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Kommt ein Imam in eine Kirche…

… dann gibt es mittlerweile immer öfter Ärger. Zuletzt im pfälzischen Hambach, als während einer Anti-Kriegsmesse ein islamischer Gebetsruf erklang. Für selbsternannte „Islamkritiker“ ein Anlass zur Hysterie.

Nicht mehr als 8.960 Untertanen der britischen Königin dürfen den Titel Commander of the most excellent Order of the Britisch Empire tragen, einer von ihnen ist der walisische Komponist Karl Jenkins, dem der Titel 2010 verliehen wurde. Jenkins hat noch andere Auszeichnungen erhalten, aber eine weitere wichtige ist zweifellos, dass sein Werk The Armed Man 2008 in einer Top-10-Liste des Senders Classic FM von Stücken lebender Komponisten auf dem ersten Platz landete.

The Armed Man ist Jenkins‘ bekanntestes Stück. Es ist eine „Messe für den Frieden“, wie sie auch im Untertitel heißt. Seit der Uraufführung im Jahr 2000 ist sie Hunderte Male in der ganzen Welt aufgeführt worden; von Profis und von Amateuren. Eine der letzten Aufführungen fand am vergangenen Wochenende statt – in Neustadt-Hambach in der Pfalz.

Allerdings stiftete sie keinen Frieden.

Der Grund dafür ist knapp über zwei Minuten lang. Denn das Stück sieht vor, dass der islamische Gebetsruf vorgetragen wird. Das gesamte Werk befasst sich mit der Frage von Krieg und Frieden und der Rolle der Religion in beidem. Jenkins widmete das Stück seinerzeit den Opfern des Kosovo-Konflikts. Es folgt der Struktur einer klassischen christlichen Messe, enthält aber auch Überblendungen und Einschübe – darunter eben jenen Gebetsruf, der mit den bekannten Worten „Allahu Akbar“ beginnt.

Im Sommer dieses Jahres hatte die Leiterin der Kantorei der Pauluskirche von Neustadt-Hambach die Idee, das Werk in dem Gotteshaus aufzuführen. Für den Gebetsruf, den Adhan, bat man den Imam einer benachbarten Moschee um seine Teilnahme. Der sagte auch zu.

Doch je näher die Aufführung rückte, desto mehr regte sich Widerstand. Der Pastor der Gemeinde, Ludger Mandelbaum, hatte zwar die Mehrheit des Gemeinderates hinter sich; er hatte zusätzlich die Unterstützung des Landeskirchenrates Speyer eingeholt. Und auch der Islambeauftragte der Landeskirche sah kein Problem, wie die Südwestdeutsche Zeitung berichtete.

Aber eine Woche vor der Aufführung wurden am Rande des Gottesdienstes Flugblätter verteilt, in denen es der Zeitung zufolge unter anderem hieß, in dem „scheinbar friedlichen“ Gebetsruf seien „Intoleranz, Ausgrenzung und auch Gewalt programmiert“. Presserechtlich verantwortlich zeichnete der einschlägige „Islamkritiker“, Wilfried Puhl-Schmidt.

Ähnlich sieht das Hertha Jene, die für den Tag der Aufführung eine Mahnwache anmeldete.

Ich habe am Dienstag mit Jene telefoniert. Sie sagt, sie treibe vor allem die Christenverfolgung in islamischen Ländern um. Aus Respekt vor diesen Opfern habe der islamische Gebetsruf „keinen Platz in der Kirche“. Außerdem sei die Übersetzung der Worte „Allahu Akbar“ im Programmheft mit „Gott ist groß“ eine „Schönfärberei“; Allah dürfe man nicht einfach mit Gott übersetzen. Und überhaupt: „Allahu Akbar ist der Schlachtruf vor und nach mörderischen Aktionen der Muslime gegen Juden und Christen.“

Dass viele hundert Millionen Muslime jeden Tag mehrmals Allahu Akbar sagen, ohne irgendjemanden zu verfolgen, ficht sie nicht an. Der Kirche wirft sie unterdessen „Lüge“ vor. Sie verstricke sich in Schuld, „genau wie ’33: Damals haben sie Heil Hitler gerufen, heute ist es ähnlich.“

Jene scheint am Islam und den Muslimen grundsätzlich weniges Gutes erkennen zu können. Sie sagt auch, es falle ihr schwer, zwischen Radikalen und gewöhnlichen Muslimen zu differenzieren. Der Koran richte sich ja an alle Muslime gleichermaßen, und er enthalte zahlreiche Gewaltaufrufe. Die meisten Muslime sehen das freilich etwas anders. Und sie handeln auch anders.

