenn sie Gewalt anwenden, dazu aufrufen oder damit drohen, immer „politische Ziele“. Das ist keine Spitzfindigkeit, das sieht sogar das Bundesinnenministerium selbst so: „In Abgrenzung zur Religion ‚Islam‘ bezeichnet der Begriff ‚Islamismus‘ eine religiös verbrämte Form des politischen Extremismus“, heißt es da.

Der Bundesverfassungsschutz, dem Innenministerium untergeordnet, arbeitet mit einer ähnliche Definition: „Der Islamismus in Deutschland ist kein einheitliches Phänomen. Allen Ausprägungen gemeinsam ist der Missbrauch der Religion des Islam für die politischen Ziele und Zwecke der Islamisten.“

Hebelt eigene Unterscheidung aus

Die vorgeblich religiösen Ziele von Islamisten sind nach Ansicht der deutschen Sicherheitsbehörden also in Wahrheit politische Ziele. Friedrichs Referentenentwurf vermengt nun jedoch, was die eigenen Sicherheitsbehörden zu differenzieren versuchen: Indem das Ministerium einen Unterschied zwischen extremistisch-politisch motivierten Taten und religiös motivierten Taten konstruiert, hebelt es letztlich sogar die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus aus. Deren Bedeutung haben – auch und gerade – die Sicherheitsbehörden seit Jahren immer wieder betont.

Ist es das wirklich, was Innenminister Friedrich will? Man kann nur hoffen, dass diese Formulierung im Referentenentwurf ein schlecht durchdachtes Wahlkampfmanöver ist – und kein gezielter Versuch, den Extremismusbegriff durch die Hintertür umzudefinieren.

 

Mehr als 50 Deutsche kämpfen in Syrien

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat seine Schätzungen über die Zahl deutscher Teilnehmer am syrischen Bürgerkrieg aktualisiert: „Es liegen derzeit Erkenntnisse zu mehr als fünfzig deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort beispielsweise an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen“, heißt es in einem aktuellen Statement des Amtes, das ZEIT ONLINE vorliegt. „Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung vor Ort unterliegt diese Zahl tagesaktuellen Veränderungen mit derzeit eher steigender Tendenz.“ Das Bundeskriminalamt (BKA) und das BfV tauschten sich hinsichtlich der Erkenntnisse zu solchen Ausreisen laufend aus, heißt es darin weiter.

Diese Schätzungen sind nicht vollkommen überraschend, wohl aber präziser und höher als bisherige Angaben. Ende April hatte BKA-Chef Jörg Ziercke laut Bild.de von 40 bis 60 islamistischen Kämpfern aus dem europäischen Raum gesprochen, unter denen auch etliche Deutsche seien.

Ebenfalls Ende April hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Spiegel Online gesagt: „Wir wissen, dass auch Dschihadisten aus Deutschland, die wir hierzulande bereits im Visier hatten, sich in Syrien aufhalten und dort an der Seite der Rebellen kämpfen.“

Bereits Anfang April hatte ZEIT ONLINE über europäische Kämpfer in Syrien berichtet: Laut einer Studie des International Centre for the Study of Radicalisation (ICSR) in London sind in den vergangenen 15 Monaten zwischen 140 und 600 Kämpfer aus europäischen Staaten in das Land gereist. Die meisten von ihnen stammen aus den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und Belgien.

Der oberste Terrorismusexperte der Europäischen Union, Gilles de Kerchove, ging im vergangenen Monat davon aus, dass sich bis zu 500 radikale Islamisten aus Europa den Kämpfern gegen Assad angeschlossen hätten.

Was die deutschen beziehungsweise aus Deutschland stammenden Kämpfer angeht, zu denen sich das BfV nun äußerte, muss ergänzt werden, dass keinesfalls immer klar ist, welchen Fraktionen der bewaffneten Rebellen sie sich jeweils angeschlossen haben. Diese umfassen ein breites Spektrum, das von der Freien Syrischen Armee bis zur Al-Kaida-nahen „Jabhat al-Nusra“ reicht. Ebenso ist nicht immer erkenntlich, ob diese Kämpfer dauerhaft in Syrien sind oder jeweils für wenige Wochen oder Monate einreisen und dann wieder in ihr gewohntes Leben in Deutschland zurückkehren.