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Das Gute im Schlimmen, oder #Illridewithyou

 

Sechzehn Stunden lang hat ein 50-jähriger iranisch-stämmiger Asylant am Montag im australischen Sydney dutzende Geiseln festgehalten. Als die Polizei das Café schließlich stürmte, in dem der Anschlag stattgefunden hatte, wurde der Geiselnehmer getötet, und auch zwei Geiseln überlebten diesen tragischen Tag nicht. Es ist nachvollziehbar, dass der Terrorakt, den der Attentäter im Namen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ beging (aber vermutlich, ohne eine Verbindung dorthin zu haben), die Nachrichten dominierte.

Aber es gibt noch eine andere Geschichte von diesem Tag zu erzählen.

Sie beginnt mit einer jungen Frau in Brisbane, die an diesem Tag im Zug sitzt und auf ihrem Handy die Nachrichten liest. Die junge Frau heißt Rachael Jacobs, und während sie liest, sieht sie am anderen Ende des Waggons eine andere Frau, die ebenfalls auf ihr Telefon starrt, und dann damit beginnt, ihr Kopftuch aufzuknüpfen. Rachael Jacobs berichtet, dass ihr in diesem Moment Tränen in die Augen schossen, weil sie annahm, dass die andere Frau Angst hatte, als Muslimin erkennbar zu sein – offensichtlich aus Sorge, dass man sie mitverantwortlich machen würde für die Tat des Geiselnehmers in Sydney, sie vielleicht bepöbeln würde.

Zufällig stiegen beide an derselben Station aus.  „Ich rannte ihr hinterher und sagte. ‚Setzen Sie es wieder auf! Ich begleite Sie!'“, schrieb Rachael Jacobs nach dieser Begegnung auf Facebook. „Sie begann zu weinen, umarmte mich für eine Minute, und ging dann alleine weiter.“

Eine andere junge Frau las diese Geschichte – und erfand daraufhin den Twitter-Hashtag #Illridewithyou, zu deutsch: „Ich fahre mit dir.“

Das löste eine Lawine aus. Innerhalb von nur 12 Stunden gab es 150.000 Tweets mit diesem Hashtag, berichten australische Medien. Wenn man nachliest, findet man darunter Nachrichten aller Art von hunderten von Menschen, die Muslimen und Musliminnen anbieten, sie zu begleiten, sollten diese Angst vor so genannten „Hate Crimes“ haben, wie sie in der Folge islamistisch motivierter Anschläge immer wieder vorkommen. Pendler posteten etwa, in welchem Bus oder in welchem Zug sie sitzen würden und woran man sie erkennen könne. Die Geschichte fand sogar eine Fortsetzung in der analogen Welt: Autofahrer stellten Schilder auf ihre Ablagen, auf denen „#Ilridewithyou“ stand.

Was man ebenfalls feststellen kann, wenn man den Twitter-Meldungsstrom nachliest, das ist: Wie viele Australier aller denkbaren ethnischen und religiösen Hintergründe sich durch diesen simplen Akt im Angesicht des Terrors in Sydney verbunden fühlten und das Gefühl hatten, zusammenzurücken und eine Art Gegengift gefunden zu haben. Ich will nicht allzu pathetisch werden, es gab auch Menschen, die sich über die Aktion lustig machten, oder sie für überflüssig und übertrieben hielten. Und natürlich ändert diese Aktion nichts am strukturellen Rassismus Australiens, oder an der irrsinnigen Asylpolitik des Landes. Aber für viele hundert Menschen, vielleicht tausende, hat sie an diesem Tag etwas bedeutet. Ob es Muslime waren oder irgend etwas anderes.

Ich finde das bemerkenswert. Und ja: tröstlich. Nicht zuletzt mit den Bildern der Pegida-Demonstration von gestern im Kopf.