Die Mahnwache, die Jene anmeldete, fand denn auch statt, direkt vor der Kirche. Es gibt im Netz Bilder davon. Auch zum Christentum konvertierte Ex-Muslime hatten sich eingefunden. Auf den Plakaten stand zum Beispiel „Allah ungleich Gott“ oder „Alle drei Minuten stirbt ein verfolgter Christ“. Aber auch mindestens ein Vertreter der zum Rechtsextremen tendierenden „German Defence League“ war dabei. Mit der, betont Jene, wolle sie natürlich nichts zu tun haben. Und stören hätten sie und ihre Mitstreiter das Konzert auch nicht wollen.

Es ist ein freies Land, die Mahnwache war genehmigt, und nicht jeder muss es gut finden, wenn ein Imam in einer Kirche auftritt.

Trotzdem gebe ich gerne zu, dass mich das schon verstört. Es ging schließlich um eine Friedensmesse. Und was hat der Imam der Stadt mit Christenverfolgung zu tun?

Auf dem islamophoben Internetportal Politically incorrect sieht man das naturgemäß anders. Hier wurde die Aufführung ausgiebig vor- und nachbereitet. Denn auf PI ist jeden Tag Weltuntergang. Oder zumindest Untergang des Abendlandes.

Entsprechend findet sich in den Kommentarspalten, wie stets bei solchen Anlässen, die übliche Mischung aus Rassismus und Verbalradikalismus. Hier ein paar Beispiele:

„Das geblöke eines Muezzins läßt mich jedesmal spekulieren, ob noch Hirn drin ist.“

„Dieser Windelbrüllaffe ist die Härte!“

„Die Evangelisch-Lutherische Kirche hat sich selber abgeschafft, erstens hat sie den Kirchengründer Martin Luther verraten und verkauft und zweitens hat sie Jesus Christus und alle Heiligen der Kirche verraten und verkauft. Pfui Teufel.“

„Danke an alle, die vor der Kirche standen und sich für die Wahrheit einsetzen. Dazu gehört in einer Zeit der Islamisierung Europas wieder Mut. Die Bedrohung der Existenz bei Islamaufklärern ist mittlerweile real. Nicht nur durch den drohenden Islam sondern auch von Seiten unserer Eliten in Politik, Medien und Deutschen Bischöfen.“

„Austreten bevor noch schlimmeres geschieht und man direkt als ein Volksverräter in die Geschichte eingeht! Wie damals bei den Nazis…..“

Selbstverständlich verzichteten die Diskutanten nicht darauf, Telefonnummer und E-Mail-Adresse des Pastors zu veröffentlichen. „Es ist nicht schön“, sagte Ludger Mandelbaum mir am Dienstag. 150 E-Mails hat er mittlerweile bekommen, „einige beleidigend“, wieder andere nehme er als Pastor durchaus ernst. Fünf Anrufe erhielt er am Dienstag, „von empört bis Austrittsdrohung“.

Vor Ort hatte es laut Mandelbaum deutlich mehr positive als negative Rückmeldungen gegeben. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen, die Zeitung fand das Konzert berührend.

Auf Politically Incorrect werden derweil Daten und Orte herumgereicht, an denen The Armed Man als nächstes aufgeführt werden soll.

Es könnte also künftig etwas mehr Mut erfordern, ein weltberühmtes, auf den Frieden zwischen den Menschen ausgerichtetes Musikspiel zur Vorführung zu bringen. Hoffentlich wird es richtig oft gespielt.

PS: Der oben stehende Text bildet den Stand vom Dienstagnachmittag ab. Am späten Dienstagabend nahm er eine weitere Wendung. Denn Pastor Mandelbaum antwortete auf eine E-Mail aus dem PI-Umfeld. Ich dokumentiere seine Antwort hier, weil ich sie bemerkenswert finde.

„Seit 2002 werden Jahr für Jahr Vertreter aller Religionen nach Assisi zu einem Gebet für den Frieden eingeladen, um alle jene zu isolieren, ‚die den Namen Gottes für Zwecke und mit Methoden mißbrauchen, die ihn in Wahrheit verletzen‘. Karl Jenkins setzt sich mit seiner Friedensmesse für Toleranz ein. Er erinnert mit seinem Werk daran, welche Folgen ein mangelndes Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen hatten und haben können. Wenn ein Muslim im Rahmen des Werkes seinen Gebetsruf singt, bringt er zum Ausdruck, was er von Gewalt im Namen der Religion hält – nämlich nichts.

