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Plötzlich ein Terrorverdächtiger

Weil ein Bonner Konvertit sich den Al-Shabaab-Milizen in Somalia angeschlossen hat, haben deutsche Medien suggeriert, er könne mit dem Anschlag von Nairobi zu tun gehabt haben. Das ist gedankenlos.

Die Geschichte von Andreas Ahmad Khaled M. aus Bonn ist keine einfache Geschichte, ich verfolge den Fall seit Jahren. Die für diesen Text relevante Zusammenfassung geht so: Auf der Suche nach einem „gottgefälligen Leben“, wie er es nennt, ist M. im Sommer 2011 mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter nach Somalia ausgewandert, wo er sich, nach allem, was man wissen kann, den Al-Shabaab-Milizen angeschlossen hat. In den Jahren zuvor hatte das Paar sich radikalisiert, beide sind überzeugte Islamisten. Trotzdem meldet M. sich bis heute in unregelmäßigen Abständen bei seiner Familie im Rheinland. Für die Eltern ist das alles eine Tragödie; im vergangenen Jahr haben sie der ZEIT ihre Geschichte erzählt.

Was man noch wissen muss, das ist: Bis heute gibt es keinen Beleg dafür, dass M. je zu einer Waffe gegriffen hat. Das bestreitet M. auch selbst – auch wenn ein Al-Shabaab-Sprecher im Mai 2012 dem stern erzählte, M. sei zum Zwecke der miitärischen Ausbildung nach Somalia gekommen. Anders als im Falle anderer deutscher Islamisten, die in Krisengebiete ausgewandert sind und bei oder im Umfeld von militanten und/oder terroristischen Gruppen leben, gibt es von M. keine Ansprachen und keine Videos, in denen er mit Terror droht oder zu Gewalt aufruft. Niemand, die deutschen Sicherheitsbehörden eingeschlossen, weiß genau, wo in Somalia er sich aufhält, und womit er seine Tage verbringt. Es ist unklar, ob er sich im Zentrum der Al-Shabaab-Bewegung, an ihrer Peripherie oder an einer Front befindet.

Im Mai 2012 gab es schon einmal Aufregung um M.: In Kenia hatte ein Terroranschlag stattgefunden, und plötzlich tauchte sein Name in der kenianischen Presse auf – er werde gesucht, hieß es. Auch in Deutschland wurde berichtet. Ganz klar aber ist bis heute nicht, ob es vielleicht eine Verwechslung gab. Zumindest zeitweise verbreiteten die Behörden in Kenia augenscheinlich ein Bild zu seinem Namen, das nicht ihn zeigte. Es ist nicht einfach, solche Dinge von hier aus aufzuklären. Es fand sich aber bislang kein Beleg dafür, dass M. in Kenia war.

Als nun die Al-Shabaab-Milizen erneut in Kenia zuschlugen und im Shopping Center Westgate dutzende Menschen als Geiseln nahmen und töteten, erinnerten verschiedene Medien daran, dass es bei den Al-Shabaab auch Kämpfer gibt, die aus westlichen Staaten nach Somalia gereist sind, um sich ihnen anzuschließen. Das ist nichts Neues. Schon vor Jahren haben somalisch-stämmige Amerikaner im Namen der Al-Shabaab Selbstmordattentate ausgeführt. Im konkreten Fall gab es zudem die Vermutung, dass aus Großbritannien und den USA eingereiste Al-Shabaab-Kämpfer beteiligt gewesen sein könnten.

In diesem Zusammenhang interviewte die Presseagentur dpa den Berliner Terrorexperten Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In dem Interview erwähnte Steinberg den Fall M.: Dieser solle ein Al-Shabaab-Kämpfer sein. dpa gab eine Meldung heraus, in der daraus ein Indikativ wurde: M. ist ein Al-Shabaab-Kämpfer, wurde Steinberg zitiert. Später korrigierte dpa das und bat um Verwendung der „Soll-Sein“-Form. Da hatten es etliche Medien schon als Tatsache verbreitet.

