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Wie Gauland den Islam fremder macht, als er ist

 

Was bedeutet das eigentlich: einander „kulturell völlig fremd“ zu sein?

Ich habe mal einige Tage in einer Aborigine-Community im australischen Outback verbracht. Da habe ich erhebliche kulturelle Unterschiede festgestellt. Genau genommen habe ich gar nicht begriffen, was um mich herum geschah. Es gab nicht nur eine Sprachbarriere. Ich wusste auch nicht, was wichtig ist. Oder wer. Ich hatte keine Ahnung, welche Regeln gelten. Ich verstand nicht, was die anderen in mir sahen oder nicht sahen, ob sie etwas von mir erwarteten – und wenn ja, was?

Alexander Gauland, Rechtsausleger bei der AfD, findet hingegen, dass Menschen aus dem Nahen Osten „unserer kulturellen Tradition völlig fremd sind.“ Das ergibt sich genau so aus seinen Äußerungen in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Er will nämlich die Zuwanderung von Menschen verhindern, die „unserer kulturellen Tradition völlig fremd sind“, und auf Nachfrage verortet er diese Menschen „im Nahen Osten“. Er sagt nicht Muslime und nicht Religion. Aber er meint Muslime und er meint „den Islam“. Das darf man unterstellen, weil Gauland erst letzte Woche erklärt hat, eine Integration „des Islam“ in Deutschland sei für ihn nicht so recht vorstellbar.

Was Gauland hier macht, ist Folgendes: Er macht den Islam und die Muslime fremder, als sie sind. Denn es ist natürlich Unfug, dass Menschen aus dem Nahen Osten den Menschen in Europa „kulturell völlig fremd“ sind. Sie sind einander ganz im Gegenteil kulturell sehr nah. Ich bin sogar sicher, dass ein Grund, aus dem sich Menschen wie Gauland so über Muslime echauffieren, genau diese Nähe ist. Das Problem besteht jedenfalls nicht darin, dass man nicht wüsste, wovon der andere redet oder worüber er sich aufregt oder was ihm wichtig ist.

Die Mohammed-Karikaturen sind ein Beispiel dafür. Auch wir kennen monotheistische Religionen im Westen, auch uns ist der Begriff des Heiligen oder Sakralen in ganz ähnlicher Weise ins kulturelle Gedächtnis geschrieben. Aber die meisten Menschen im Westen gehen – heute – anders damit um, wenn das Heilige oder Sakrale beleidigt oder verspottet wird, als viele Muslime es tun.

Gauland will das nicht zugeben, weil es bedeuten würde, dass es etwas zu bereden und auszuhandeln gibt. Dass es also Spielraum für Politik, für gesellschaftliche Debatte gibt. Gauland will es einfacher haben, plumper: Die passen nicht zu uns. Die sind anders. Die bleiben auch anders. Also sollen sie gar nicht erst kommen.

Dabei negiert Gauland zugleich etwas, was er und andere Abendland-Verteidiger ansonsten gerne als besondere zivilisatorische Leistung Europas beschreiben – nämlich die Aufklärung, und mithin die Fähigkeit einer Kultur, sich zu wandeln. Muslime aber können sich in Gaulands Welt offenbar nicht wandeln. Das ist keine aufklärerische, das ist eine arrogante, auf Abschottung und Ausgrenzung ausgelegte Position.

Der Islam und das Christentum und Judentum sind einander nicht fremd. Der Nahe Osten als Kulturraum und Europa als Kulturraum teilen eine jahrtausendealte Geschichte intensiven Austauschs, der mal konstruktiv und mal destruktiv war, aber immer dazu geführt hat, dass man einander kannte. Nicht diejenigen, die die Gemeinsamkeiten herausstellen, errichten ein Konstrukt – sondern Menschen wie Gauland.

Gauland ist damit freilich nicht allein. Pegida argumentiert ähnlich, islamophobe Netzwerke wie Politically Incorrect ebenfalls. Ironischerweise hält diese behauptete unversöhnliche Fremdheit diesen Personenkreis so gut wie nie davon ab, sich als Islamexperten aufzuführen. Es gibt in Deutschland gefühlt einige Zehntausende von Fachleuten für islamische Reformtheologie, die ganz genau zu wissen scheinen, welche Suren, welche Verse des Koran neu oder anders interpretiert werden müssten, die sich mit ägyptischen Fatwas beschäftigen und Prophetenworte auslegen.

Merkwürdig, dass das so leicht von der Hand geht, wenn das doch alles so vollkommen fremd ist. Wer würde sich schon anmaßen, theologische Quellen des Buddhismus zu analysieren? Aber beim Islam gibt’s kein Halten.

Da wenden selbst ernannte Islamkritiker munter ihre eigenen Maßstäbe aus dem halb vergessenen Konfirmandenunterricht auf den Reclam-Koran an, den sie gerade erworben haben. Und warum glauben sie, dass das funktioniert? Ganz einfach: Weil sie wie selbstverständlich davon ausgehen, dass „der Islam“ in etwa so funktioniert, wie sie das vom Christentum kennen. Sie wissen, dass es mehr Verbindendes als Trennendes gibt.

Das muss aber ein Geheimnis bleiben!!