Vor dem Konzert hat es eine Mahnwache gegeben von Menschen, zum Teil von Mitchristen, die darauf aufmerksam machen wollen, wie es manchen Christen zur Zeit in der muslimischen Welt ergeht, in Syrien, in Ägypten, in Malaysia. Ich nehme das wahr und ernst. Es zwingt mich als Pfarrer über unser Verhältnis und unser Gespräch mit muslimischen Menschen nachzudenken. Beten wir zum gleichen Gott? Das ist eine offene Frage. Aber eins weiß ich, nur wenn wir friedlich miteinander umgehen, offen werden, um zu hören, was den anderen im Inneren bewegt, werden wir eine Antwort bekommen. Am Ende kann nur Gott selbst uns eine Antwort schenken.

Es tut mir sehr leid, dass einige, darunter auch sehr ernsthafte Christen, sich durch die Friedensmesse mit dem muslimischen Gebetsruf in unserer Kirche beschwert fühlen. Für mich sind in diesen Tagen um und nach der Aufführung der Friedensmesse Wort Jesu nach dem Lukasevangelium leitend:

Lukas 6,27 Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. 28 Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

In diesem Sinne grüße ich Sie…!“

Mandelbaums E-Mail landete natürlich umgehend auf Politically Incorrect – was eine neuerliche Welle von Kommentaren nach sich zog. Hier eine Auswahl der Schmähungen: „Erdnusskopf“, „Wer hat denn dem ins Gehirn gesch…?“, „Was für eine Heuchelei, Herr Pfarrer Mandelbaum!“, „Es müssen auch mal Taten erfolgen anstatt immer nur heuchlerisch sein Mitleid ausdrücken. Widerlich solche Menschen, und eine Ohrfeige für die orientalischen Christen“, „Antrag auf Einweisung“, „ein Zeichen von Hirnlosigkeit“.

 

Der rosarote Krieg

„Nun bin ich hier, auf dem Boden des Dschihad“: Eine deutsche Konvertitin bloggt über ihren Alltag an der Seite islamistischer Kämpfer in Syrien. Von Yassin Musharbash

Wo hört authentische Selbstdarstellung auf – und wo beginnt Propaganda? Im Falle von Extremisten lässt sich diese Frage so gut wie nie eindeutig beantworten. Wer sein Leben einer Ideologie unterstellt, tendiert dazu, sich selbst nicht mehr als Individuum zu sehen, sondern als Beispiel. Was einem widerfährt, wird zum Symbol. Was man sagt, wird zum Signal.

Trotzdem bleibt ein Kern: Da wird zum Beispiel etwas beschrieben, ein Alltag, ein Gedanke, eine Begebenheit, und wenn dieses Beschriebene nicht komplett erlogen ist, offenbart solch ein Text unter Umständen Wahrheiten, die jenseits der Propaganda liegen. Dann kann es auch für Außenstehende erhellend sein, das Mitgeteilte zu betrachten.

So verhält es sich, jedenfalls meiner Ansicht nach, auch mit einem noch relativ jungen Blog einer Frau aus Deutschland, die sich, als überzeugte und militante Islamistin, gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern nach Syrien begeben hat. In ihrer Selbstvorstellung schreibt sie: „Ich bin die Frau eines Mujahids, Mutter von Mini-Muhajirin und Nachbarin von Ansar, Muhajirin und Mujahidin. Eine Geschichte wie aus einem Bilderbuch. Nein! Noch besser: So war die Geschichte von unserem geliebten Propheten (saws) seiner Familie (rah) und den Sahaba (ra).“

Mit „Mujahid“ meint sie: jemand, der in einem Dschihad kämpft; „Muhajirin“ bezeichnet im islamischen Kontext religiöse Auswanderer; „Ansar“ sind Helfer; Kürzel wie „saws“ und „ra(h)“ stehen für Segensformeln.

Fünf Blog-Einträge gibt es bisher, alle sind im September entstanden. Sie kreisen um Pfannkuchenrezepte ebenso wie um nächtlichen Kanonendonner, um 9/11 und um die Hauskatze „Nonoh“.