Am Mittwoch griff dann die Tagesschau den Fall M. auf – in einem Bericht über Al-Shabaab, der unmittelbar auf einen Beitrag über den Anschlag von Nairobi folgte. Darin hieß es: „Seit dem Einmarsch kenianischer Truppen in Südsomalia hat Al-Shabaab einen neuen Feind. Im Kampf gegen ihn können sich die Islamisten auch auf ausländische Helfer stützen. Steckbrieflich gesucht werden unter anderem eine 29-jährige Britin und ein deutscher Konvertit namens Andreas Khaled M. (Abkürzung des Nachnamens durch ZEIT ONLINE), nach dem Kenias Polizei fahndet.“

Diese sehr knappe Darstellung ließ aus, dass der kenianische Fahndungsaufruf nicht aktuell bedingt ist (falls er überhaupt noch gilt, was ich nicht weiß). Und sie ließ aus, dass unklar ist, ob M. je in Kenia war. (Die 29-jährige Britin wird – von Interpol – wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Anschlag aus dem Jahr 2011 gesucht; sie wird von kenianischen Behörden überdies tatsächlich verdächtigt, an dem Anschlag von Nairobi beteiligt gewesen zu sein.)

Ich finde, die Tagesschau hätte hier mehr Kontext liefern müssen. Ich habe den Chefredakteur Aktuell der ARD, Kai Gniffke, gefragt, wie er das sieht. „Ich habe mir den Beitrag noch einmal genau angesehen und kann auch nach sorgfältiger Sichtung keine journalistische Verfehlung feststellen“, schrieb er am Freitag zurück. „Der Autor hat konstatiert, dass sich Al-Shabaab im Kampf gegen die kenianische Armee in Somalia auf die Unterstützung ausländischer Helfer stützen kann. Steckbrieflich gesucht werden eine 29-jährige Britin und der deutsche Konvertit Ahmed Khaled M. Ein direkter oder indirekter Zusammenhang zum Anschlag in Nairobi wurde nicht hergestellt, sodass alle Aussagen des Beitrags richtig und durch die Recherche gedeckt sind.“

Gniffke mag recht damit haben, dass in dem Beitrag keine nachweisbar falschen Behauptungen gefallen sind. Aber ich bleibe dabei, dass der Kontext zu sehr eingedampft wurde. Andreas M. taucht allein im Zusammenhang mit gewaltsamen Aktionen der Al-Shabaab gegen oder in Kenia auf. Genau die aber sind in seinem Fall nicht belegt. Ich vermute ferner, dass bei vielen Tagesschau-Zuschauern hängen geblieben ist, hier würden zwei Terrorverdächtige vorgestellt.

Was der Kölner Express betrieb, dessen Meldung vom Mittwoch auch der Berliner Kurier online brachte, spielt wiederum in einer ganz anderen Liga: „Steckt dieser Bonner unter den Attentätern?“, fragte das Blatt ungeniert. Und im Text stand der Satz: „Ob M. (Abkürzung des Nachnamens durch ZEIT ONLINE) auch an dem Anschlag in Nairobi beteiligt ist, steht derzeit noch nicht fest.“

Lesen Sie den Satz bitte noch einmal.

Mit Verlaub: Das ist kein Journalismus, das ist freies Assoziieren.

Ich habe am Mittwoch und am Donnerstag mit den relevanten deutschen Sicherheitsbehörden gesprochen: Es gibt ihren Auskünften zufolge keinen Hinweis darauf, dass M. in das Attentat verstrickt ist. Natürlich schließt niemand aus, dass es so gewesen sein könnte. Wie sollte man das auch ausschließen? Aber es existiert eben kein Anknüpfungspunkt für einen Verdacht.

Bei den Eltern von Andreas M. hat die Express-Meldung am Mittwoch übrigens dazu geführt, dass sie stundenlang glaubten, die Journalisten dort wüssten etwas, das sie nicht wissen: Dass ihr Sohn verdächtigt wird, an einem Massenmord beteiligt gewesen zu sein.

