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„Die Führung von Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel hat diese Operation angeleitet….“

 

Nur wenige Stunden nachdem die beiden mutmaßlichen Mörder der Charlie-Hebdo-Mitarbeiter in Paris am Ende einer Geiselnahme selbst ums Leben gekommen sind, hat die Filiale des Terrornetzwerks Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) auf mehreren Kanälen beansprucht, für den Anschlag verantwortlich zu sein.

Gegen 22 Uhr am Freitagabend deutscher Zeit meldete sich in arabischer Sprache ein mutmaßliches hochrangiges Mitglied der Organisation auf Twitter zu Wort. „Die Führung von Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel hat diese Operation angeleitet“, erklärte er dort. „Das Ziel war Frankreich, wegen der offensichtlichen Rolle des Landes im Kampf gegen den Islam.“ Osama bin Laden, der 2011 getötete Al-Kaida-Gründer, habe Frankreich noch zu Lebzeiten gewarnt.

Fast zeitgleich sandte ein AQAP-Kader (vielleicht handelt es sich um dieselbe Person) eine englische Übersetzung dieser Tweets nach meinen Recherchen an mehrere internationale Medien. Als erster berichtete der Enthüllungsjournalist Jeremy Scahill darüber.

Ebenfalls fast zeitgleich veröffentlichte AQAP auf YouTube eine Audioansprache ihres „Scharia-Beauftragten“ Harith al-Nasari, der ebenfalls auf den Anschlag Bezug nahm, ihn allerdings nicht explizit als Tat von Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel bezeichnete.

AQAP ist eine von drei Filialen des Terrornetzwerks Al-Kaida und mit Abstand die schlagkräftigste. Sie hat in den vergangenen Jahren mehrfach Anschläge auf Ziele im Westen verübt – auf Frachtflugzeuge ebenso wie auf einen US-Passagierjet auf dem Weg von Amsterdam in die USA. Im letzteren Fall gelang es dem Attentäter an Bord der Maschine allerdings nicht, seinen Sprengsatz zur Zündung zu bringen.

Der Chef von AQAP, Nasir al-Wuhaishi, ist der stellvertretende Anführer von Al-Kaidas Mutterorganisation und damit die Nummer zwei hinter dem Ägypter Aiman al-Sawahiri, der 2011 auf Osama bin Laden folgte und im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet vermutet wird.

Beide Erklärungen – das Video und die Tweet-Sammlung – liegen ZEIT ONLINE vor. Es spricht viel dafür, dass sie authentisch sind. Aber beide Erklärungen enthalten kein Täterwissen. Weder werden die Pariser Attentäter namentlich erwähnt, noch wird Bezug genommen auf den genauen Vorgang des Anschlags oder sein Ende oder auch nur auf das Magazin Charlie Hebdo. Das stimmt skeptisch. Aber es wäre nicht untypisch, wenn AQAP in Bälde nachlegt – und in einigen Tagen zum Beispiel Videoaufnahmen mit Abschiedsbotschaften der Attentäter oder Bilder vom Training im Jemen nachreicht. So war es zum Beispiel bei dem nigerianischen Attentäter, der 2009 den US-Passagierjet zum Absturz bringen sollte.

Plausibel ist die Erklärung noch aus zwei anderen Gründen. So hat französischen Medienberichten zufolge ein Augenzeuge des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo erklärt, dass einer der Angreifer ihm gesagt habe, er agiere im Auftrag von AQAP. Am Freitagabend wurde zudem bekannt, dass die beiden Attentäter während der finalen Geiselnahme außerhalb von Paris mit einem französischen Fernsehsender Kontakt hatten – und den Reportern ebenfalls ausgerichtet hatten, sie seien von AQAP finanziert und angeleitet worden.

AQAP hat zudem im vergangenen Jahr einen der ermordeten Karikaturisten auf einer Wanted-Liste namentlich erwähnt. Einer der beiden Pariser Attentäter soll sich 2011 zudem im Jemen bei AQAP aufgehalten haben.

AQAP agiert vor allem im Jemen. Die Gruppe, deren Kämpferzahl auf eine niedrige vierstellige Zahl geschätzt wird, existiert seit fast zehn Jahren. In ihrer Führung finden sich einige sehr erfahrene Dschihad-Veteranen und Bombenbauer. Die Gruppe verübt regelmäßig schwere Anschläge im Jemen, vor allem gegen Sicherheitsbehörden und schiitische Gruppen; immer wieder hat sie aber auch Anschläge gegen westliche Ziele geplant – und gegen Ziele in Saudi-Arabien, dessen Regime AQAP bekämpft.

Wenn man alle diese Informationen übereinanderlegt, ergeben sie ausdrücklich keinen Beweis, dass AQAP für den Anschlag in Paris verantwortlich war. Aber eine plausible Indizienkette.

Es ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Tagen weitere Erklärungen von AQAP veröffentlicht werden.

Wir werden weiter berichten.