Natürlich ist ein guter Teil Propaganda. Etwa wenn die Bloggerin am Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 schreibt: „Wenn es vom Islam her erlaubt wäre, hätten wir diesen sonnigen 11. September zum Feiertag erklärt. Ein Feiertag mit Geschenken und Keksen, fast wie Weihnachten. Nur das wir keinen Menschen, den man zum Gott erklärt hat, feiert, sondern einen ehrenhaften Scheikh Usama bin Laden. Er war wirklich ein Held und aufrichtiger Mann mit noblem Charakter. Möge Allah (swt) mit ihm barmherzig sein. Amin. So, und nun fliegen uns die Pfannkuchen in den Mund. Ein Kracher sind sie geworden. Alhamdulillah. InschaAllah werden wir in Zukunft weitere einfallsreiche Köpfe haben, die Flugzeuge starten lassen.“

Interessanter aber sind jene Passagen, in denen erkennbar wird, was die junge Frau an ihrer Ideologie, die sie freilich für die reine Form ihrer Religion hält, eigentlich so anziehend findet: „Im Land der Kuffar (Ungläubigen, YM) unterliegst du deren Gesetzesbüchern und machst, was dein Chef dir in der Arbeit sagt, wenn du nicht grad irgendwelche Hartz-IV-Formulare ausfüllst und mit den Ämtern kämpfen musst. Hier aber herrschen unsere Gesetze, Allahs (swt) Scharia. Man arbeitet nicht für Hans-Peter in der Fabrik oder im Büro zwischen 7-16 Uhr, um dann noch seine Gebete in den kleinen Pausen in Hektik (manchmal an dreckigen und ungeeigneten Plätzen) zu verrichten. Hier arbeitest du 24 Stunden konzentriert für Allah (swt). Allahs Religion ist hier keine Nebensache, sondern Mittelpunkt deines Alltags.“

Die „Dunya“, das Diesseits, ist für sie „zugemüllt“ und wertlos: „Unglaublich trügerisch ist sie. Sie lässt dich vergessen, wie nah dir der Tod ist. Eine andere Sache wird dich hier dennoch an den Tod erinnern. Die Bomben, die weit und nah einschlagen … plötzlich erkannt man seine Fehler und man fragt sich, ob man bereit ist für die Akhira (das Leben nach dem Tod, YM). Habe ich das Wohlgefallen Allahs (swt)? Wenn ich jetzt sterbe und für alle Ewigkeiten in der Akhira bin, werde ich es gut haben? Bin ich von den Geretteten?“

Hier mischen sich Faktoren, die nach Ansicht von Radikalisierungsforschern fast immer zusammenkommen: Scheinbar einfache und endgültige Antworten auf die komplexen Herausforderungen des Lebens; ein radikaler Bruch mit dem alten Leben; ein Sinn-Vakuum, das plötzlich gefüllt wird.

Aus dem Blog geht leider nicht hervor, unter welchen Umständen die Autorin und ihr Ehemann sich kennengelernt haben – oder wer die treibende Kraft bei der Radikalisierung war. Aber ganz deutlich wird, dass die junge Bloggerin vollständig zufrieden mit der ihr zugewiesenen Rolle als Ehefrau eines dschihadistischen Kämpfers ist: „‚Mach dich bereit, wir gehen mit den Geschwistern an einen schönen Ort und essen dort Falafel und Kebab‘, sagte mein Ehemann. Schnell alles zusammengepackt fuhren wir zu einem Fluss. Wir Frauen konnten unten sitzen und die Männer oben. So waren wir von den Männern abgeschirmt. Das Essen war sehr lecker. Salat gab es dazu. Frisches kaltes Quellwasser ebenfalls. Plötzlich hörten wir Schüsse. Unsere Männer visierten auf der andere Flussseite einen orangefarbenen Gegenstand an und versuchten diesen mit ihren Sturmgewehren zu treffen. Das war eine Prise Spass zum leckeren Essen und ein wunderschönes Gefühl zu sehen, wie der eigene Mann schiesst, mit seinem Gewehr. Einfach ein richtiger Mann. Ja SubhanAllah, ein Mujahid ist er, ein Soldat Allahs und nicht ein Blauhelm oder deutscher Soldat.“

Sie berichtet von ihrem schlechten Gewissen, weil sie, als das Haus wegen eines Waldbrandes evakuiert werden muss, die „Notfalltasche“ („frische Kleider für mich und die Kinder, Babyflasche, Babynahrung, Feuerzeug, Kerzen / Taschenlampe, Medikamente“) nicht fertig gepackt hat.