Mittlerweile hat der Express reagiert: „Die Zuspitzung, die M. zumindest eine mögliche Beteiligung unterstellt, ist aus unserer Sicht in der Tat unglücklich. Wir haben das Thema in der Redaktion besprochen und den Artikel entsprechend angepasst“, schrieb mir der stellvertretende Chefredakteur Thomas Kemmerer am Freitag. In einer neuen Fassung des Artikels ist der Satz gestrichen.

 

Al-Kaidas Chef al-Sawahiri stellt neue Regeln auf

Seit gut zwei Jahren führt der ägyptische Arzt Aiman al-Sawahiri das Terrornetzwerk Al-Kaida an. Zum ersten Mal tritt er nun erkennbar aus dem Schatten seines Vorgängers Osama Bin Laden, der im Mai 2011 von US-Spezialeinheiten in Pakistan getötet worden war. Und zwar nicht mit einer Rede, sondern mit einer fünfseitigen (arabisches Original) beziehungsweise siebenseitigen Erklärung (englische Übersetzung, von Al-Kaida zur Verfügung gestellt) namens „Allgemeine Erläuterungen zur dschihadistischen Arbeit“. Al-Kaidas Medienabteilung Al-Sahab hat das Dokument vor einigen Tagen über einschlägige Internetseiten verbreitet; es liegt ZEIT ONLINE vor.

Das Papier ist sehr interessant – schon weil es in eine Kategorie von Kaida-Veröffentlichungen fällt, die in den vergangenen Jahren immer seltener geworden ist: jene nämlich, die sich nicht vornehmlich an „den Feind“ richtet und ihn einschüchtern soll, sondern stattdessen Anweisungen für die eigenen Anhänger enthält. Wörtlich sagt al-Sawahiri: „Wir rufen die Anführer aller Gruppen, die zur Gemeinschaft Al-Kaidas zählen, sowie unsere Unterstützer und Sympathisanten dazu auf, diese Richtlinien unter ihren Mitgliedern zu verbreiten, gleich ob Anführer oder Individuen.“

Diese Richtlinien beginnen recht unspektakulär mit einer Art Präambel: Al-Kaida agiere erstens militärisch und zweitens durch Propaganda; militärische Akte seien vornehmlich gegen „das Haupt des Unglaubens“, also die USA sowie deren Alliierten Israel gerichtet, ferner gegen „die lokalen Verbündeten, die unsere Länder regieren“. Zweck und Ziel aller Angriffe auf die USA sei es, das Land „auszubluten“, auf dass es der verbliebenen Supermacht so ergehe wie einst der Sowjetunion. Danach – das ist die dschihadistische Variante der Domino-Theorie des Kalten Krieges – würden dann alle US-Alliierten „einer nach dem anderen“ ebenfalls stürzen.

Es folgt eine wenig überzeugende Lesart des Arabische Frühlings: Dieser sei ein von den USA (!) geschaffenes Ventil für die Unzufriedenheit der Menschen in diesen Ländern, habe sich nun aber zum Nachteil der USA weiterentwickelt. Wahrscheinlich verbreitet al-Sawahiri diese Deutung, weil er sonst eingestehen müsste, dass es nicht etwa, wie stets von Al-Kaida propagiert, Dschihadisten waren, die arabische Autokraten hinwegfegten, sondern eher liberal gesonnene Bürgerinnen und Bürger.

„Denn unser Kampf ist lang“

Dann aber wird es interessant. Denn nun schlägt al-Sawahiri eine Brücke zwischen „Propaganda“ und „Operationen“: Den Muslimen weltweit müsse klargemacht werden, dass die „Mudschahedin“ die Speerspitze des Widerstands gegen die neuen „Kreuzzügler gegen den Islam“ seien. Jegliche militärische Tätigkeit Al-Kaidas, so der oberste Anführer sinngemäß, müsse entsprechend legitimierbar sein: als Akt der Verteidigung, nicht etwa der Aggression.