Aber am Ende, natürlich, wird alles gut: „Was wohl gerade meine Geschwister in Deutschland machen? Haben sie von dem Feuer mitbekommen? Es ist spät in der Nacht. Ich höre wieder das Einschlagen der Bomben, worauf die Hunde mit einem Bellen antworten. Die Grillen im Hintergrund dürfen nicht fehlen. Wie jede Nacht eben.“ Dschihad-Romantik; der Krieg in Rosarot.

Nach aktuellen Schätzungen der Sicherheitsbehörden halten sich rund 170 Kämpfer aus Deutschland in Syrien auf. Wie viele Frauen unter ihnen sind, ist unbekannt; aber die Bloggerin ist gewiss kein Einzelfall.

Was die Behörden in den wenigsten Fällen wissen, ist, welchen Gruppen sich die deutschen Konvertiten anschließen. Ganz klar ist es auch im Falle der Bloggerin nicht. Aber ihr Blog läuft über die Webpräsenz einer Institution namens „Sham Center“, einer Art dschihadistischem Medienportal, an dem mehrere deutsche Islamisten beteiligt sind. Es gehört augenscheinlich zum Umfeld des Ex-Gangsta-Rappers Denis Cuspert alias „Deso Dogg“, der sich mittlerweile Abu Talha al-Almani nennt, und vom Sham Center wie folgt porträtiert wird: „Wir haben die letzten Monate unseren Bruder Abu Talha Al-Almani auf seiner Reise begleitet und sind auch noch fleißig dabei Videomaterial für eine Dokumentation zu sammeln. Momentan ist der Bruder verletzt, weshalb wir kein Datum für das Veröffentlichen der Dokumentation mitteilen können.“ Das teilten die Aktivisten am 20. September mit.

Ob dieser Zirkel an Kampfhandlungen teilnimmt, ist nicht eindeutig. Es scheint jedoch Beziehungen zu Kämpfern der militanten Salafistengruppe Jund al-Sham zu geben. Vielleicht ist die Tatsache, dass die Blog-Autorin seit fast drei Wochen nichts mehr veröffentlicht hat, ein Hinweis darauf, dass sich die Lage verschärft hat.

Fünf Blog-Posts reichen weder für ein Persönlichkeitsprofil noch für allgemeingültige Schlüsse. Aber es schimmert etwas durch. Für einige, die derzeit nach Syrien ziehen, geht es nicht allein ums Kämpfen und schon gar nicht in erster Linie um das Assad-Regime. Das Schlachtfeld Syrien ist für sie offensichtlich auch attraktiv als Kulisse zum Ausleben zuvor verinnerlichter Ideen. Als Zufluchtsort vor den Anfechtungen (und vielleicht auch Zweifeln) zu Hause. Als Bewährungsprobe, dass man wirklich bereit ist, die gelernten Ideale zu leben. Als eine Art virtuelle Zeitmaschine, die es scheinbar möglich macht, sich in die verherrlichte Vergangenheit des 7. Jahrhunderts zu imaginieren und die Vorbilder zu imitieren, die einem ständig vorgehalten werden.

Dass der mögliche Preis der Tod ist, sogar der Tod der eigenen Kinder, wird dabei in Kauf genommen.

Es ist schwer, das nachzuvollziehen; aber es scheint mir wichtig, es nicht zu ignorieren. Es werden noch mehr Islamisten und Islamistinnen aus Deutschland nach Syrien ziehen – und viele werden zurückkehren. Dann wird es darauf ankommen, sie richtig einzuschätzen.


PS: Eine Anmerkung zum Schluss. Es ist naturgemäß nicht einfach, zu prüfen ob die Autorin sich wirklich in Syrien aufhält. Ich kann genau genommen nicht einmal verifizieren, dass das ganze Blog kein Fake ist. Ich glaube aber, dass es authentisch ist, weil mir der Inhalt, der Tonfall und der Veröffentlichungsort plausibel erscheinen. Andere Experten, die ich befragt habe, sehen ebenfalls keinen Grund für Zweifel. Sollte sich an dieser Einschätzung etwas ändern, werde ich das an dieser Stelle nachtragen.

 

Warum man jetzt auf die AfD achten muss

René Stadtkewitz, Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit, hat in einem Brief an alle Mitglieder angekündigt, dass seine Truppe ihre sämtlichen Vorhaben auf Bundes- und Landesebene einstellen wird. Stattdessen wolle sich die Partei ausschließlich auf die Kommunalpolitik konzentrieren, Schwerpunkt Bayern. Auch an der Europawahl 2014 wird Die Freiheit nicht teilnehmen. Das Schreiben wurde im islamophoben Internetportal Politically Incorrect verbreitet; nach Auskunft der Geschäftsstelle der Partei ist es authentisch.