Diese Denkfigur hat bei Al-Kaida zwar schon immer große Bedeutung gehabt. Osama Bin Laden versuchte mit ihrer Hilfe, 9/11 zu legitimieren: Die Anschläge von New York und Washington seien ja lediglich eine Schlacht in einem immerwährenden Krieg, ein Gegenschlag, eine Reaktion der Attackierten, Vergeltung und nicht etwa eine Kriegserklärung.

Aber in den vergangenen Jahren ist Al-Kaida anders aufgetreten, und al-Sawahiri hat offensichtlich beschlossen, Konsequenzen daraus zu ziehen, dass sein Terrornetzwerk über sehr wenig öffentliche Unterstützung in der islamischen Welt verfügt, weil es zunehmend als blutrünstig, brutal und unterschiedslos mörderisch in Erscheinung getreten ist.

Entsprechend befiehlt al-Sawahiri Zurückhaltung: „Es sollte vermieden werden, in einen bewaffneten Konflikt (mit den lokalen Herrschern) einzutreten. Wenn wir gezwungen sind zu kämpfen, müssen wir klarmachen, dass unser Kampf gegen sie ein Teil unseres Widerstandes gegen den kreuzzüglerischen Angriff auf die Muslime ist.“ Al-Sawahiri will also vermeiden, dass Al-Kaida wirkt, als übe sie Gewalt (zumal in der muslimischen Welt) zum Zwecke der Gewalt aus. Er geht sogar noch weiter. Wo möglich, solle man Konflikte sogar befrieden, sollte danach eine Situation entstehen, in der „die Brüder“ Freiraum zur Ausübung von Propaganda und Rekrutierung hätten: „Denn unser Kampf ist lang, und der Dschihad braucht sichere Basen …“

Keine Angriffe auf Christen oder Schiiten mehr!

Noch weitreichender: Al-Sawahiri fordert die Kader auf, Angriffe auf „abweichende“ islamische „Sekten“ wie Schiiten oder Sufis zu unterlassen. „Selbst falls sie Sunniten angreifen, muss unsere Reaktion beschränkt bleiben und darf nur jenen gelten, die uns auch angegriffen haben.“ Auch von Christen, Hindus und Sikh, die in muslimischen Ländern leben, sollen die Mudschahedin ablassen, sondern diesen stattdessen erklären, dass Al-Kaida mit ihnen friedlich gemeinsam in einem islamischen Staat leben möchte.

Ansonsten gelte es, Zivilisten (insbesondere muslimische) zu schonen, also keine Angriffe auf Moscheen, Märkte oder andere Orte, wo sich gewöhnliche Muslime aufhalten könnten. Ferner: Hände weg von islamischen Gelehrten (auch wenn sie gegen Al-Kaida sind) sowie von Frauen und Kindern.

Was will al-Sawahiri mit diesem Papier erreichen? Zunächst einmal: Es schwingt in dem Dokument eine Kritik nach, die der Ägypter auf dem Höhepunkt des irakischen Bürgerkrieges an den seinerzeitigen Kaida-Statthalter dort gerichtet hatte, dass dieser sich nämlich mit seiner überbordenden Blutrünstigkeit zurückhalten solle, weil das die lokalen Unterstützer verprelle, auf die Al-Kaida angewiesen sei. Al-Sawahiri sieht Al-Kaida eben gar nicht in erster Linie als Terrororganisation, sondern als Bewegung – und als solche müssen ihre Taten vermittelbar und in sich schlüssig sein, und sollten sich außerdem besser nicht unterschiedslos gegen Zivilisten richten.

Zum zweiten: Al-Sawahiri ist mit Leib und Seele Ägypter, man darf getrost davon ausgehen, dass es stets die Lage in seinem Heimatland ist, die ihn am meisten umtreibt. Und unter diesem Aspekt ergibt sein Richtlinien-Papier noch einmal besonderen Sinn. In Ägypten nämlich, wo das Militär den von den Muslimbrüdern gestellten Präsidenten abgesetzt hat, stehen die radikalen Ränder der Muslimbrüder gerade vor der Frage, wie sie auf diesen Putsch reagieren sollen. Al-Sawahiri will jene einfangen, die mit den vormaligen, eher zivilen Taktiken und Methoden der Brüder nichts mehr anfangen können, denen Al-Kaida aber zu mörderisch erscheint. Eine geschminkte, politischere, von Regeln der Kriegsführung bestimmte Al-Kaida könnte aber als Auffangbecken für junge, radikalisierte Muslimbrüder interessant sein.

Al-Sawahiri will ideologische Reinheit

Al-Sawahiri spricht niemandem, der kämpfen will, ob in Syrien oder gegen das chinesische Regime, das Recht dazu ab; er verlangt lediglich die Einhaltung gewisser Regeln und die ständige Rückführung der Aktivitäten auf die große Al-Kaida-Erzählung vom Angriff der Kreuzfahrer auf die islamische Welt. Im Grunde handelt es sich um den Versuch, eine gewisse ideologische Reinheit wiederherzustellen, die zuletzt kaum mehr erkennbar war.

Die Anhänger Al-Kaidas reagieren freundlich auf die neuen Maßgaben; alles, was Al-Kaida als wichtigen Faktor mit einhelliger Botschaft erscheinen lässt, ist ihnen recht. Zumal al-Sawahiri ihnen weder den Krieg noch den Terror verbietet – im Gegenteil: Angriffe auf US-Bürger und Israelis erklärt der Al-Kaida-Chef für stets zulässig und gewünscht.

Eine andere Frage ist, ob jene Kämpfer im Namen Al-Kaidas, die besonders mörderisch vorgehen, sich an die Regeln halten wollen oder werden – also jene, die im Irak gegen Schiiten wüten oder in Syrien zum Beispiel Christen niedermetzeln, nur weil sie Christen sind. Die Chancen stehen freilich nicht so gut; schon al-Sarkawi reagierte seinerzeit nicht auf al-Sawahiris Kritik.

Für Kaida-Anhänger ist die Botschaft aus der Zentrale dennoch wichtig: Al-Sawahiri gilt bislang als eher blasser Nachfolger Bin Ladens mit wenig Anstößen, gar keinem Charisma und schwachen Antworten. Jetzt hat er erstmals eine Art Programm vorgelegt. Es könnte sein, dass die Erklärung seine Position festigt.

 

Deutscher Dschihadist und Ex-Rapper meldet sich aus Syrien

Screenshot aus dem Video von "Abu Talha al-Almani" alias Denis Cuspert
Screenshot aus dem Video von „Abu Talha al-Almani“ alias Denis Cuspert

Ich hab‘ es nicht so mit Apokalypse-Blockbustern, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann sind es vor allem Bilder aus dem Hollywood-Film 2012, mit denen der Mann, der sich „Abu Talha al-Almani“ nennt, sein neuestes Kampflied unterlegt hat. Brücken stürzen ein, Züge fliegen durch die Luft, Hochhausschluchten explodieren, und „Abu Talha“ näselt dazu: „Hörst du nicht, was die Engel sagen?“

„Abu Talha“, das muss man dabei natürlich wissen, ist der gebürtige Berliner und Ex-Gangsta-Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg und nun, nach seiner Verwandlung in einen militanten Islamisten, eben alias „Abu Talha al-Almani“. Cuspert ist seit Jahren in einschlägigsten radikalen Kreisen unterwegs, seit einiger Zeit hält er sich, das ist bereits bekannt, in Syrien auf. Mutmaßlich, um dort am Bürgerkrieg an der Seite dschihadistischer Kämpfer mitzuwirken.

Vor Kurzem veröffentlichte er bereits ein kurzes Video aus Syrien, wo er an einem Wasserfall stand und erklärte, wie glücklich er sei. In dem nun veröffentlichten 11-Minuten-Video grüßt er „vom Boden der Ehre“ – das ist Dschihadistensprech für „vom Schlachtfeld“.