Stadtkewitz macht in dem Schreiben kein Geheimnis aus den Gründen für die Entscheidung: „Mit der Alternative für Deutschland hat es erstmals eine bürgerlich-liberale Partei geschafft, sich eine realistische Chance zu erarbeiten, bereits im kommenden Jahr in zahlreichen Parlamenten vertreten zu sein. Diese Chance gilt es nun nach Kräften zu unterstützen.“ Es müsse diejenige Partei die „optimalen Startbedingungen erhalten, die die größte Erfolgschance hat, Politik in unserem Sinne gestalten zu können“. Die Ziele der AfD, konstatiert Stadtkewitz weiter, „decken sich zu min. 90% mit unseren“.

Sind die AfD-Aktivisten die professionelleren Rechtspopulisten? Stadtkewitz‘ Schreiben dürfte die Debatte, wie rechts die AfD ist, weiter lebendig halten. AfD-Chef Bernd Lucke hat zwar im Wahlkampf immer wieder entsprechende Vorwürfe zu entkräften versucht. Aber Zweifel bleiben.

„Wir lieben die Vielfalt“

Für DIE ZEIT hat die Kollegin Caterina Lobenstein zum Beispiel im August einen AfD-Wahlkämpfer beobachtet, der erklärte: „Wir lieben die Vielfalt. Aber der Massenzuzug aus einem ganz fernen Kulturraum, der islamische, der archaische Kontext, der belastet uns.“ Und dem Spiegel sagte der Hamburger AfD-Sprecher Anfang September, es lasse sich nicht leugnen, dass „sich in mehreren Ländern systematisch rechte Gruppen formieren, die auf Inhalte und Image unserer Partei Einfluss nehmen wollen“. Schaut man sich darüber hinaus Social-Media-Profile von AfD-Mitgliedern und -Funktionären an, findet man rasch welche, die öffentlich gegen Moschee-Neubauten polemisieren oder die neu-rechte „Identitäre Bewegung“ gut finden.

Natürlich ist die AfD weder was das Programm, noch was das Personal angeht, durchgehend xenophob. Schon gar nicht in dem Maße wie Die Freiheit. Sie ist zudem bürgerlicher und intellektueller. Aber sagen wir es so: Es gibt durchaus Rechte, die gern bei der AfD mitmischen. Sie finden sich vermutlich eher an der Basis als in der Spitze, was aber nicht heißt, dass sie keinen Einfluss haben.

Und nun könnten es mehr werden. Denn das Lob aus Stadtkewitz‘ Munde hat in islamfeindlichen Kreisen Gewicht. Deshalb muss man sich jetzt – auch wenn sie den Einzug in den Bundestag verpasst hat – genau anschauen, wie es mit der AfD weitergeht.

Wählerpotenzial am rechten Rand

Auf Politically Incorrect, dem Zentralorgan der deutschen islamophoben Szene, löst die Erklärung ein gespaltenes Echo aus. Viele Diskutanten bekunden Stadtkewitz Respekt; man darf davon ausgehen, dass etliche von ihnen die AfD für wählbar halten. Andere sehen die AfD als zu nahe dem politischen Mainstream. In der Summe dürfte es also durchaus ein paar Wähler aus diesem Lager geben, die nun überlegen werden, bei der Europawahl statt bei Der Freiheit ihr Kreuz bei der AfD zu machen.

Es wird deshalb interessant sein zu beobachten, wie die AfD ihren Europa-Wahlkampf gestalten wird. Bei der Europawahl gilt keine Fünfprozenthürde, sondern eine von drei Prozent. Lucke & Co. dürfen also hoffen – auch weil der Euro ihr Leib-und-Magen-Thema ist –, ohne weitere Zuspitzung ins Europaparlament getragen zu werden. Aber was, wenn die Umfragewerte wieder sinken – und der eine oder andere Parteistratege das Wählerpotenzial am rechten Rand zu nutzen versucht? Euro-Skepsis und Islamophobie gehen in anderen westeuropäischen Rechtsparteien schließlich schon lange Hand in Hand.

Die AfD ist noch nicht fertig ausgeformt, ihr Profil noch nicht fixiert. Die kommenden Monate könnten dafür entscheidend sein.