Warnung vor der Höllenstrafe für alle Ungläubigen

Cuspert stammt aus dem Umfeld des österreichischen Hasspredigers Mohammed Mahmoud, der in Österreich eine Haftstrafe wegen Terrorismus absaß, zuvor die Kaida-nahe Globale Islamische Medienfront gegründet hatte und danach den mittlerweile in Deutschland verbotenen Verein Millatu Ibrahim. Im April 2012 wurde seine Ausweisung aus Deutschland verfügt, der er mit einer Ausreise nach Ägypten zuvorkam. Etliche Gesinnungsgenossen, darunter Cuspert, schlossen sich ihm an. Von Ägypten aus versuchten einige von ihnen zeitweise offenbar, nach Mali und/oder Libyen zu reisen. Mahmoud selbst wurde vor einigen Monaten an der türkisch-syrischen Grenze verhaftet und sitzt seitdem in der Türkei im Gefängnis, angeblich unter recht kommoden Umständen.

Es wird vermutet, dass Mahmoud nach Syrien einreisen wollte – etwas, das Cuspert augenscheinlich gelang. In dem Video schreibt Cuspert im Untertitel, es grüßten „Eure Geschwister von Millatu Ibrahi“, ein Hinweis darauf, dass er nicht allein dort ist, sondern vermutlich in Gesellschaft anderer Dschihadisten aus Deutschland.

Welcher Gruppe sie sich dort angeschlossen haben, ist einstweilen ungewiss. Auch ob sie tatsächlich kämpfen, ist nicht bekannt. Der Song, den Cuspert veröffentlicht hat, ist in dieser Hinsicht (und musikalisch, würde ich mal sagen) wenig bedeutsam. In dem religiös inspirierten Lied, einem sogenannten Nascheed, warnt er lediglich vor der Höllenstrafe für alle Ungläubigen. Am Ende bekennt er, der Film Nach dem Tod habe ihn inspiriert. Vielleicht kennt jemand diesen Film, ich habe ihn auf die Schnelle nicht eindeutig identifizieren können.

Deutsche Szene radikaler Islamisten als Adressat

Cuspert gehört zu jener Kategorie deutscher Syrien-Kämpfern, die den Sicherheitsbehörden Sorgen bereiten. Das Umfeld von Mahmoud ist extrem radikal, drohte mehrfach auch mit Terror. Dass es ihnen nicht allein um den Sturz des syrischen Regimes geht, liegt auf der Hand. In diesem Zusammenhang sind Propaganda-Videos, wie das nun veröffentlichte, dann auch doch nicht völlig belanglos. Cuspert hat durchaus Anhänger und einen Ruf in der hiesigen Szene radikaler Islamisten.

Der gesamte Vorgang erinnert an die Jahre 2009 und 2010, als plötzlich ähnliche (na ja, professionellere und wortlastigere, aber nicht unähnliche) Videos deutscher Dschihadisten aus Wasiristan im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet auftauchten. Dafür zeichnen sich bis heute vor allem die beiden Brüder Yassin und Munir C. aus Bonn verantwortlich, die sich der Islamischen Bewegung Usbekistans angeschlossen haben und unter anderem zum Mord an Mitgliedern islamfeindlicher Parteien in Deutschland aufriefen.

Deshalb glaube ich auch, dass „Abu Talha“ künftig noch mehr Videos veröffentlichen wird. Außer natürlich, die Situation auf dem Schlachtfeld lässt das nicht zu. Wir werden sehen.

Anmerkung: Ursprünglich hatte ich das Wort Nasheed mit ‚Kampflied‘ übersetzt; nach dem zutreffenden Leserhinweis, dass es sich bei Anasheed (so der Plural) keineswegs nur um Lieder über den Kampf handelt, habe ich die Stelle entsprechend geändert. Wichtig ist: Anasheed werden stets ohne Instrumente (einige halten allerdings Handtrommeln für akzeptabel) gesungen und kreisen um religiöse Themen. In dschihadistischen Anasheed geht es hingegen bervorzugt um den Kampf, den Krieg und das Märtyrertum.